Lewis Hamiltons Triumph beim GP von Russland sichert Mercedes erneut den Gewinn der Marken-WM. Damit kann sich der Brite in Texas zum dritten Mal die Fahrerkrone aufsetzen.
Sotschi. Vier Rennen vor Saisonende ist die erste Entscheidung in der Formel 1 gefallen. Mercedes ist wie im Vorjahr erneut Team-Weltmeister. Zudem scheinen an der russischen Schwarzmeerküste auch die Würfel im Kampf um die Fahrer-WM gefallen zu sein. In Austin, Texas, könnte Lewis Hamilton in zwei Wochen den Gewinn seines dritten Fahrertitels fixieren.
Der Brite, 30, ist im Zenit seines Schaffens. Neun Saisonsiege, 42 GP-Erfolge insgesamt, damit hat er auch sein Kindheitsidol Ayrton Senna hinter sich gelassen. Wenngleich sein Streben nach der Nummer eins in dieser Sparte nachvollziehbar ist, diese Marke dürfte selbst der Mercedes-Star nicht knacken. Absolute Nummer eins der Siegerliste ist und bleibt Michael Schumacher mit 91 Triumphen.
Die zwei Mercedes-Welten
Ein Kontrastprogramm hingegen erlebt der Wiener Toto Wolff, wenn er sich die Bilanz seines zweiten Piloten, Nico Rosberg, ansieht. Er kurvt in einer Sinnkrise umher, die Wege beider Piloten könnten also unterschiedlicher nicht sein. In Sotschi stoppte ein kaputtes Gaspedal seine Fahrt, er schied erneut aus, ist nur noch WM-Dritter. Abermals muss er mit ansehen, wie der „Team“-Feind Weltmeister wird. Schafft es Hamilton nicht in Texas, ist es eine Woche darauf in Mexiko, allerspätestens am 15. November in São Paulo vollbracht. Rosberg ist nur noch ein Nebendarsteller in dieser Erfolgsfabrik.
Seit fast vier Monaten schon wartet Rosberg auf einen Sieg, nie in der gemeinsamen Mercedes-Zeit war sein Rückstand auf Hamilton (302) größer. 73 Punkte sind es jetzt, sieben fehlen ihm auf Sebastian Vettel. „Es ist die beste Zeit meiner Karriere, ich bin so dankbar“, schwärmte der Doppel-Champion, den die italienische „Gazzetta dello Sport“ kurzerhand zum „Zar“ ernannte. Spaniens „El Periódico“ meinte sogar: „Der Brite braucht sich nicht mehr auf die WM konzentrieren, sondern kann unbekümmert Partys feiern.“
Wolff ist also nicht nur bei der Siegesfeier gefragt, sondern auch abseits der Lichtspiele als Psychologe. „Nico ist jetzt in einer Situation, in der er ruhig bleiben muss“, mahnte der Mercedes-Motorsportchef. „Er ist ein Kämpfer.“ Aber mehr konnte auch er nicht sagen. Für einen Siegertypen wie ihn, so bezeichnet sich der Wiesbadener gern, muss diese Situation geradezu unerträglich sein. Selbst geplagt und mit Misserfolg „gesegnet“, dafür badet der Teamkollege – der das gleiche Auto lenkt – im Erfolg.
Kein Wort über Rosberg
Diese Saison kann Rosberg abhaken, und schenkt man Prognosen Glauben, wird es auch 2016 nicht leichter für ihn. Dann soll Ferrari mit einem „Wundermotor“ auftauchen, die Silberpfeile fordern und Vettel gegen Hamilton ausrücken. Über Rosberg wird abseits der Boxengasse nichts mehr erzählt.
Hamilton beobachtet diese Entwicklung mit großer Genugtuung. Er kann Rosberg, mit dem er in Jugendzeiten vieles gemeinsam erlebt hat, sogar das Skifahren in Zell/See, nicht leiden. Er wünscht sich Rad-an-Rad-Zweikämpfe – mit Vettel. Den Heppenheimer akzeptiert und schätzt er offenbar als Gegner auf der Rennstrecke. „Ich kann es kaum erwarten, dass Sebastian und ich uns Duelle liefern“, sagte der Brite, der nach 2008 und 2014 vor dem dritten Titelgewinn steht, den Reportern in Russland stolz. Über Rosberg verlor auch er kein Wort mehr. Muss er auch nicht: Ergattert er in zwei Wochen in Austin neun Punkte mehr als Vettel, ist die Entscheidung auch rechnerisch gefallen. (fin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)