Formel 1: Das kapitalistische Sportphänomen

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Am kommenden Sonntag startet mit dem Grand Prix in Melbourne die längste Formel-1-WM aller Zeiten. In den 20 Rennen der Saison 2012 gehen mehr Weltmeister denn je an den Start.

Die Formel 1 ist, so paradox das klingen mag, ein Stück weit real existierender Sozialismus. Und der funktioniert nur, wenn er von oben diktiert wird – von einem keine 160 Zentimeter großen Mann, der in einer Linie mit Dagobert Duck und Mister Burns von den „Simpsons“ steht. Mit dem Unterschied, dass es ihn wirklich gibt. Bernie Ecclestone schafft es auch in seinem 82. Lebensjahr, dem zugleich 63. seines kapitalistischen Sportphänomens, die Regeln zu machen. Und wieder einmal eine Saison zu starten, an der die Superlative kleben wie Reifengummi am Asphalt: Noch nie zuvor waren so viele Piloten am Start, die sich Weltmeister nennen dürfen – sechs an der Zahl, jeder vierte Fahrer war schon einmal der Beste der Besten. Die Battle of Champions führt heuer über 20 Stationen, ein neuer Rekord. Die Reise in die Unsterblichkeit geht von Australien (am kommenden Sonntag in Melbourne) über Asien nach Europa, kurz nach Kanada, wieder zurück in den europäischen Sommer, ehe dann der Herbst der Globalisierung folgt: Singapur, Japan, Südkorea, Indien, Abu Dhabi, Texas, Brasilien – das alles in zwei Monaten und zwei Tagen. Bis zum Ende der Saison werden die Piloten 137.400 Flugkilometer absolviert haben, um an allen Strecken gewesen zu sein.

Kein Kreativ-Job.
Die Distanzen in der Formel 1 mögen immer länger werden, die Abstände werden immer kleiner. Womit wir das Rätsel des Sozialismus im Grand-Prix-Sport ansprechen: Denn damit es allen so halbwegs gut geht und keiner sein Gesicht verliert, wird das Regelnetz immer engmaschiger, die Kreativität zunehmend eingeschränkt. 250.000 Arbeitsstunden fließen ungefähr in einen Rennwagen, 80.000 Einzelteile werden verarbeitet. Und doch kann es sein, dass in Melbourne die ersten 20 auf eine Runde gerechnet innerhalb einer einzigen Sekunde liegen. Denn das Reglement wurde seit 2009 nur in Details verändert und wenn einer, meist Red Bull, der Konkurrenz zu enteilen droht, werden die Regeln fürs nächste Jahr gerade so zurechtgeschnitten, dass die theoretische Chancengleichheit wieder geboten ist. Und so werden die Lücken zwar immer enger, die Hierarchie bleibt aber meist gewahrt. Bei den Piloten ist es ähnlich. Das rigorose Testverbot während der Saison führt dazu, dass Rennställe meist nur auf bewährte und erfahrene Kräfte setzen. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus aber ein Mangel an neuen Siegertypen: Lewis Hamilton, Robert Kubica, Heikki Kovalainen, Sebastian Vettel und Mark Webber sind die einzigen Lenkradakrobaten, die nach 2006, also in den letzten sechs Jahren, ihren ersten Grand Prix gewonnen haben. Comebacks wie jenes von Kimi Räikkönen, Weltmeister 2007 und zuletzt zwei Jahre in der Rallye meist auf Abwegen unterwegs, sind die logische Folge. Der Zirkus braucht Artisten mit Markennamen, und die Artisten brauchen den Zirkus. In Zeiten, in denen man die Formel 1 im Gegensatz zu einst mit hoher Wahrscheinlichkeit lebend verlässt, ist der Drang zurückzukommen enorm. Schumacher und Räikkönen sind schon reumütig heimgekehrt, Villeneuve (Weltmeister 1997) wollte sogar ein Team kaufen, um wieder fahren zu dürfen, und Mika Hakkinen (Weltmeister 1998 und 1999) absolvierte vor einigen Jahren Tests, aber Rückstände jenseits der Zwei-Sekunden-Marke ließen ihn die bittere Wahrheit erkennen: Es ist vorbei.

2012 wird zum Jahr der Entscheidung für Häkkinens Erzfeind Michael Schumacher: Seit zwei Jahren wird der siebenfache Weltmeister in so ziemlich jeder Statistik von seinem 16 Jahre jüngeren Teamkollegen Nico Rosberg vorgeführt. Und so fährt Schumacher, dessen Dreijahresvertrag heuer endet, ein Jahr auf Bewährung – und das mit 43 Jahren und nach 91 Grand-Prix-Siegen, den letzten davon allerdings schon 2006. Für sein Team ist er längst Ballast, das Projekt Mercedes GP ist bislang spektakulär erfolglos. 2011 gab es keinen einzigen Podestplatz für die gefühlten Erfinder des Automobils. Deshalb hat man den Sparkurs der letzten beiden Jahre aufgegeben, wieder nachgerüstet. An die 100 neue Ingenieure wurden verpflichtet – unter Ross Brawn arbeiten nun mit Aldo Costa (früher Ferrari), Geoff Willis (früher Red Bull Racing) und Bob Bell (früher Renault) drei ehemalige Nummer-1-Konstrukteure. Zumindest Costa und Willis haben seit Jahren keinen Coup mehr gelandet und man ist gespannt, ob das Experiment mit einer Herde von Alpha-Tieren in einem schon traditionell stets in ein deutsches und ein englisches Lager gespaltenes Team funktioniert. Nach den Tests vermutet Brawn: „Wir sind besser geworden, aber mit Red Bull können wir noch nicht mithalten. Wir sind noch nicht dort, wo wir hingehören.“

Ferraris Waterloo.
Aber selbst wenn sich die Silberpfeile im fernen Australien – wie vermutet wird – in den Regionen der Plätze fünf bis acht einparken werden, wird sich die öffentliche Kritik in Grenzen halten. Denn wie es scheint, steht der Verlierer der Saison schon vor dem ersten Rennen fest: Ferrari. Die rote Supermacht, unbesiegt in den Jahren 2000 bis 2004, das erfolgreichste und renommierteste Team der Welt, steht vor einem Waterloo. Nachdem man im Vorjahr gegen Red Bull chancenlos war (1:13 Siege, 375:650 Punkte), hatte man alle Energie in das Jahr 2012 investiert. Mit einer völlig umgekrempelten technischen Abteilung wollte man – getrieben vom Star-Piloten Fernando Alonso – wieder die Numero Uno werden. Doch die zwölf Testtage vermittelten ein Bild des Jammers. Das neue Auto ist nicht nur hässlich, es ist auch unverständlich für die eigenen Schöpfer. Die Rückstände sind enorm, und niemand in Maranello weiß, wo man mit den Renovierungsarbeiten beginnen sollte. Alonso spazierte in Barcelona sogar missmutig auf die Strecke, um seinen Teamkollegen Felipe Massa mit dem Smartphone zu filmen – als Dokument des Niedergangs. Denn schon mit freiem Auge sieht man, wie schlecht der Ferrari in der Kurve liegt, wie unruhig er ist – was wiederum vor allem im Rennen dazu führen dürfte, dass die Reifen schneller abbauen als bei der Konkurrenz. Sogar der selbstbewusste Präsident Luca di Montezemolo hat es schon erkannt: „Wir dürfen nicht damit rechnen, bald am Podest zu stehen.“ Ferrari in Crisi.

Einziger echter Verfolger von Red Bull scheint damit McLaren-Mercedes zu werden: Der Rennstall produzierte zum ersten Mal seit Jahren auf Anhieb schnelle Autos und wird nicht, wie in den letzten Jahren, erst im Lauf der Saison in Tritt kommen. Alle Augen richten sich dabei auf Lewis Hamilton, der nach einem Jahr der persönlichen Kurs-Stürze wieder einmal runderneuert sein unbestrittenes Talent ausspielen will. Denn zur Nummer zwei neben Jenson Button, dem Darling des Paddocks, ist er nicht geboren.

Und dann beginnt schon das Mittelfeld, in dem fast alle sind, und wo Tausendstelsekunden über Platzierungen und damit über Dutzende von Prämien-Millionen entscheiden werden. In einer Formel 1, in der wieder mehr Mann gegen Mann gefightet wird. 2011 gab es die meisten Überholmanöver seit Jahrzehnten. Vor allem dann, wenn es regnete. Aber Herr über das Wetter im Staate Formel 1 ist nicht mal Bernie Ecclestone. Oder sagen wir lieber: noch nicht.

(c) Die Presse / HR

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2012)

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