Segeln: Das Spiel mit Wind, Wellen und Müll

Sailing boats take part in a practice session ahead of the first test event for the 2016 Olympic Games at the Guanabara Bay in Rio de Janeiro
Sailing boats take part in a practice session ahead of the first test event for the 2016 Olympic Games at the Guanabara Bay in Rio de JaneiroREUTERS
  • Drucken

Österreichs Segler wollen bei Olympia 2016 in Rio de Janeiro Medaillen gewinnen. Vorbereitungen und Testregatten laufen, sie sind aber gewöhnungsbedürftig – das Wasser ist schmutzig. Rios Bucht gleicht einer Müllhalde.

Ist Georg Fundak an Land, findet der Segelkoordinator keine Ruhe. Er trägt stets drei Smartphones bei sich, er zückt auch ein Tablet, der gebürtige Ungar und Segelexperte ist immer informiert. Er will jederzeit wissen, wie es um drei Container voll Segel-Equipment bestellt ist, die der Verband rund um den Planeten positioniert hat. Stets rufen Sportler, Hoteliers oder Manager an, um Informationen für die nächste Station einzuverlangen. Flüge, Zimmer, Boote – Fundak ist seit knapp zwanzig Jahren das Mädchen für alles im österreichischen Segelverband.


Er hat großen Anteil daran, dass Österreich auch als Seemacht wahrgenommen wird. Bei den Sommerspielen 2000 in Sydney gewannen Hagara/Steinacher und der Surfer Sieber Gold. Das Tornado-Duo wiederholte den Triumph 2004 in Athen, Laser-Segler Geritzer besserte die Ausbeute mit Silber auf. Erfolg weckt Interesse, und bleibt er aus, hagelt es Kritik, Missgunst und Unverständnis für hohe Ausgaben. In Peking 2008 und auch in London 2012 blieben Medaillen aus. „Was wollt ihr denn? Delle-Karth/Resch wurden Vierte, wir waren im Finale – jetzt sind wir vor zwei Wochen Europameister im 470er der Damen geworden. Wir sind auf Kurs.“

Nach der Fußball-WM ist vor den Spielen 2016, unter diesem Motto steht der Alltag in Rio de Janeiro. Wenn Fundak vom Kurs spricht, meint er die Route in Richtung Sommerspiele 2016, dann stehen aber nicht nur die Segler, sondern steht Österreichs Sommersport generell auf dem Prüfstand.

Mindestens vier Boote unter rot-weiß-roter Flagge sollen in der Bucht vor Rio durch die Wellen ziehen und im Optimalfall bis zu zwei Medaillen nach Hause bringen. Neben den bereits 2012 in London erprobten Delle-Karth/Resch (49er/vierter Platz) und Matthias Schmid/Florian Reichstädter (470er/neunter Platz) ruhen die Hoffnungen auf zwei neu formierten Booten. Um sich seinen olympischen Traum zu erfüllen, wechselte Thomas Zajac vor zwei Jahren vom Tornado in die für 2016 neu aufgenommene Nacra-17-Klasse und will mit Vorschoterin Tanja Frank im allerersten Mixed-Bewerb die Premierenfahrt unter den fünf Ringen absolvieren. Lara Vadlau segelte bereits 2012 in olympischen Gewässern, damals jedoch im 470er an der Seite von Eva-Maria Schimak. Inzwischen startete die 20-Jährige mit Jolanta Ogar einen Erfolgslauf und die beiden bewältigten unlängst auch die letzte bürokratische Hürde. Bevor das Duo vor Athen zu EM-Gold segelte, hatte die gebürtige Polin Ogar die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten, womit dem gemeinsamen Antreten in Rio nichts mehr im Weg stand.

Vonseiten des Verbands hat man für einen Erfolg in zwei Jahren wahrlich alles unternommen: Drei Psychologen sind im Team dabei, ebenso eine eigene italienische Meteorologin („Elena, mein Wetterfrosch“) und ein aus Einsätzen beim America's Cup versierter Messtechniker und Datenexperte. Das soll mithelfen, das Segelrevier vor Rio „zu verstehen“, sagt Fundak. Sogar Schröcksnadels Zustimmung hat er sich bei einem Segeltreff an der Adria eingeholt. Der Segelverband erhält immerhin jährlich 804.060 Euro vom Projekt Rio 2016. Segeln ist kein billiges Unterfangen. Ein Boot steht mit 10.000 bis 30.000 Euro in der Liste, dazu kommen die Segel, die komplette Ausrüstung. All das verschlingt nebst Reisen, Logistik, Transport und Personal für ein ganzes Team mehrere Millionen pro Jahr.

Abfall aus den Favelas. Doch das Bild von Rio mit sauberem Strand, sauberem Wasser und Sport – das ist ein grobes Missverständnis. Tragen an manchen Tagen bei starker Strömung selbst die Wellen an der Copacabana dunkle Schaumkronen, müssen sich die Segler vor der Bucht der Marina Gloria damit permanent herumplagen. Dazu komme unter dem Zuckerhut, zwischen den Bezirken Flamengo, Gloria und Botafogo, eine „extrem schlechte Wasserqualität“, so Fundak. „Da findest du alles, vom Reifen bis zur Blechdose – hier landet offenbar der ganze Müll aus den Favelas.“ Vom dicken, stinkenden Ölfilm an der Wasseroberfläche ganz zu schweigen.

Seit 2007 geht die Regierung des Bundesstaats Rio gegen die Verschmutzung der Bucht vor, doch wirklich erreicht hat man mit Werbekampagnen und Informationsbroschüren nichts. Noch immer landen Kühlschränke im Wasser – so wundert es kaum jemanden, dass jährlich über 300 Tonnen Müll aus den Buchten rund um Rio gefischt werden. Auch Österreichs Delegation hat beim heute startenden Olympia-Test bereits vorab Kontakt mit unerwünschten Schwimmobjekten gemacht. Fiel der von Delle-Karth/Resch gesichtete tote Hund noch in die Kategorie „ungustiös, aber harmlos“, so endete der Zusammenstoß mit einem riesigen Kunststoffstück vergangene Woche weniger glimpflich und zerstörte das Schwert ihres Boots. Andere Nationen haben dieses Problem ebenfalls längst entdeckt und angeprangert. „Wir haben schon eine Holztür umkurvt“, erzählt der deutsche 49er-Segler Erik Heil. Ein brasilianischer Trainer soll sogar eine längst verblichene Kuh im Meer überfahren haben.

Bei den Spielen sollen Müllboote täglich das Gebiet nach unliebsamen Gegenständen durchforsten, denn das Segelturnier solle eines der Highlights der Spiele werden, sagt Fundak. „Die Nähe zum Strand, der Blick vom Zuckerhut, es gibt riesige Videowalls – es wird ein Hit.“ Also müssten auch Fundaks Sportler besonders um das Areal, die Stärke der Strömungen inner- und außerhalb der Bucht sowie etwaige Hindernisse Bescheid wissen. „Wir sind wie Skifahrer“, sagt Fundak und grinst, denn so habe er das Olympiasegeln einst auch Schröcksnadel erklärt. „Wir fahren wie auf Skiern, über Eiskuppeln und Neuschnee. Nur ist bei uns alles Wasser, und das Boot muss Wind und Wellen folgen. Egal, ob flach, tief oder mit hohen Wellen.“

Brasilien als Kulturschock

Jedes Segelrevier hat seine Tücken, aber in Brasilien ist alles anders. Die Mentalität der Menschen, die Trägheit, die Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit – Spielräume müsse man hier immer einplanen. Daher stehe längst, schon seit fünf Monaten etwa, der ÖSV-Container im Hafen, und sind eine der drei Garnituren Boote, Segel, Masten sowie zwei Motorboote etc. hier verstaut, die schwer bewacht werden. Insgesamt fünf Trainingsbesuche sind bis 2016 angesetzt, denn Segeln ist ein Präzisionssport geworden, so Fundak, der keine Fehler verzeiht. Nicht mehr nur das Material oder die richtige Route entscheidet. Know-how, Nerven, Gewicht, Jetlag und Wind, Fundak war in seinem Element, und all diese Faktoren sprudelten nur so aus ihm heraus. „Wir sind nicht dort, in Rio, aufgewachsen, wir müssen alles erst kennenlernen.“

Nicht minder akribisch wurde zuvor schon das Gewässer vor Santander studiert. Dort soll bereits in wenigen Wochen der nächste große Schritt Richtung Brasilien erfolgen, wenn bei den Weltmeisterschaften vor der nordspanischen Küste (von 8. bis 21. September) die Hälfte aller Olympia-Startplätze vergeben werden. Auch die österreichischen Boote wollen ihr Ticket frühzeitig lösen. Damit der Kurs gen Rio auch beibehalten wird.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.