Olympia-Analyse: Kunstschnee-Festival mit Erfolgsgarantie

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Selbst ohne echten Schnee – Peking wird als erste Stadt der Welt nach Sommerspielen 2022 auch Winterspiele austragen. Konzept, Kosten, TV-Markt und Wirtschaftskraft sind vollkommen überzeugende Argumente.

Wien/Kuala Lumpur. Die Wahl des Austragungsortes der Winterspiele 2022 war keine spannende. Nachdem München, Krakau, Stockholm, Oslo und andere Schnee-Metropolen aufgrund astronomischer Kosten oder Bürgerproteste längst abgewinkt hatten, waren nur noch Kasachstan mit Almaty und China mit Peking im Rennen. Obwohl Almaty durchaus eine gewachsene, wenn auch kleine Wintersport-Tradition hat, mit einer Skisprungschanze und einer legendären Eisschnelllaufbahn, ja sogar echten Schnee vorweisen kann, unterlag der Außenseiter dem Kontrahenten aus China.

Bei der 128. Session des Internationalen Olympischen Komitees in Kuala Lumpur waren 85 IOC-Mitglieder wahlberechtigt. Eine elektronische Panne verhinderte den Entscheid per Knopfdruck, also wurde transparent per Zettel abgestimmt. Peking erhielt 44 Stimmen, Almaty 40, ein Zettel wurde ungültig aus dem Topf gefischt. Asien wird damit nach 2018 in Pyeongchang (Südkorea) und 2020 in Tokio dreimal hintereinander Schauplatz Olympischer Spiele sein. Für die lokale Wirtschaft ist das ein Segen, für die Sommerspiele 2024 ein sehr deutliches Signal für Amerika.

Wer Geschichte schreibt

Dass in Peking, einer Industriestadt mit 21,5 Millionen Einwohnern, im Durchschnitt pro Jahr ein Millimeter Schnee fällt, spielte bei der Entscheidungsfindung vermutlich keine Rolle. Ob auch alle honorigen IOC-Mitglieder sämtliche Evaluierungspapiere, Umweltverträglichkeitsstudien oder Einwände und Bewertungen diverser Kommissionen überhaupt gelesen haben, ist zwar höchst fraglich, letztlich aber von keinerlei Relevanz. Das in Lausanne als Verein notierte IOC wollte offenbar auch zwingend Geschichte schreiben.

Peking ist nun die erste Stadt der Welt, die nach Sommerspielen 2008 vierzehn Jahre später auch Winterspiele austragen wird. Wirtschaftswelt, Sponsoren, TV-Imperien und Chinas Regime sind begeistert. Die Sportwelt staunt, insgeheim hat aber jeder diese Entscheidung kommen sehen. Für Menschenrechtsorganisationen ist keine der beiden Optionen eine gute Wahl gewesen.

Die Erinnerungen an die gigantischen Sommerspiele 2008 sind frisch. Es war einen Monat lang heiß bis erdrückend schwül, eigene Wetterraketen brachten jedoch Erlösung in Form von Regen. Polizei- und Militärpräsenz waren immens, aber keineswegs irritierend wie manchmal in London 2012. China war perfekt organisiert, mit neuen, topmodernen Stadien samt LED-Wänden. Selbst die Bäume rund um die Stadien sahen täglich frisch gestrichen aus – manch einer munkelte zwar, dass nächstens ein Sprühfahrzeug mit Farbe angerückt war, Beweise blieben aber aus . . .

Im „Vogelnest“, dem Olympiastadion, fanden spektakuläre Sprints statt, 50.000 und mehr Menschen genossen jeden Abend ein Event. Hier lief der Jamaikaner Usain Bolt Weltrekord; seitdem aber blieb es oft unbenutzt. Manchmal ein Fußballspiel, oder eine Motorsportveranstaltung, die weltweit einen Tag lang für Schlagzeilen sorgte. 2022 werden hier Winterspiele mit Eröffnungs- und Schlussfeier begeistern.

Peking setzte bei der Kandidatur auch auf bestehende Infrastrukturen, politische Stabilität, die wirtschaftliche Kraft – zumindest ist gewiss, dass diese Spiele der zuletzt stockenden Wirtschaft neuen Antrieb verleihen werden. Olympia ist ein Geschäft, das IOC verdient allein in der Periode von 2018 bis 2020 sechs Milliarden Euro an TV-Geldern, da bleibt auch ein ansehnlicher Betrag (ca. 800 Mio. Euro) für die Austragungsorte übrig.

Es ist aus dieser Sicht also bemerkenswert, dass westliche Länder sich gegen diese sündteuren Großevents sträuben, sie aber in „klassischen Dollar-Ländern“ wie Katar, Russland, China, Aserbaidschan (European Games) etc. hoch im Kurs stehen.

Distanzen? Welche Distanzen?

Was alles mit dem verglichen mit Sommerspielen eher unbeliebten Winterprogramm möglich ist, zeigte 2014 Sotschi vor. Präsident Wladimir Putin hatte beim Kongress in Guatemala 2007 Stimmung für sein wie auf dem Reißbrett entworfenes 50-Milliarden-Dollar-Projekt gemacht. Er hatte am Abend vor der Abstimmung zum Dinner geladen, danach hatten alle vergessen, welche Distanzen zwischen Krasnaya Poljana in den Bergen und Adler am Schwarzen Meer lagen. 2006 stieß sich jedoch auch kein IOC-Mitglied daran, dass bei den „Agnelli-Games“ zwischen Turin und Sestriere 102 Kilometer und elende Serpentinenfahrten lagen.

Ähnliches wartet China auf: Wettbewerbe, die keinen Schnee benötigen, finden in Peking statt. Eishockey-Bewerbe im ehemaligen Schwimmstadion „Water Cube“, für Eisschnelllauf und Curling soll es eine neue Halle geben. Andere Sparten wie Ski, Skispringen etc. sind im 190 Kilometer entfernten Zhanjiakou zu bewundern. Ein Hochgeschwindigkeitszug soll die Fahrtzeit auf 70 Minuten verkürzen; die nach Yanqing (Bob, Rodeln, Skeleton) auf 20 Minuten. Erosion der Hänge, Umweltprobleme und Trockenheit, alles kein Problem; es wird doch ohnehin ein Kunstschneefestival.

Den größten Unterschied zu allen Vorgängern demonstrieren die Chinesen allerdings mit ihrem erstaunlich geringen Budget: 3,1 Milliarden Dollar wurden veranschlagt. Dass die Ausgaben 2008 47 Milliarden Dollar betrugen, spielt im „Reich der Mitte“ keine Rolle mehr. Die Zukunft gehört ab sofort dem Wintersport . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.08.2015)

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