Flüchtlinge – die Symbolkraft des Dabeiseins

Syrian swimmer Mardini attends a news conference in Berlin
Syrian swimmer Mardini attends a news conference in Berlin(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Yusra Mardini, 18, startet im Team Refugee in Rio. Die Syrerin will zeigen, „dass Menschen wie ich nicht nur Opfer sind, sondern auch etwas leisten können“.

Rio de Janeiro/Wien. Olympia ist eine Show, von TV-Zeiten geregelt – aber für Sportler das höchste Gut. Es findet nur alle vier Jahre statt, die fünf Ringe gelten als Symbol für Einsatz, Wettkampf, Kraft, Sieg, Erfolg – und neuerdings auch für Nächstenliebe. Kaum ein anderes Thema emotionalisierte zuletzt so stark wie die Geschichten und Probleme der Flüchtlinge. Es bietet Spannungsfelder, Ablehnung, Zustimmung, die Geschichten dieser Menschen garantieren Interesse. Und in Spannungsfeldern wird das Internationale Olympische Komitee gern aktiv.

Dopingkonflikte, Verträge, Geld, Korruption – zumeist sind es die gleichen Themen. Aber Millionen von Menschen ohne Heimat, Ziele und Idole? Das IOC setzte ein Signal: In Rio wird ein zehnköpfiges Flüchtlingsteam teilnehmen. Am 5. August zur Eröffnungsfeier wird unter der IOC-Flagge das Team Refugee ins Maracanã einmarschieren.

Zwei Mädchen retten 20 Menschen

Vier Frauen sind darunter, allen voran die 18-jährige Yusra Mardini. Sie war 2015 aus Syrien geflohen, fand in Deutschland ein neues Zuhause und im Schwimmsport nicht nur Ablenkung, sondern eine neue Herausforderung, eine Aufgabe. In Rio geht es für sie gar nicht um Medaillen, Siege oder ihre Platzierung über 100 Meter Freistil und 100 Meter Schmetterling, es ist der schlichte Gedanke des Dabeiseins. Vor allem will sie ihr Leben, ihre Erlebnisse erzählen.

Was Mardini erzählt, geht unter die Haut. Ihre Flucht führte von Damaskus über Beirut, die Türkei und nach Griechenland. In dem Boot, in dem sie saß, „konnten nur drei von 20 Leuten schwimmen“. Es kenterte in der Ägäis, sie und ihre Schwester sprangen ins Wasser, halfen allen zurück und zogen das Boot Stunden bis ans rettende Ufer. Persönliche Sachen quetschte sie in die Schwimmweste, als diese verloren ging, „wusste ich: ,Jetzt hast du nichts mehr.‘“ Sie habe das Meer dafür gehasst, doch den Wellen längst verziehen. In Berlin begann schließlich ihr „zweites Leben“. Sie fand Freunde, in Spandau ihre Schwimmgruppe, mit Sven Spannekrebs einen Trainer.

Wie für Jugoslawien 1992

Ihr Team wird auch im Olympiadorf in Barra wohnen. Das IOC stellt alle Wohnungen, Betreuer, Ärzte und Physiotherapeuten. Gewinnt einer eine Medaille, wird – wie zuletzt 1992 in Barcelona – die olympische Fahne gehisst, die IOC-Hymne gespielt. Durch den Balkan-Krieg war Jugoslawien damals von allen internationalen Bewerben, auch von der Fußball-EM, ausgeschlossen. Jasna Šekarić (Silber, Luftpistole), Aranka Binder (Bronze, Luftgewehr) und Stevan Pletikosić, (Bronze, Kleinkaliber liegend) durften aber dennoch ihren persönlichen Triumph genießen.

Yusra Mardini will auch träumen, die Spiele in Brasilien genießen, für einen kurzen Augenblick nach den Rennen einfach nur die Augen schließen. Der Teenager strahlt, sie gilt als „das Gesicht“ dieser Kampagne. Sie sagt: „Viele sind durch mich inspiriert. Ich will sie nicht enttäuschen. Flüchtlinge sind nicht nur Opfer. Wir können etwas leisten, erreichen. Wir sind jemand.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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