Basketball: „Amerika? Unser System ist doch kaputt!“

NBA: New York Knicks at New Orleans Pelicans
NBA: New York Knicks at New Orleans PelicansUSA Today Sports
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Carmelo Anthony, 32, könnte als erster Basketballer dreimal bei Olympia gewinnen. Der Knicks-Star hebt jedoch die Rolle des Teams hervor, predigt Zusammenhalt.

Rio de Janeiro. Sind sie nun eine schlechte Kopie, ein Abklatsch des Dream Teams von 1992 rund um Michael Jordan und Magic Johnson oder tatsächlich die wahren Erben der Basketball-Ikonen? Es ist nicht nur eine Stilfrage, die den Auftritt der US-Basketballer bei Olympia in Rio de Janeiro begleitet; diese Debatte spaltet seit jeher die Gemüter der Sportwelt.

Alte Generationen werden stets für besser gehalten, der Mythos der Legende lässt Fehlwürfe schnell vergessen. Auch hat sich das Spiel gewandelt, es ist schneller und härter geworden; in der National Basketball Association (NBA) sind mehr Europäer unterwegs denn je. Und auch das verändert das Spiel.

Geht es nach Carmelo Anthony, dem Star der New York Knicks, waren zwar Jordan und Co. eine Klasse für sich, doch gegen die heutige Mannschaft wären sie auf verlorenem Posten. Der Forward, 32, sieht allerdings eine ganz andere Botschaft als obersten Auftrag, der in Brasilien zu erfüllen sei.

Es gehe nicht – trotz einer Unzahl von Absagen diverser Stars à la LeBron James – nur um drittes Gold in Serie, nach Peking 2008 und London 2012, sondern vielmehr darum, der Heimat zu zeigen, was Zusammenhalt bedeute, was es heißt, ein Team zu sein. „Besonders in diesen Zeiten, in denen so viel passiert in unserem Land, sind wir das Gesicht der USA. Gold wird der Welt zeigen, dass wir trotz all des Aufruhrs vereint sind.“ Anthonys Worte imponieren, immerhin wäre er der erste Basketballer mit drei Goldmedaillen. Aber das will er nicht an vorderster Stelle wissen, er sagt: „Im Wort ,Team‘ gibt es kein i.“ I steht für „ich“.

Gewalt, Mord – alte Probleme

Schießereien, brutale Polizeigewalt gegen Afroamerikaner, Morde – Anthony zählte im Presseraum Samba in Barra Gründe sonder Zahl auf, warum die Welt an Amerika zweifeln könnte. „Das System ist kaputt“, sagte er. „Das Problem ist nicht neu, die Gewalt ist nicht neu, der Konflikt ist nicht neu. Aber die Dringlichkeit, Veränderung herbeizuführen, ist so groß wie noch nie.“

Damit setzt sich die aktuelle Generation deutlich von ihren Vorgängern ab. Jordan und Co. verzückten bei ihrem legendären Auftritt 1992 in Barcelona sportlich, Gegner standen Schlange um Autogramme, aber politisch blieben US-Profis bis dato zumeist stumm. Legendär und erinnerlich ist diesbezüglich nur ein Ausspruch der Werbeikone Jordan: „Auch Republikaner kaufen Sneaker.“

Anthony und Co. haben in ihren Bemühungen die volle Rückendeckung des Verbandes. „Wir unterstützen die Spieler dabei“, sagte Manager Jerry Colangelo. „Sie werden überall auf der Welt erkannt. Wenn sie sprechen, hören die Leute ihnen zu. Wir haben so viele Probleme in der Welt – nur ein Mensch kann den Unterschied machen und etwas ändern.“

Seit dem Bronze-Flop in Athen 2004 sind die USA bei Olympia siegreich – dank der Härte und Systemtreue von Coach Mike Krzyzewski. Doch der Vergleich mit 1992 kommt immer wieder. Dabei lieferte der Blick auf die Partie gegen China die beste Antwort. Team USA gewann mit 119:62, die Defensive war hervorragend – solange es um etwas ging. Die Offensive hatte System und Ordnung, solange es sein musste. Als der Sieg zur Halbzeit (59:30) sicher war, spielten Durant, Anthony und Co. so, als wäre es ein All-Star-Game, bei dem sich keiner wehtut. Das ist ein Unterschied zu 1992, damals begann das lockere Schaulaufen gleich mit dem Aufwurf, jeder Gegner war in Ehrfurcht zum Zuschauer geworden. Und die zweite gravierende Differenz? In der Gegenwart will kein Gegner mehr ein Autogramm haben. Es gibt keinen Mythos, keine Magier mehr. (fin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2016)

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