Schmerzlinderung auf Brasilianisch

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Das Trauma der Heim-WM 2014 war nicht zu überwinden. Dass Brasilien im Endspiel aber ausgerechnet gegen Deutschland gewann, tat der brasilianischen Volksseele unendlich gut.

Rio. Niemand, Lionel Messi und Cristiano Ronaldo ausgenommen, kann sich vorstellen, was es bedeutet. Wie viel Leistungsdruck kann ein Mensch, ein Sportler, ertragen? Wie hoch kann die Erwartungshaltung von Fans und Medien an eine Person sein? Neymar da Silva Santos Júnior, kurz Neymar, ist ein begnadeter Fußballer, in Brasilien beherrscht das Spiel definitiv niemand besser als er. Schon als Teenager wurde er in seiner Heimat verehrt und gefeiert, sein Transfer nach Europa zum FC Barcelona im Sommer 2013 festigte seinen Kultstatus.

Wer, wenn nicht er, soll also den Erfolg der brasilianischen Nationalmannschaft sicherstellen? Wer es versteht, den Ball derart geschickt zu behandeln, der muss stets vorangehen. Als sich bei der WM vor zwei Jahren der Fokus der Fußballwelt auf Gastgeber und Titelanwärter Brasilien richtete, erlebte Neymar zum ersten Mal die ganze Brutalität des Spiels. Im Viertelfinale gegen Kolumbien von Gegenspieler Juan Zúñiga böse verletzt, konnte er seiner Mannschaft, ja seinem Land, im weiteren Turnierverlauf nicht mehr helfen. Das 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland war nicht nur eine sportliche Schmach in Reinkultur, nein, das war ein nationales Drama.

Eine schicksalhafte Begegnung

Zwei Jahre später sind die Wunden der Brasilianer nicht verheilt, ist das Trauma nicht überwunden. Jedoch, die Olympischen Spiele wirkten schmerzlindernd. Es hatte unbestritten schicksalsträchtigen Charakter, dass das Finale die Auswahlen von Brasilien und Deutschland zusammenführte, die Stätte des Geschehens war eine weltberühmte. Das Maracanã versprühte wieder seine Magie, und keiner der vielen Tausenden Brasilianer im Stadion wollte auch nur ansatzweise daran denken, was eine erneute Niederlage gegen Deutschland für die Volksseele bedeuten würde.

Gold im Fußballturnier der Männer, das erste der Geschichte, hatte in Brasilien absolute Priorität. Auch Volleyball und Beachvolleyball genießen höchstes Ansehen, an König Fußball aber führt kein Weg vorbei. Umso beängstigender verlief der Auftakt dieses Turniers. Jeweils 0:0 gegen Südafrika und den Irak, eine Pein.

Im Kreuzfeuer der Kritik stand, wer sonst, Neymar. Zunächst enttäuschte der Superstar, erst im Viertelfinale erzielte er sein erstes Tor. Da hatten brasilianische Zeitungen ihre Leser schon dazu aufgerufen, Neymar-Trikots gegen Dressen von Marta, der besten Fußballerin des Landes, zu tauschen. Doch der 24-Jährige steigerte sich, im Finale (5:4 nach Elfmeterschießen, 1:1 nach Verlängerung) bot er seine beste Leistung. Nachdem er schon in der regulären Spielzeit per Traumfreistoß getroffen hatte, war es natürlich auch Neymar, der den letzten und entscheidenden Elfmeter verwandelte. Es war der Schuss ins Glück, begleitet von grenzenlosem Jubel und Tränen der Erleichterung. „Das ist eines der besten Dinge, die mir je in meinem Leben passiert sind“, sagte der Superstar, der nach dem Spiel ankündigte, sein Kapitänsamt niederlegen zu wollen.

Diese Botschaft ging im Sog der Emotionen regelrecht unter, Brasilien wollte den Moment des Triumphs in vollen Zügen genießen. „Ich bin sicher, dass dieser Sieg den Brasilianern Stolz und Selbstvertrauen gibt“, erklärte Trainer Rogério Micale. „Der brasilianische Fußball ist nicht tot.“

AUF EINEN BLICK

Brasilien hat mit einem Finalerfolg über Deutschland (5:4 nach Elfmeterschießen) erstmals Olympia-Gold im Herrenfußball gewonnen. Für die Gastgeber galt dieser Erfolg als der bedeutendste bei den Spielen in Rio. Brasiliens Frauenauswahl enttäuschte und verlor die Begegnung um Bronze (1:2 gegen Kanada).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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