ÖSV-Adler: Sorgenfall statt Medaillengarant

Das Flutlicht ist doch ein effizienter Wegweiser: ÖSV-Adler Stefan Kraft bei der Qualifikation von der Normalschanze in Südkorea.
Das Flutlicht ist doch ein effizienter Wegweiser: ÖSV-Adler Stefan Kraft bei der Qualifikation von der Normalschanze in Südkorea. (c) APA/HELMUT FOHRINGER
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Kraft, Hayböck und Co. droht bei Olympia der nächste Absturz. Cheftrainer Heinz Kuttin sagt: „Sie sind eben keine Maschinen.“

Österreichs Skispringer, das muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, sind aus der Sicht des erfolgsverwöhnten Skiverbands neben Kombinierern und Biathleten bislang die größte Enttäuschung dieses Olympiawinters. In der Vergangenheit waren sie stets verlässlicher Medaillenlieferant bei Großereignissen, nun aber drohen die heimischen Adler in Pyeongchang erstmals seit Salt Lake City 2002 wieder leer auszugehen.

Die bisherigen Saisonhöhepunkte Vierschanzentournee und Skiflug-WM in Oberstdorf verliefen höchst ernüchternd, manche meinen sogar fatal. Einzig Stefan Kraft sprang dreimal auf das Podest, das letzte Erfolgserlebnis liegt eine gefühlte Ewigkeit zurück. Es gelang Mitte Dezember mit Platz drei in Engelberg.

Filigrane Wesen

Das Team rund um Cheftrainer Heinz Kuttin gibt seit Monaten unentwegt Rätsel auf, den Vorwurf von Versäumnissen in der Materialschlacht oder falschen Zielsetzungen in der Vorbereitung wies man im Verband stets entschieden zurück. Auch ÖSV-Direktor Ernst Vettori beteuerte, sich keiner Schuld oder Fehler bewusst zu sein. Skispringer sind filigrane Wesen, ihre Formkrisen ermöglichen keinerlei schlüssige Erklärungen Außenstehender.

Kuttin und Co. üben sich somit vor der ersten Entscheidung am Samstag von der Normalschanze (13.35 Uhr, live ORF eins) also in purem Zweckoptimismus. Kuttin sagt: „Wir haben absolut nichts zu verlieren, können nur viel wiedergutmachen.“

Im Gespräch mit der „Presse“ wirkt der 47-Jährige zuversichtlich, die Dinge doch noch zum Positiven zu verändern. Doch die bisherige Seuchensaison hat Spuren beim Trainer hinterlassen, der im Februar 2017 noch als doppelter Weltmeistermacher von Stefan Kraft gefeiert worden war. „Bis jetzt hat der Winter gar keinen Spaß gemacht“, gibt der Kärntner unumwunden zu. Dabei sind Skispringen und Spaß eine unzertrennliche Kombination, sinnt man denn nach Erfolg. Fehlt der Spaß, dann fehlt prompt die notwendige Lockerheit. Und zwischen Zitterbalken und Auslauf setzt Verkrampfung ein. Es klingt zu simpel, aber so einfach kann der Hightech-Sport Skispringen mitunter sein.

Zugegeben, Österreichs Team war in diesem Winter bisweilen nicht vom Glück verfolgt. Verletzungen von Michael Hayböck und Gregor Schlierenzauer warfen nicht nur die beiden Betroffenen weit zurück, sie verpassten der gesamten Mannschaft einen argen Dämpfer. Im Skispringen, davon ist Kuttin überzeugt, sei das „Wir-Gefühl stark ausgeprägt“, obwohl, abgesehen vom Mannschaftsspringen, doch jeder letzten Ende nur seines eigenen Glückes Schmied ist.

Auf der Suche nach dem Flow

Ein einziger Sieg eines ÖSV-Springers würde alle anderen schlagartig besser machen, das versichert der Kärntner. „Wenn du den Besten in den eigenen Reihen hast, dann wächst einfach jeder auch schneller über sich hinaus, kommt ein ganz anderes Selbstwertgefühl zum Tragen.“ Als Beispiel nennt Kuttin gern die WM 2017 im finnischen Lahti. „Da hat Stefan (Kraft, Anm.) im Einzel alles niedergerissen, so sind dann auch im Team zwei Medaillen dabei herausgekommen.“ In diesen angestrebten Flow-Zustand, in dem alles wie von allein zu funktionieren scheint, hat weder Kraft noch einer seiner Kollegen in dieser Saison gefunden. „Aber wir sind eben keine Maschinen, Gott sei Dank.“ Nur: Was, wenn dieser Zustand partout nicht mehr erreicht wird?

Vieles, wahrscheinlich sogar alles hängt auch in Pyeongchang (einmal mehr) von Stefan Krafts Flugkurve ab. Doch selbst der Doppelweltmeister, Gesamtweltcupsieger der Vorsaison und Skiflugweltrekordhalter mit 253,5 Metern hadert und grübelt, nachdem er sich in der Saisonvorbereitung noch immens stark präsentiert hat. Kuttin: „Wenn vorher immer der Einser aufleuchtet und dann nicht mehr, fängst du automatisch an nachzudenken.“

Sprung des Musterschülers

Dass sein Musterschüler bei der Olympia-Generalprobe vor einem Jahr im Alpensia Jumping Park mit den Plätzen eins (Großschanze) und zwei (Normalschanze) seine Podest-Ambitionen unterstrich, diesem Umstand möchte Kuttin momentan nicht allzu viel Bedeutung beimessen. „Es ist immer gut, an einen Ort zurückzukehren, wo man schon gewonnen hat. Aber unterm Strich kann er sich davon nichts kaufen.“

Olympia-Programm

Freitag (12 Uhr, live ORF eins) werden die Olympischen Spiele in Pyeongchang offiziell eröffnet.

In der Nacht auf Samstag tritt Clemens Millauer in der Qualifikation für den Snowboard-Slopestyle-Bewerb (2 Uhr) an. Die Ski-Herren bestreiten das zweite Abfahrtstraining (3 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.02.2018)

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