Die Mär vom "Wunder der Natur"

Mit dem Start der Tour de France und Rekorden in der Leichtathletik werden Doping-Diskussionen wieder wach. Die Mär vom "Wunder der Natur".

Radklassiker wie die Tour de France sind mitreißend, Bergankünfte und Sprints faszinieren. Der Antritt der Athleten ist bewundernswert, jedoch liefert er immer wieder einen schalen Beigeschmack. Die 102. Auflage war nicht einmal gestartet, da gab es schon den Aufschrei. Lars Boom durfte trotz auffälliger Cortisol-Werte (Stresshormon für Stoffwechsel) starten, das Astana-Team ignorierte die eigenen Regeln – der Niederländer selbst bestritt alle Anschuldigungen.

Ähnliche Phänomene tummeln sich auch in der Leichtathletik, die mit ihren Disziplinen Anmut, Konzentration, Kraft und Zielstrebigkeit verkörpert. Stars gewinnen mit Spitzenzeiten, es gibt Rekorde. Aber nach Dopingfällen sonder Zahl fällt es mündigen Zuschauern irgendwann schwer, die naive Hoffnung des dopingfreien Spitzensports zu pflegen.

Die Liste gedopter Toursieger ist lang, und es mutet wie ein skurriler Gag an, dass auch Lance Armstrong (zur Erinnerung: ihm wurden alle sieben Siege wegen der Zuhilfenahme diverser Substanzen aberkannt) jeweils einen Tag vor den Profis mit Hobbyradlern die Strecke der 13. und 14. Etappe bestreiten soll. Es dient karitativen Zwecken, zumindest kommt Geld in die Kasse dieser Einrichtung. Nur ob das dem Sport generell dienlich ist?

Alle Sportler pauschal zu verurteilen, ist falsch. Solange man nicht erwischt wird, gilt er/sie, ähnlich dem Strafrecht, als unschuldig. Nur, was soll man sich jetzt etwa im Fall des US-Sprinters Justin Gatlin denken? Er läuft schneller als zu gedopten Zeiten...

2004 gewann Gatlin Olympiagold über 100 Meter in 9,85 Sekunden. Es folgten 2005 WM-Gold über 100 und 200 Meter, 2006 der tiefe Fall. Gedopt, als Wiederholungstäter ertappt und als Kronzeuge kurz gesperrt. Insgesamt fünf Jahre musste der US-Sprinter in seiner Karriere schon pausieren, nun läuft er als 33-Jähriger so schnell wie noch nie. 19,57 Sekunden über 200 Meter und 9,74 Sekunden über 100 Meter. Vor der WM in Peking (ab 22. August) feiert Amerikas gebeutelte Sprint-Kultur eine plötzliche Renaissance. Es passt in dieses fragwürdige Saubermann-Image, dass heuer mit Tyson Gay just ein 2013 wegen Dopings gesperrter Läufer den US-Titel über 100 Meter eroberte.

Der Sport braucht härtere Gesetze, Strafen müssen länger werden. Es würde das Dopingproblem zwar nicht lösen, aber der Zuschauer käme sich nicht mehr verhöhnt vor.

markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2015)

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