Ein Steilpass in die tiefe des Sports

„Hast du Karten? Wenn nicht, wo und bei wem kann ich welche bekommen?“ Das Fußball-Nationalteam ist tatsächlich ein Phänomen, denn ist es erfolgreich, hat man plötzlich sofort wieder so viele gute Freunde.

Marcel Koller und das Fußballteam haben in dieser Woche für eine Euphorie gesorgt, wie sie Sport-Österreich nicht einmal bei wirklich epochalen Skierfolgen erlebt hat. Offenbar steht der Ball in der emotionalen Wahrnehmung doch über den Skiern; zumindest kann auch wirklich jeder gegen einen Ball treten.

Die Qualifikation für die Euro 2016 beendete nicht nur eine Durststrecke – Österreich hatte es zuvor noch nie aus eigener Kraft geschafft –, nein: Es weckte auch mit der Begeisterung ein schier unstillbares Verlangen nach Karten. Das Telefon klingelte oft, mehrmals fragten lange weder gesehene noch gehörte Freunde: „Hast du Karten? Wenn nicht, wo und bei wem kann ich welche bekommen?“ Es ging nicht um Euro-Tickets, das Gros will beim Finale am 12. Oktober gegen Liechtenstein dabei sein. Man will Tore sehen, mit Alaba jubeln, ein Fest feiern – man will im Fahnenmeer mitschaukeln.

Das Procedere, wie man zu Euro-Tickets gelangt, verdient allerdings eine genauere Betrachtung. Die erste Verkaufsphase der Uefa ist schon längst wieder vorbei. Sie lief von 10. Juni bis 10. Juli, am 15. August erfuhren manche von ihrem Fußball-Abenteuer 2016 in Frankreich. Es ist ein simples E-Mail, es kann auch ein SMS sein in manchen Ländern. Die Benachrichtigung garantiert so oder so einen Freudenschrei.

Eine zweite Verkaufstranche startet mit der Auslosung der Gruppenphase am 12. Dezember, und damit lebt für wirklich jeden Teilnehmer weiterhin die Chance auf vier Tickets – das ist die Maximalbestellung pro Person. Warum? Man registriert sich, gibt seinen Kartenwunsch auf und muss hoffen, Daumen drücken, wie ein Trainer an der Seitenlinie zittern. Die erfolgreichen Bewerber werden abschließend nicht per Telefonanruf, Protektion, Freundschaft oder – manche nennen es Vitamin B –, gewählt, sondern per Zufallsverfahren. Jeder darf sein Glück auf diesem Online-Portal versuchen:

de.uefa.com/uefaeuro/finals/ticketing
Auch der ÖFB erhält sein eigenes Kontingent, das Ausmaß ist jedoch abhängig vom Austragungsort und dem Fassungsvermögen des Stadions. Wer sich dem Team nahe wähnen will während des Turniers, sollte sich ein Quartier in Südfrankreich suchen, vorzugsweise nahe Marseille. Das ist nicht nur wegen der Stadt und des Klimas ein besonders gut gemeinter Tipp...

Hoch im Euro-Kurs stehen „Follow-your-team“-Karten. Man sieht jedes Spiel seiner Mannschaft, auch sie kann man online bestellen; und muss gelost werden. Angesichts des nationalen Echos und der für diese Erhebung getrost relevanten Anzahl von Anrufern kann man von einem Faktum schon jetzt ausgehen: Jedes Österreich-Spiel wird ausverkauft sein. Ob nach der Euro das Telefon jemals wieder so oft klingeln wird?

markku.datler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.09.2015)

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