Jürgen Melzer: "Mit Negativschlagzeilen leben gelernt"

Juergen Melzer Negativschlagzeilen leben
Juergen Melzer Negativschlagzeilen leben(c) GEPA pictures (GEPA pictures Matthias Hauer)
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Vor dem ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres, den Australian Open in Melbourne, spricht Jürgen Melzer über sich wiederholende Niederlagen gegen Außenseiter und Rücktrittsforderungen im Internet.

Ihre Generalprobe für die Australian Open verlief nicht nach Wunsch. In der ersten Runde des Vorbereitungsturniers von Auckland haben Sie gegen Greg Jones, die Nummer 373 der Weltrangliste, mit 6:7, 2:6 verloren. Eine solche Enttäuschung ist nicht innerhalb von 24 Stunden vergessen...

Jürgen Melzer: Nein, das braucht schon seine Zeit. Vor allem deshalb, weil die Niederlage unerwartet kam. Ich hatte in der Vorwoche in Brisbane das Viertelfinale erreicht, auch gut trainiert.

Und dann ist in Auckland was passiert?

Je länger das Spiel gedauert hat, desto verkrampfter bin ich geworden. Ich habe nicht mehr gespielt, um zu gewinnen, sondern nur noch, um nicht zu verlieren. Mein Gegner ist immer aktiver geworden, ich immer passiver. Letztlich habe ich auf Fehler gewartet, die Jones nicht gemacht hat. Er hat seine Chance an diesem Tag genutzt. Auch wenn er momentan ganz gut spielen mag und ich seine Leistung nicht schmälern will: Wenn ich eine normale Leistung abrufe, verliere ich das Spiel nicht.

Ihre letzte empfindliche Niederlage gegen einen deutlich schlechter gereihten Spieler mussten Sie erst vor knapp vier Monaten verkraften. Bei den US Open haben Sie in Runde eins gegen einen gewissen Bradley Klahn, ATP-Nummer 489, verloren. Ist Ihnen dieses Spiel zwischenzeitlich durch den Kopf gegeistert?

Ehrlich gesagt, ja. Ich habe gewusst, wo Jones in der Weltrangliste steht, wie er im Normalfall spielt. Leider ist mir eine solche Niederlage nicht zum ersten Mal widerfahren. So etwas darf eigentlich nicht, kann aber immer passieren. Das Tennis ist nahe zusammengerückt.


Betrachtet man die nackten Zahlen, fällt so eine Niederlage eindeutig in die Kategorie „Blamage“.

Klar. So eine Niederlage ist natürlich auch ein Fressen, um Schlagzeilen zu produzieren. Die habe ich in gewisser Weise ja auch verdient und damit leben gelernt. Mich würde nur interessieren, ob in den rumänischen Zeitungen das Gleiche stand, nachdem vor mir Victor Hanescu (ATP-Nummer 61) in der letzten Qualifikationsrunde gegen Jones verloren hatte.

Einige heimische Tennisfans haben Sie danach im Internet bereits zum wiederholten Male zum Rücktritt aufgefordert. Beschäftigen Sie sich mit dieser direkten Kritik, oder schütteln Sie schlicht den Kopf darüber ?

Mir sind solche Meldungen im Endeffekt einfach nur egal. Im Internet gibt es eben viele User, die meinen, lustig zu sein. Ich höre dann auf, wenn ich glaube, dass ich aufhören muss. Und nicht, wenn es irgendjemand im Internet fordert.

Mit welchem Gefühl starten Sie in Ihre zwölften Australian Open?

Grundsätzlich mit einem guten. Ich bin körperlich voll auf der Höhe, habe keinerlei Probleme. Allein dieses Wissen, fit genug zu sein, um fünf Sätze zu laufen, ist wichtig. Wenn ich auf dem Platz stehe, ist das Spiel gegen Jones vergessen. Dann arbeite ich an meinem Ziel: Das Erreichen der dritten Runde muss mein Anspruch sein.

Sind Grand-Slam-Turniere in Ihrer Wahrnehmung immer noch etwas Besonderes? Immerhin ist es Ihr 45. Major-Event.

Irgendwann kennt man natürlich alles, wenngleich sich immer wieder Kleinigkeiten verändern. Aber für jeden Profi ist es das Größte, an einem Grand-Slam-Turnier teilzunehmen. Daran hat sich bei mir auch mit den Jahren nichts geändert.

Geben Sie uns bitte einen kurzen Ausblick auf die Saison. Djoković, Federer, Murray, vielleicht Nadal: Duellieren sich die üblichen Verdächtigen um die großen Titel?

Ich rechne mit einem ausgeglichenen Vierkampf. Vielleicht kann Juan Martín del Potro phasenweise mitmischen. Besonders gespannt bin ich auf Murray. Seit seinen Siegen bei Olympia und den US Open hat er das Wissen, dass er zur absoluten Elite gehört. Ihm traue ich auch die Nummer eins zu. Wenn Rafael Nadal zurückkommt, bin ich mir sicher, dass er sofort wieder ganz oben mitspielt. Auf Sand wird er weiterhin derjenige sein, den es zu schlagen gilt.

Welchen jungen Spielern trauen Sie es 2013 zu, in die Weltspitze vorzustoßen und auch die Großen zu ärgern?

Milos Raonic (22) und Grigor Dimitrov (21). Raonic kann unglaublich servieren, ihn sehe ich am Ende des Jahres in den Top Ten. Mit Dimitrov habe ich selbst erst in Brisbane Bekanntschaft gemacht. Ein Riesentalent, dessen Weg heuer in die Top 15 führen könnte. Sonst muss man immer erst abwarten, wie sich die Saison entwickelt. Manchmal stößt jemand empor, den man noch gar nicht kennt.

Und wie ist es um Ihre Doppelambitionen bestellt?

Ich werde mit Standardpartner Philipp Petzschner die großen Turniere spielen. Wir wollen wieder an die Spitze anschließen, uns für das Masters der besten acht Doppel qualifizieren. Für die Australian Open musste Philipp wegen einer Oberschenkelverletzung leider absagen. Ab Februar sollte er wieder einsatzbereit sein.

Wird Ihr Trainer dann noch der deutsche Ex-Profi Alexander Waske sein?

Ja. Wir haben uns darauf verständigt, länger zusammenzuarbeiten.

Steckbrief

1981
Jürgen Melzer wird am 22. Mai in Wien geboren.

1999
startet er seine Profi-Karriere. In Wien gewinnt er gleich sein erstes ATP-Match.

2006
Der Linkshänder triumphiert beim Turnier in Bukarest. Drei weitere Titel sollen folgen. In der Wiener Stadthalle trägt sich Melzer zweimal (2009, 2010) in die Siegerliste ein.

2010
Melzer erlebt das beste Jahr seiner Karriere. Er erreicht das Halbfinale der French Open und legt die Basis für seinen Vorstoß in die Top Ten, die er im Frühjahr 2011 erreicht. Zudem gewinnt er das Doppel in Wimbledon. Melzer wird Österreichs „Sportler des Jahres“.

2012
Melzer bestreitet seine 15. Profi-Saison, die erste als Ehemann. Am 14. September des Vorjahres heiratete er die Tschechin Iveta Benešová.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2013)

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