Der Aufschrei des Marathon-Mannes

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Novak Djoković und Stanislas Wawrinka sorgten im Achtelfinale für den bisherigen Höhepunkt des Turniers. Nach fünf Stunden und fünf Sätzen sah man Schweizer Tränen und serbische Bauchmuskeln.

Die Uhren in der Rod-Laver-Arena tickten noch richtig, aber es war verdammt spät geworden. „1:40“ zeigte die Digitalanzeige auf dem Platz, als die letzte Filzkugel in dieser langen Nacht über das Netz flog. „Game, Set and Match – Djoković“, verkündete der Stuhlschiedsrichter, der sich innerlich wohl schon damit abgefunden hatte, in der Folge kaum noch Schlaf zu finden.

Der erlösenden Ansage war eine wahre Tennisschlacht vorausgegangen. 5:02 Stunden hatten sich Novak Djoković und sein Herausforderer, Stanislas Wawrinka, bekriegt. 1:6, 7:5, 6:4, 6:7, 12:10 endete die epochale Darbietung, die keinen Verlierer verdiente.

Wawrinka, der unscheinbare Eidgenosse, hatte famos in dieses letzte Spiel des „Tages“ gefunden. Er schoss Winner aus allen Ecken des Platzes, zwang seinen Kontrahenten zu Fehlern, die diesem sonst kaum unterlaufen. 6:1, 5:2 führte der Schweizer, als die ersten Djoković-Fans damit begannen, sich geistig mit einer unliebsamen Sensation zu beschäftigen.

Die letzten zehn Matches gegen den Serben hatte Wawrinka allesamt verloren. Er hatte diesmal also nicht zu verlieren in diesem Achtelfinale, das anfangs wie auf einer schiefen Ebene verlief.

Achterbahnfahrt der Gefühle

Als der 27-Jährige die 2:0-Satzführung vor Augen hatte, setzte der Verstand ein. Zu viel Denksport ist beim Tennis jedoch hinderlich. Djoković verbiss sich in seinen Gegner, schaffte mit fünf Spielgewinnen in Folge den nicht mehr für möglich gehaltenen Satzausgleich. Mit dem errungenen Momentum kehrte auch die Sicherheit zurück in das Spiel des Weltranglistenersten.

Djoković reduzierte die Anzahl an Eigenfehlern, versprühte wieder die gewohnte Souveränität. Nur kühne Zocker und Schweizer Patrioten trauten sich zu Beginn des vierten Satzes noch ein paar Franken auf einen Erfolg des Außenseiters zu wetten.

Doch Wawrinka hatte sein Pulver noch längst nicht verschossen. Er, der in seiner Heimat seit Beginn der Karriere im Schatten eines Roger Federers steht, sollte das Spiel seines Lebens spielen. Allein im vierten Satz, den er im Tiebreak gewann, schoss Wawrinka 19 Winner. Spätestens zu Beginn des fünften Satzes wurde das Kräftemessen zu einer Frage der Physis erklärt. Auf der einen Seite Djoković, der schon etliche solcher Marathon-Matches bestritten hatte.

Auf der anderen Seite Wawrinka, der in jener Nacht an seine Grenzen getrieben wurde – und darüber hinaus ging. Die Nummer 17 der Weltrangliste lechzte nach der Unterstützung des Publikums, forderte mit Fortdauer der Begegnung immer häufiger dazu auf, in den wichtigen Phasen durch Applaus und Zurufe beizustehen.

Trotz größtmöglicher Anspannung und Strapazen schien für beide der Spaßfaktor nicht zu kurz zu kommen. Nach manch außergewöhnlich langen und spektakulären Ballwechseln, von denen es genügend gab, huschte ein Schmunzeln über die angestrengten Gesichter. Auch wenn Wawrinkas Beinkraft deutlich nachließ, sein Schlagarm sollte ihn bis zum Schluss nicht im Stich lassen. Mit bis zu 220 km/h flogen die Aufschläge über das Netz, verschafften ihm oftmals Luft.

"Stanislas hätte es verdient"

Nach fünf Stunden und zwei Minuten verfehlte Wawrinkas erster Aufschlag sein Ziel. Gut eine Minute und einen Kurz-Cross-Passierschlag später streckte Djoković die Fäuste gen Himmel. Während der Geschlagene sich gegen das Netz stützte und mit den Tränen kämpfte, riss sich der „Djoker“ sein Shirt vom Leib.

Im Scheinwerferlicht präsentierte er seine Bauchmuskeln als Zeichen der Ausdauer. So wie er es nach seinem letztjährigen Australian-Open-Triumph getan hatte. „Das war eines der längsten, interessantesten und aufregendsten Spiele, die ich je gespielt habe“, sagte Djoković, der dem untröstlichen Verlierer bei seinem Abgang aus der Arena applaudierte. „Stanislas tut mir leid. Er hätte den Sieg genauso verdient.“

Im Viertelfinale trifft der Mann aus Belgrad nun auf den Tschechen Tomas Berdych. Kraft, so meint er, habe er dafür genug. „Ich habe noch etwas in mir.“

Australian Open, Achtelfinale:
Herren: Djoković (SRB/1/TV) – Wawrinka (SUI/15) 1:6, 7:5, 6:4, 7:5. Ferrer (ESP/4) – Nishikori (JPN/16) 6:2, 6:1, 6:4. Berdych (CZE/5) – Anderson (RSA) 6:3, 6:2, 7:5. Almagro (ESP/10) – Tipsarević (SRB/8) 6:2, 5:1 ret.

Damen: Scharapowa (RUS/2) – Flipkens (BEL) 6:1, 6:0. Radwanska (POL/4) – Ivanović (SRB/13) 6:2, 6:4. Makarowa (RUS/19) – Kerber (GER/5) 7:5, 6:4. Li Na (CHN/6) – Görges (GER/18) 7:6, 6:1.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.1.2012)

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