Die Sternstunde von Paris: "Jeu, set et match – Muster!"

French Open 1995, Roland Garros, Grand Slam
French Open 1995, Roland Garros, Grand Slam(c) Ingrid Gerencser
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Der French-Open-Triumph von Thomas Muster jährt sich zum 20. Mal. Der Linkshänder schrieb mit dem Finalsieg über den US-Amerikaner Michael Chang ein unvergessenes Stück österreichische Sportgeschichte.

Zugegeben, es fühlt sich nicht so an, als wäre es erst gestern gewesen. Aber 20 Jahre? Die Erinnerung an den Matchball des French-Open-Finales 1995 ist jedenfalls geblieben. Es ist einer von etlichen langen Ballwechseln in diesem Duell zwischen Thomas Muster und Michael Chang. Der kleine US-Amerikaner setzt eine Rückhand ins Out. 7:5, 6:2, 6:4. Ein Freudenschrei auf dem Pariser Center Court, viele in heimischen Wohnzimmern. „Jeu, set et match – Muster.“

Thomas Muster erfüllt sich an diesem Nachmittag des 11. Juni seinen Lebenstraum. Er ist der erste und bislang einzige Österreicher, der ein Grand-Slam-Turnier im Einzel gewinnt. In der Heimat bricht ein Hype um seine Person aus. Rot-Weiß-Rot ist plötzlich ein Tennisland. „Ich bin heute der glücklichste Mensch. Diesen Sieg werde ich bis zu meinem letzten Atemzug mit mir mittragen“, sagt der Steirer nach seinem Triumph, der eine außergewöhnliche Karriere und eine herausragende Saison 1995 krönt.

Auf der roten Asche ist Muster eine wahre Größe, bei seinen Gegner ob der Spielweise und des unbändigen Kampfgeistes gefürchtet. 1995 bleibt er auf Sand 40 Spiele in Serie ungeschlagen, gewinnt insgesamt zwölf Turniere. Ab 12. Februar 1996 führt er für sechs Wochen sogar die Weltrangliste an.

Doch Muster ist zwischenzeitlich nicht nur der beste Tennisspieler des Planeten, er ist auch Vorbild und Marke. In Österreich findet sich kaum ein schlägerschwingendes Kind, das nicht stolz mit seinem Kneissl-Racket in Händen oder dem Lotto-Shirt am Leib über den Platz rutscht. Unvergessen sind auch Musters epische Daviscup-Schlachten, etwa jene gegen Michael Stich 1994 in Unterpremstätten.

Muster, Einzelgänger und Patriot zugleich, war, nein ist ein Phänomen. Zu seiner Geschichte gehört auch jene Nacht des 1. April 1989 in Key Biscayne, als ein betrunkener Autofahrer ihn auf offener Straße niederfuhr und sein linkes Knie immensen Schaden davontrug. Doch Muster wäre nicht Muster, hätte er nicht den mühsamen Weg zurück auf den Tennisplatz gefunden. Er sagt: „Ich hoffe, eines Tages meinen Enkelkindern von meiner Karriere berichten zu können. Ich habe viel zu erzählen.“

Ronnie Leitgeb: Ex-Trainer, Manager

Schon die Tage und Stunden vor dem Finale waren Aufregung pur. Als Finalist wurde Tom im Hotel rund um die Uhr von Securities bewacht, es gab zahllose Interviewanfragen, das Interesse an seiner Person war gewaltig. Ich bekam zahlreiche Anfragen von Freunden und Bekannten, die unterschriebene Finalposter wollten. Michael Chang war vor dem großem Spiel völlig unkompliziert, er hat sich dafür irrsinnig viel Zeit genommen, jedes Poster mit „Jesus loves you. All the best, Michael Chang“ unterschrieben.

Als Tom an diesem Sonntag in Paris dann tatsächlich das Turnier gewann, habe ich einfach nur große Erleichterung verspürt. Die Tragweite und Bedeutung dieses Erfolgs wurde mir erst nach dem Ende seiner Karriere 1999 wirklich bewusst. Es gibt in Österreich nur vier, fünf Sommersportler, die Vergleichbares geschafft haben. Ich denke an Seisenbacher, Schlager oder Hagara/Steinacher.

Dominic Thiem: ÖTV-Nummer eins

Ich war zwar noch keine zwei Jahre alt, als Thomas Muster die French Open gewonnen hat, an seinem Namen kommt man aber bis heute nicht vorbei. Ausschnitte vom Finale habe ich etliche Jahre später auf einer Videokassette gesehen. Auch wenn ich für einen richtigen Muster-Fan zu jung war, ist er ein absolutes Vorbild für mich. Er hat mit seinen Erfolgen hierzulande einen unglaublichen Hype entfacht, seinetwegen haben viele Menschen in Österreich zum Tennisschläger gegriffen. Das Gefühl, als Spieler heute noch an Muster und seinen unglaublichen Erfolgen gemessen zu werden, habe ich nicht. Mein Glück ist, dass sein Paris-Titel bereits 20 Jahre zurückliegt.

Andreas Haider-Maurer: ÖTV-Nummer zwei

Meine Familie und ich waren allesamt riesengroße Muster-Fans. Ich habe viele Spiele von ihm im Fernsehen verfolgt, das erste Mal live gesehen habe ich ihn in Kitzbühel. Muster war und ist ein großes Vorbild. Mit ihm verbinden mich ohnehin spezielle Momente. 2010 habe ich bei seiner Rückkehr auf die Tour in der Wiener Stadthalle gegen ihn gespielt. Ich muss gestehen: Bei diesem Match habe ich gewaltigen Druck verspürt, das war mental wahrlich keine einfache Situation. Die einzigartige Stimmung in der Halle werde ich mein Leben lang nie vergessen. Wenig später sind wir uns in Salzburg beim Challenger nochmals gegenübergestanden, ein Jahr später in Kitzbühel beim Doppel waren wir Partner. Eine Ehre, mit ihm den Platz zu teilen.

Jürgen Melzer: ÖTV-Nummer drei

Ich habe das Finale gegen Chang im Rahmen der österreichischen Jugendmeisterschaften verfolgt, und irgendwie war mir klar, dass Tom dieses Spiel gewinnen wird. Viel lebhafter ist die Erinnerung aber an den Fünf-Satz-Sieg im Viertelfinale gegen Albert Costa. Ich glaube, das Match hat vier Stunden gedauert, währenddessen habe ich mich nicht bewegt. Als Österreicher war Tom natürlich ein Vorbild, speziell, was seinen unbändigen Kampfgeist betrifft, spielerisch habe ich mich allerdings an Stefan Edberg, Michael Stich oder Patrick Rafter orientiert.

Als Tom 1999 seine Karriere beendete, war ich in meiner ersten Saison als Profi auf der Tour. Druck habe ich damals noch keinen verspürt, den hatten eher Stefan (Koubek), Markus (Hipfl) und Clemens (Trimmel). Mit den Jahren aber habe ich gemerkt, wie groß die Fußstapfen sind, die Tom hinterlassen hat. Er hat mit seinen Erfolgen in gewisser Weise auch meine Karriere beeinflusst. Es wäre, was die Wahrnehmung betrifft, etwas anderes gewesen, als erster Österreicher in die Top Ten vorzudringen. Aber Österreich darf sich glücklich schätzen, Tom zu haben, er hat Tennis salonfähig gemacht. Einen wie ihn wird es nicht noch einmal geben.

Stefan Koubek: Daviscup-Kapitän

Muster war immer ein Vorbild von mir. Als Österreicher war es regelrecht Pflicht, ihm beim Spielen zusehen. Als er 1995 die French Open gewann, war das in diesem Moment unfassbar. Später wurde er auch noch die Nummer eins der Weltrangliste, all das hat einen Hype ausgelöst. Meiner Karriere hat das nicht in die Karten gespielt, im Gegenteil. Es ist schwierig, wenn man solch einem Spieler in der Historie nachfolgt, du an Muster und seinen Erfolgen gemessen wirst. Jürgen Melzer und ich hatten ein großes Erbe anzutreten. Ich war die Nummer 20 der Weltrangliste, Jürgen sogar Top Ten. Letztlich reicht es in Österreich aber nicht, die Nummer 20 zu sein. So wirst du kein Star.

Alexander Peya: Doppelspezialist

Ich habe das Finale zu Hause live mitverfolgt, wie die meisten Österreicher, die sich für Tennis interessierten. Ich war von Anfang an überzeugt, dass Muster Chang schlagen wird. Mein Gefühl hat mich nicht getäuscht. Als glühender Muster-Fan war es ein Privileg, ihn im TV spielen zu sehen. Die Videokassetten mit Daviscup-Matches habe ich dauernd konsumiert, die sind bei mir rauf und runter gelaufen.

Sein Naturell, sein Kampfgeist, er war einfach ein Typ zum Mitfiebern. Beim Stadthallenturnier in Wien war ich als Ballkind im Einsatz. Da habe ich schon ganz genau darauf geachtet, wie ich ihm den Ball zuwerfe. Als Österreicher werde ich auf der Tour auch heute noch oft auf Muster angesprochen. Er ist den Leuten in Erinnerung geblieben.

Markus Hipfl: Ex-Profi, Weggefährte

Ich war damals 17, durfte als Schützling von Ronnie Leitgeb gelegentlich bereits mit Muster trainieren. Sein Sieg hat mich inspiriert und motiviert. Es war mit Sicherheit einer der größten Tage in der Geschichte des österreichischen Sports, der Triumph ist nach wie vor einzigartig im österreichischen Tennis. Muster hat allen gezeigt, was man mit großem Ehrgeiz und Fleiß in einer Weltsportart wie Tennis erreichen kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.05.2015)

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