Bresnik: "Österreich muss sich nicht genieren"

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Günter Bresnik ist als Langzeittrainer mitverantwortlich für den Aufstieg von Dominic Thiem unter die Top 20 der Weltrangliste. Der 54-Jährige spricht über die Außendarstellung seines Schützlings, Nationalstolz und olympische Werte.

Am Rande der French Open im Mai sagten Sie in einem „Presse“-Interview, Dominic Thiem müsse eine Tennis-DNA entwickeln. Wie unverwechselbar spielt Ihr Schützling denn mittlerweile?

Günter Bresnik: Gewisse Züge in seinem Spiel hat er stark verinnerlicht. Am leichtesten erkennbar ist das beim Return, er steht nicht mehr fünf Meter hinter der Grundlinie. Er hat verstanden, dass das absolut notwendig ist, sonst wird er kein richtig guter Spieler. Außerdem hat er sich körperlich gefestigt, er ist kein Fohlen mehr. Was den Spielstil anbelangt, ist er noch nicht dort, wo ich ihn sehen möchte. Es fallen ihm noch zu viele Blödheiten ein, wie Stoppbälle im falschen Moment.

Die Weltrangliste weist ihn auf Position 19 aus. Was fehlt noch für die Top Ten?

Spielerisch nicht viel. Ich sehe ja, wie er im Training mit Federer, Nadal oder Murray agiert. Das sieht richtig gut aus, auch die Ergebnisse. Aber Matches sind eben etwas anderes, ihm fehlen noch Spiele auf dem höchsten Niveau. Er würde 15 Partien gegen Leute wie Djoković oder Nadal brauchen, hat auch noch nie gegen Federer oder Ferrer gespielt. Diese Erfahrungen musst du Woche für Woche machen. Und um in die Top Ten zu kommen, muss er bei den großen Turnieren noch besser spielen.

Die Zeit aber arbeitet für Thiem: Er ist mit 22 Jahren jünger als Djoković (28), Murray (28), Federer (34) und Wawrinka (30), die momentan die Top vier bilden.

Wenn diese Spieler wegfallen, wer ist dann noch da? Das ist eine Chance für Dominic, wenn er in den nächsten drei, vier Jahren weiter sein Level anhebt und den richtigen Willen mitbringt. Er ist einer jener Kandidaten, die ganz oben hinschnuppern können.

Der österreichische Fan ist begeisterungsfähig, er lechzt nach Erfolg. Bringt er auch die nötige Geduld mit?

Dass die Leute ungeduldig sind, kann ich nachvollziehen. Was ich nicht verstehe, ist die Tatsache, dass manche es nicht hoch genug einschätzen, was Dominic jetzt schon erreicht hat. Da heißt es, er gewinnt nur gegen Blinde, weil er noch nie gegen Federer oder Nadal gewonnen hat. Mit Skifahren und Fußball kann sich das Gros der Österreicher mehr identifizieren als mit Tennis, deswegen verstehen es viele nicht, wie schwer es ist, an die Spitze zu kommen. Dass Dominic bei der Wahl zum Sportler des Jahres nominiert wurde, freut mich, aber er hat keine Chance, solange ein Alaba oder Hirscher herumrennen und er kein Grand-Slam-Turnier gewonnen hat.

Bei den Heimturnieren in Kitzbühel und Wien fliegen Thiem die Herzen zu. Reichen Siege und harte Gewinnschläge?

Er ist nicht der Typ, der die Leute nur aufgrund seines sportlichen Erfolgs hinter dem Ofen hervorholt. Eine ältere Dame, die sich für Tennis nicht interessiert, mag den Dominic, weil er ein sympathischer Bursche ist, der lächelt, nie gestresst wirkt – und noch dazu erfolgreich ist. Bei ihm passt das Gesamtpaket. Für mich ist er in dieser Hinsicht mit Franz Klammer vergleichbar, wobei Klammer tausendmal mehr Erfolge hatte als Dominic. Aber selbst wenn Klammer nur ein Rennen gewonnen hätte, wäre er trotzdem der Liebling der Massen gewesen, weil er authentisch und sympathisch ist.

Auch bei Olympischen Spielen lassen sich Herzen im Sturm erobern, etwa nächstes Jahr in Rio de Janeiro.

Ein Start ist wahrscheinlicher als ein Verzicht, wobei man eines festhalten muss: Olympische Spiele mögen das wichtigste Sportereignis der Welt sein, aber auf einen Tennisspieler trifft das nicht zu. Das olympische Tennisturnier kommt nicht an ein Grand-Slam-Turnier heran, das zeigt schon allein die Punktevergabe. Der Sieger bekommt 700 Punkte, bei einem Grand Slam gibt es 2000 Punkte. Da passt das Verhältnis nicht.

Eine frühzeitige Daviscup-Zusage für das Duell mit Portugal im März 2016 wird es ebenfalls nicht geben, oder?

Eine frühzeitige Daviscup-Zusage wird es niemals geben. Das ist völlig offen.

Sind Sie eigentlich stolz, Österreicher zu sein?

Ich habe einen großen Nationalstolz, den ich nicht nur am 26. Oktober spazieren trage. Österreich muss sich für seine Vergangenheit, klammert man ein kurzes Kapitel aus, nicht genieren. Auf so ein Land nicht stolz zu sein wäre absurd. Dass Österreich nicht jedes Mal Fußballweltmeister wird, den Wimbledon-Sieger stellt oder einen Oscar gewinnt, ist egal. Aber es gibt immer wieder herausragende Persönlichkeiten aus allen möglichen Bereichen.

Welchen Ruf hat Österreichs Tennis im Ausland?

Tennis und Österreich werden auch heute noch mit Thomas Muster in Verbindung gebracht. Und was in den vergangenen zehn Jahren von Koubek und Melzer getragen wurde, beschränkt sich nun ziemlich auf Dominic. Die Herrenturniere in Kitzbühel und Wien sind ausgesprochen beliebt, da brauchen wir uns nicht zu verstecken.

Bei den Damen scheint keine einzige Spielerin in den Top 200 auf . . .

Das ist ein absolutes Desaster, wirklich ein Wahnsinn. Die vergangenen dreißig Jahre gab es in Österreich immer Top-100-Spielerinnen, zu gewissen Zeiten sogar mehrere, in Mengen. Wenn keine einzige in den Top 200 zu finden ist, braucht man nichts schönreden.

Sie sind als Systemkritiker bekannt. Hat sich unter Leitgeb-Nachfolger Robert Groß als ÖTV-Präsident im Verband etwas geändert?

Eigentlich nicht. Für mich ist es wichtig, dass ein Schnitt erfolgt und man sich künftig spezifisch um die acht- bis 14-Jährigen kümmert. Ich will, dass bei allen nationalen Jugendmeisterschaften sämtliche Raster voll sind, ohne mich beim Zuschauen übergeben zu müssen. In diesen Altersklassen laufen viele Kinder herum, die technisch schlecht ausgebildet sind. Bei den Skifahrern in Österreich ist es ja auch logisch, dass jeder technisch gut ausgebildet ist. Im Tennis fehlt dieses Verständnis. Da glauben immer noch Leute, dass einer etwas gewinnt, nur weil er mit 18 Jahren anderen körperlich überlegen ist.

Stoßen Sie sich wie viele andere an der Infrastrukturproblematik im österreichischen Sport?

Es ist nicht das größte Problem unseres Landes, dass es nicht genügend Schwimm- oder Leichtathletikhallen gibt. Aber wenn momentan das ganze Geld dafür aufgewendet wird, Flüchtlingen zu helfen, und man im Gegenzug gute Noten von der UNO erhält, dann ist das legitim. Geld im Überfluss ist ja nicht vorhanden. Mich ärgern andere Dinge mehr.

Zum Beispiel?

Dass der Sport in der Schule viel zu kurz kommt. Ich hatte zum Glück Turnlehrer, die auch in der Freizeit etwas Sportliches mit uns Kindern unternommen haben, das ist heute ja gar nicht mehr möglich. In Österreich wird es gern gesehen, wenn ein Kind schon vor dem Schuleintritt rechnen und lesen kann, aber die meisten Kinder in diesem Alter können nicht einmal um den Häuserblock laufen. Das nervt mich. Ich wäre ja sogar dafür, dass man sich ein Nicht genügend in Mathematik mit einer außergewöhnlichen sportlichen oder musischen Leistung ausbessern kann.

Steckbrief

Günther Bresnikwurde am 21. April 1961 in Wien geboren.

Als Tennistrainer machte er sich früh einen Namen. Er arbeitete unter anderem mit Boris Becker, Patrick McEnroe, Henri Leconte, Horst Skoff oder Stefan Koubek zusammen.

Aktuell trainiert er neben Dominic Thiem auch den Letten Ernests Gulbis, zudem zählt der 22-jährige Niederösterreicher Dennis Novak zu seinen Schützlingen.

Bereits zweimal (1992-1993, 1998-2004) war Bresnik Kapitän des österreichischen Daviscup-Teams. Von 1998 bis 1999 übte er zudem das Amt des Sportdirektors aus.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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