Das noch junge Tennisjahr erlebt in Melbourne seinen ersten großen Höhepunkt, wenn im Halbfinale Federer und Ðoković zum 45. Mal aufeinandertreffen. Der Schweizer sagt: „Ich muss Novak überraschen.“
Melbourne. Nach dem von Novak Ðoković mit einer krachenden Rückhand verwandelten Matchball gegen Kei Nishikori rieben sich Fans und Reporter gleichermaßen die Hände. Der Wunsch vieler war soeben in Erfüllung gegangen, die Australian Open erleben am Donnerstag ihren erhofften Halbfinal-Schlager. Zum bereits 45. Mal treffen Ðoković und Roger Federer im Melbourne Park aufeinander, von den gegenwärtigen Rivalitäten gab es nur das Duell Ðoković/Nadal (24:23) noch häufiger. In ihren Viertelfinalspielen hatten beide Spieler kaum Mühe: Ðoković sah sich gegen den Japaner Nishikori mit überraschend wenig Gegenwehr konfrontiert, siegte nach der Fünfsatz-Schlacht gegen den Franzosen Gilles Simon in der Runde davor diesmal komfortabel mit 6:3, 6:2, 6:4. Federer wiederum zeigte sich im Schlagabtausch mit dem Tschechen Tomas Berdych abermals in Spiellaune: 7:6, 6:2, 6:4.
Es ist ein Kampf der Giganten, der 15.000 Zuschauer in der Rod-Laver-Arena erwartet, an der richtigen Inszenierung wird es nicht fehlen. Unter den Flutlichtern Melbournes will Federer, 34, noch einmal glänzen, jene Kritiker, die ihm keinen 18. Grand-Slam-Titel zutrauen, Lügen strafen. Der Schweizer ist sich der Schwierigkeit der Aufgabe und seiner Außenseiterrolle bewusst, schließlich ist es Ðoković, der die Szene in den vergangenen beiden Jahren dominiert und vier der letzten sechs Major-Turniere gewonnen hat. Trotz Trainerwechsels – der Kroate Ivan Ljubičić folgte Stefan Edberg – ist Federer seiner aggressiven Spielweise treu geblieben. Er sucht konsequent den Weg ans Netz, oftmals mit Erfolg. „Ich fühle mich dort derzeit sehr wohl“, bekräftigt Federer, der 2015 zwei Grand-Slam-Endspiele (Wimbledon, US Open) gegen den Dauerläufer aus Belgrad verlor. „Ich muss versuchen, Novak zu überraschen.“
Träume und Zweifel
Doch wie überrascht man einen Spieler, der von 88 Spielen im Vorjahr nur sechs verloren hat, in seinen besten Phasen unantastbar scheint und noch dazu sechs Jahre jünger ist? Es wirkt, als könnte sich Ðoković nur selbst schlagen. Seine Gegner warten auf Schwächen, die er nur selten offenbart – und wenn, dann reichen selbst 100 Fehler, wie gegen Simon, zum Weiterkommen. Ðoković, 28, war lange Zeit im Schatten von Federer und Nadal gestanden, mittlerweile hat sich das Blatt gewendet. „Ich konnte die Dominanz der beiden brechen, aber ich hatte Zweifel“, sagt Ðoković, „Zweifel, ob ich jemals die Nummer eins werde, mir meinen Kindheitstraum erfüllen kann.“
Der Rechtshänder mit Wohnsitz in Monte Carlo hat sich seine Träume – mit Ausnahme des French-Open-Titels – allesamt erfüllt. Nicht zuletzt dank Federer, der Ðoković zu einem besseren, dem heute besten Spieler der Welt gemacht hat. Vor dem 45. Duell sagt er: „Roger zwingt dich immer, dein bestes Tennis zu spielen. Und genau das werde ich benötigen, um zu gewinnen.“
AUSTRALIAN OPEN
Herren-Viertelfinale: Ðoković (SRB/1) – Nishikori (JPN/7) 6:3, 6:2, 6:4. Federer (SUI/3) – Berdych (CZE/6) 7:6, 6:2, 6:4.
Damen-Viertelfinale: S. Williams (USA/1) – Scharapowa (RUS/5) 6:4, 6:1. A. Radwanska (POL/4) – Suarez Navarro (ESP/10) 6:1, 6:3.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)