Dominic Thiem möchte auf den Sandplätzen Europas zum großen Coup ausholen. Trainer Günter Bresnik, 56, über Vergleiche mit Nadal und Federer, Tennis am Reißbrett und eventuelle Erziehungsmaßnahmen.
Spürt Dominic Thiem Sand unter seinen Tennisschuhen, dann macht sich umgehend ein Wohlgefühl breit. Der 23-Jährige und die rote Asche pflegen eine enge Beziehung, es war quasi Liebe auf den ersten Blick. Thiem hat als Jugendlicher den Großteil des Trainings auf Sand absolviert, so etwas prägt. Welchen Belag der Niederösterreicher also favorisiert, ist kein Geheimnis. Langzeitcoach Günter Bresnik ist dennoch weit davon entfernt, seinen Schützling als Sandplatzspezialisten zu bezeichnen, es würde den Qualitäten des Weltranglistenneunten schlichtweg nicht gerecht werden.
Thiem hat seiner Vita bislang acht ATP-Titel hinzugefügt. Neben sechs Triumphen auf Sand (2 Mal Nizza, Umag, Gstaad, Buenos Aires, Rio de Janeiro) triumphierte er auch auf Hartplatz (Acapulco) und Rasen (Stuttgart). „Dominic hat bereits auf allen Belägen Turniere gewonnen. Nüchtern betrachtet ist er auf Hartplatz also ein ebenso guter Spieler wie auf Sand“, sagt Bresnik, der „viele seiner besten Matches“ auf Hartplätzen gesehen hat. Thiems Glaube, sein Spiel auf Sand weitaus wirkungsvoller einsetzen zu können, „müsse langsam aus seinem Kopf verschwinden. Das ist eine unterbewusste Geschichte, die nicht hinderlich sein soll“. Aber sind der aggressive Topspin von der Grundlinie und der den Gegner weit aus dem Feld treibende Kick-Aufschlag auf roter Asche nicht besonders unangenehm für das Gegenüber? Bresnik verneint: „Die tun auch auf Hartplatz weh. Sehr weh.“
Allerdings, die Konkurrenz steht Thiem gewiss auf Sand am wenigsten gern gegenüber. Das liegt mitunter auch an der Beharrlichkeit des Lichtenwörthers – er zählt mittlerweile nicht nur zu den besten, sondern auch zu den fittesten Spielern auf der Tour. Bresnik spricht aus Erfahrung. „Dominic ist seit seinem zehnten Lebensjahr belastungsverträglich gemacht worden. Was er heute aushält, ist ein Wahnsinn. Der ist ein Stier.“
Die Intensität der Weltklasse
Die schweißtreibenden Einheiten unter Bresnik sind bekannt, der 56-Jährige lässt stundenlang bei gleichbleibend hoher Intensität trainieren. Das Credo des Wieners: „Es geht nur über die Wiederholungen.“ Der Deutsche Philipp Kohlschreiber sagte nach der gemeinsamen Saisonvorbereitung auf Teneriffa: „Ich habe in der Tenniswelt schon viel erlebt, aber was Dominic da für ein Programm abspult, läuft in einer eigenen Liga.“ Die Annahme, niemand trainiere härter als Thiem, wischt Bresnik im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“ vom Tisch. „Federer und Nadal arbeiten auch wie die Ochsen. Aber: Dominic wird sich von den Topleuten nicht sonderlich unterscheiden.“ Anders ließe sich der Rückstand zur Spitze nicht minimieren.
Körperlich sieht Bresnik den Rechtshänder für kräftezehrende Matches und Monate gerüstet. Sein Schützling sei „extrem gut austrainiert“, trage „nichts Unnötiges“ mit sich herum. Aktuell beträgt Thiems Gewicht rund 79 Kilogramm. Süßigkeiten seien kein Tabu, sagt Bresnik. „Ich hoffe, er greift hin, wenn er einen Gusto darauf hat. Ein Stück Torte oder ein Eis tun seiner Fitness keinen Abbruch. Und ich schaue auch nicht nach, ob er einen Schokoriegel in der Tennistasche hat, oder kontrolliere, ob er in der Stadt beim Zanoni ein Eis kauft. Das ist mir komplett egal.“
Letztlich ginge es ohnehin viel um Eigenverantwortung. „Dominic ist jetzt 23. Wenn er nicht weiß, was er will oder was er zu tun hat, um seine Ziele zu erreichen, dann habe ich als Ausbildner versagt.“ Dieselbe Einstellung verfolgt Bresnik auch hinsichtlich eventueller abendlicher Amüsements. „Ich sage ihm: Dominic, wenn du Lust hast mal auszugehen, dann geh auch aus und lass es krachen. Er hat halt die Lust nicht, aber es kann sein, dass sie irgendwann kommt.“ Per se sei das nicht zwingend immer etwas Schlechtes. „Man soll sich ja nicht nur kasteien, sondern wissen, wann man die Zügel mal lockerer lassen kann. So etwas kann sogar Kanäle freimachen.“
Der Auftakt in die Sandplatzsaison in Monte Carlo verlief für Thiem nicht nach Wunsch. Die Endphase des Achtelfinales gegen den Belgier David Goffin, der beim Dreisatzsieg 22 der letzten 25 Punkte machte, gab durchaus Rätsel auf. Thiem beging etliche unerzwungene Fehler (47), traf letztlich zu viele falsche Entscheidungen. Bresnik spricht in diesem Zusammenhang gern von einer „Tennis-DNA“, die es zu entwickeln gelte, „und die geht mir noch zu oft ab“. Man könne das Spiel am Reißbrett entwerfen, „aber im Endeffekt muss der Spieler selbst herausfinden, welcher Schlag in welcher Situation angebracht ist“.
Faszination Federer
Als Vorbild dient diesbezüglich Roger Federer, kein anderer Profi bringt so viel Spielverständnis mit auf den Platz. Dass der Schweizer, im Jänner Sieger der Australian Open, es mit 35 Jahren nochmals geschafft hat, den Sport dermaßen zu dominieren, ist für Bresnik keine Überraschung. „Federer ist einige Zeit auf Platz zwei oder drei gestanden. Was haben die Leute gemacht? Sie haben gefragt, wann er endlich zum Tennisspielen aufhört, weil er ja nichts mehr gewinnt. Das ist ein Skandal.“ Der 18-fache Grand-Slam-Champion habe die Antwort letztlich am Platz gegeben.
Aktuell beschäftigt der Leistungsabfall von Novak Ðoković die Tenniswelt, Bresnik bricht auch für den 29-jährigen Serben eine Lanze. „Ðoković hat in der zweiten Jahreshälfte 2016 knapp 3500 Punkte gemacht und alle sprechen von einem Katastrophenhalbjahr. So viele Punkte hat Dominic insgesamt und ist damit die Nummer neun. Das relativiert einiges.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2017)