French Open: Der Trainerstar als Psychologe

Novak Djoković beim Training in Roland Garros. Andre Agassi beobachtet das Geschehen im Hintergrund.
Novak Djoković beim Training in Roland Garros. Andre Agassi beobachtet das Geschehen im Hintergrund.(c) imago/PanoramiC
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Mit Andre Agassi (47) als Coach von Novak Djoković ist bei den French Open erneut ein Star vergangener Tage in den Tenniszirkus zurückgekehrt. Ein Lokalaugenschein beim Training – und ein Erklärungsversuch, warum das Modell Profi/Ex-Profi boomt.

Court 26 auf der Trainingsanlage Jean-Bouin, nur wenige Gehminuten vom Stade Roland Garros entfernt. Es ist heiß an diesem Dienstagnachmittag, knapp zwei Dutzend Zaungäste haben sich hier eingefunden. Drei Fotografen, eine Handvoll Journalisten, irgendwann stößt auch Jelena Djoković hinzu. Natürlich aus gutem Grund, ihr Mann absolviert gerade eine über einstündige Trainingseinheit. Der Sparringpartner, ein unbekannter Franzose, fungiert als menschliche Ballmaschine. Geübt wird das, was Novak Djoković wünscht. Die Wünsche des Weltranglistenzweiten sind vielfältig.

Rückhand, Vorhand, Volley, Aufschlag, dann Return. „Servier mir mit Kick auf die Rückhand“, ruft der Serbe über den Platz. Gewünscht, getan. Djoković unterbricht das Training, er hadert mit seinem Rückhand-Return, rätselt über die richtige Griffhaltung. Es fallen ein paar Schimpfwörter, ehe ein Herr mit Glatze näherkommt: Andre Agassi. Vor elf Jahren hatte der US-Amerikaner dem Tennis Goodbye gesagt. Seitdem sind ein paar Kilo dazugekommen, der charakteristische Entengang und die Glatze sind geblieben.

Agassi schwingt die Rückhand mit seinem Head-Schläger einige Male durch die Luft, er erklärt Djoković etwas. Der 30-Jährige hört aufmerksam zu. Während seiner aktiven Zeit galt Agassi, der Paradisvogel aus Las Vegas, als bester Returnspieler der Welt. Heute trägt Djoković diesen Titel. Plötzlich ein Ruf. „Andre!“ Ein Fan hat den Altstar entdeckt. Er streckt seinen Kopf über den Zaun, der von einer Sichtschutzplane umspannt ist. Agassi hebt den Schläger, ein Gruß zurück.

Kein „Fulltime-Job“ , kein Geld. Dass ausgerechnet Agassi auf die große Tennisbühne zurückkehren würde, darf als Überraschung gesehen werden. In seiner Biografie „Open“ hatte der ehemalige Weltranglistenerste 2009 mit dem Sport, all seinen Facetten, abgerechnet. „Ich habe Tennis immer gehasst und tue es heute noch“, schrieb Agassi damals. Erst sein Karriereende habe ihn zu einem freien Menschen gemacht.

Als Djoković, der unmittelbar zuvor sein komplettes Trainerteam inklusive dem Tiroler Fitnesscoach Gebhard Gritsch entlassen hatte, vor vier Wochen anrief und sich ein 45-minütiges Gespräch entwickelte, lehnte Agassi das Angebot zur Zusammenarbeit zunächst ab. Erst seine Gattin Steffi Graf überzeugte ihn. „Sie sagte zu mir: ,Mach es, du wirst es lieben.‘“ Zunächst gilt das Übereinkommen nur für die French Open, der zweifache Familienvater nimmt für seine Ratschläge auch kein Geld, er hat andere Pläne. „Das ist kein Fulltime-Job. Ich will Novak helfen, wo ich kann“, erklärte Agassi in Paris. „Manchmal kann eine kleine Bemerkung schon viel bewirken.“ Das gehe auch am Telefon. Agassi reiste am Samstag wieder aus Paris ab.

Besonnen, Übersicht, das Wissen. Dennoch, als das Training vorbei war, bedankte sich Djoković bei seinem Sparringpartner. Als auch Agassi sich per Handschlag beim Franzosen verabschiedet, wirkte dieser ein wenig ehrfürchtig. „Es war mir eine große Ehre.“ Agassi und Djoković sitzen noch einige Minuten Seite an Seite auf der Spielerbank von Court 26. Agassi sprach mit leiser, besonnener Stimme, sein Schützling hörte zu. Beide lächelten.

Agassi wird das Tennisspiel von Djoković nicht revolutionieren, schon gar nicht innerhalb von zwei Wochen. Einen guten Ratschlag zum Rückhand-Return nimmt auch ein zwölffacher Grand-Slam-Sieger dankend an, aber hier geht es um ganz andere Aspekte. Es sind vor allem die Gespräche und der Austausch von Gedanken, die in der Zusammenarbeit zwischen dem einstigen und jetzigen Weltklassespieler fruchten sollen. Djoković hat mit dieser Konstellation schon einmal gute Erfahrungen gemacht. Von 2013 bis 2016 betreute ihn Boris Becker, das Duo bejubelte gemeinsam sechs Grand-Slam-Titel.

Mit dem erstmaligen Gewinn der French Open vor einem Jahr hatte sich der Serbe seinen letzten, großen Traum erfüllt. Er hielt nun alle vier Major-Trophäen gleichzeitig, ein Gefühl der Genugtuung und Zufriedenheit setzte ein. Es fehlte fortan an Zielen, an der Motivation, die unerlässlich ist, um an der Weltspitze bestehen zu können. Ende 2016 endete aus diesem Grund die Partnerschaft mit Becker, vor einem Monat dann die „Schocktherapie“, als das noch übrig gebliebene Betreuerteam freigestellt wurde. Djoković wollte einen neuen Reiz setzen, er suchte nach einer Energiequelle. Nach einem Mann mit dem Blick für das Wesentliche. „Bei Djoković und Agassi geht es hauptsächlich um die Motivation“, glaubt etwa Pat Cash, Wimbledon-Sieger von 1987, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Agassi ist wie Becker eine Legende des Spiels. Sie sind Vorbilder, zu denen speziell die heutige Spielergeneration aufsieht. „Aber Agassi sieht Dinge vielleicht ganz anders, als es Becker getan hat. Er spricht anders, sieht Dinge aus einem ganz anderen Blickwinkel“, erklärt Barbara Schett-Eagle. Wenn um die großen Titel gespielt wird, dann geht es nicht darum, wer die Vorhand um fünf km/h härter schlägt oder über den besseren zweiten Aufschlag verfügt. Schett-Eagle: „Die zehn, 20 besten Spieler können alle unglaubliches Tennis spielen. An der Spitze spielt sich alles im Kopf ab.“

Hineinfühlen, führen. Wer ein guter Trainer sein möchte, der muss sich in seinen Spieler hineinfühlen, seine Ängste und Probleme deuten und verstehen können. Er ist im Grunde nichts anderes als ein Psychologe. „Grundlegendes kann ich theoretisch auch aus dem Tennis-Lehrbuch lernen, aber bei der Frage, welche Entscheidungen ich in wichtigen Situationen bei großen Matches treffen soll, dabei können ehemalige Weltklassespieler eine große Hilfe sein. Immerhin haben sie alle diese Situationen schon selbst erlebt“, erklärt Schett-Eagle.

Das Modell Profi/Ex-Profi erfreut sich seit Jahren immer größer werdender Beliebtheit unter den aktuellen Stars der Tour. Roger Federer (Stefan Edberg), Andy Murray (Ivan Lendl), Rafael Nadal (Carlos Moyá), Stan Wawrinka (Magnus Norman), Kei Nishikori (Michael Chang), Tomáš Berdych (Goran Ivanišević), Marin Cilic (Jonas Björkman), Milos Raonic (John McEnroe) – sie alle haben sich ehemalige Größen des Spiels an ihre Seite geholt. Auch Thomas Muster lag einst das Angebot vor, Stan Wawrinka für den Verlauf der Sandplatzsaison zu betreuen.

Seltener finden übrigens ehemalige Weltklassespielerinnen den Weg zurück. Amélie Mauresmo betreute zwei Jahre lang Andy Murray. Aktuell touren Arantxa Sánchez Vicario (mit Francesa Schiavone) und Lindsay Davenport (Madison Keys) um die Welt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2017)

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