Wawrinka, der Mann für die speziellen Momente

Den Zeigefinger an die Stirn gehalten, der Blick zu Coach Magnus Norman: Stan Wawrinkas mentale Stärke führte den Schweizer in sein zweites Paris-Finale.
Den Zeigefinger an die Stirn gehalten, der Blick zu Coach Magnus Norman: Stan Wawrinkas mentale Stärke führte den Schweizer in sein zweites Paris-Finale.(c) REUTERS (GONZALO FUENTES)
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Der Schweizer Stan Wawrinka schickt sich an, den zehnten French-Open-Triumph von Rafael Nadal zu verhindern. Die Vergangenheit zeigt: Wawrinka kann Großes vollbringen.

Als im Vorfeld der French Open in Paris über die diesjährigen Titelanwärter diskutiert wurde, fielen immerzu die gleichen Namen. Natürlich stand Rafael Nadal besonders hoch im Kurs, auch wurden Novak Djoković als Titelverteidiger und zwölffachem Grand-Slam-Champion Chancen zugerechnet. Dominic Thiem und der erst 20-jährige Deutsche Alexander Zverev, er hatte unmittelbar davor sensationell in Rom triumphiert, führten die Riege der Herausforderer an. Über den Schweizer Stan Wawrinka sprach kaum jemand. Wieder einmal.

Wawrinka hatte zuvor bei den Sandplatzturnieren in Monte Carlo, Madrid und Rom schlechtes Tennis gespielt. Er gewann gerade einmal zwei Matches, war weit von seiner Bestform entfernt. Unmittelbar vor Paris bestritt der 32-Jährige deshalb ein kleines Vorbereitungsturnier in Genf. Wawrinka benötigte Matchpraxis und Siege, andernfalls wäre die Verunsicherung bei den French Open groß, ein frühes Ausscheiden im Stade Roland Garros durchaus wahrscheinlich gewesen. Was tat Wawrinka? Er gewann in Genf den 16. Titel seiner Karriere, schlug dabei zwar keine Superstars, aber das war auch nicht vonnöten. Das Gefühl des Erfolgs, egal, gegen wen, ist unersetzlich. Das Selbstvertrauen war rechtzeitig zurückgekehrt.


Unter dem Radar geflogen. Zwei Wochen später steht Stan Wawrinka, der seinen eigentlichen Vornamen Stanislas vor drei Jahren auf der ATP-Tour der Einfachheit halber ändern ließ, im Finale der French Open. Djoković, Thiem, Zverev – sie alle waren früher oder später im Turnierverlauf ausgeschieden. Der Routinier aus der kleinen Schweizer Gemeinde Saint-Barthélemy – Wawrinka wuchs mit seinen drei Geschwistern auf dem Bauernhof seiner Eltern auf – hat immer noch die Chance auf den großen Coup.

Ohne Satzverlust hat sich Wawrinka abseits des medialen Scheinwerferlichts ins Halbfinale geschlichen, er flog unter dem Radar, steigerte sich dabei aber mit jeder Aufgabe. Im Halbfinale gegen Andy Murray waren es letztlich nicht bloß die Hochgeschwindigkeitsschläge des Weltranglistendritten, die das Pendel in seine Richtung hatten ausschlagen lassen. Nein, große Spiele werden in den entscheidenden Momenten im Kopf entschieden. Der Gewinn des Tiebreaks im vierten Satz beflügelte Wawrinka, ließ ihn nicht mehr am Erfolg zweifeln – das 6:1 im fünften Satz war das logische Resultat.

Wawrinka galt viele Jahre als der beste Spieler, der noch keines der Grand-Slam-Turniere gewonnen hatte. Dem Rechtshänder mangelte es nie an den nötigen Schlägen, er beherrschte sie alle, sehr wohl aber an mentaler Stärke. Erst als Wawrinka 2013 den Schweden Magnus Norman als seinen Trainer installierte, änderte sich Grundlegendes. Norman hatte zuvor seinen Landsmann Robin Söderling in zwei French-Open-Finals geführt, war zur Jahrtausendwende selbst die Nummer zwei der Welt. Und er verstand es, mit Wawrinka auf der richtigen Ebene zu kommunizieren. Norman machte ihm verständlich, dass er jeden Gegner bei jedem Turnier schlagen könne, sein Schützling müsse bloß daran glauben. Und Wawrinka glaubte daran. Bei den Australian Open 2014 erreichte er als Außenseiter erstmals das Finale eines Grand Slams. Wawrinka schlug Rafael Nadal, ohne zuvor je ein großes Turnier gewonnen zu haben. 2015 spielte er sich als Underdog ins Endspiel der French Open. Novak Djoković schien unschlagbar, Wawrinka aber demontierte ihn in vier Sätzen. Selbiges Schauspiel wiederholte sich bei den US Open 2016.


Und jetzt Nadal. Wawrinkas makellose Bilanz in Grand-Slam-Finals ist respekteinflößend, sie imponiert auch den anderen Stars der Szene. Aber ob nun auch tatsächlich Nadal, der Hausherr von Roland Garros, bezwingbar ist? „Rafa in Paris zu besiegen“, sagt Wawrinka, „ist wahrscheinlich die größte Aufgabe, die es im Tennis gibt.“

Doch Wawrinka zweifelt schon lang nicht mehr an sich selbst. Er weiß, was er zu leisten imstande ist. „Wenn mein Kopf funktioniert, dann ist es schwierig, mich zu schlagen.“

ZAHLEN

3Grand-Slam-Finals
hat Stan Wawrinka bislang bestritten – und alle gewonnen.

9French-Open-Siege
hat Rafael Nadal zu Buche stehen, insgesamt hält der Spanier bei 14

Major-Titeln.

15:3führt Nadal im Head-to-Head. Einer seiner drei Siege glückte Wawrinka auf Sand (Rom 2015). Nadal gewann das einzige French-Open-Duell (2013) klar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2017)

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