Roger Federer: Vollblutchampion trotz Teilzeitarbeit

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Nur sieben Turnierteilnahmen 2017, aber zwei Titel bei Grand-Slam-Events: Roger Federer und der einzigartige Weg zum maximalen Erfolg.

London/Wien. Eigentlich war sich Boris Becker sicher. „Das ist das Ende einer Ära“, sagte der mit 17 Jahren jüngste Wimbledonsieger aller Zeiten in Bezug auf Roger Federer, als der Maestro im Halbfinale von Wimbledon 2016 gegen Milos Raonic ausschied und kurze Zeit später seine Saison aufgrund anhaltender Knieprobleme vorzeitig für beendet erklärte. Exakt ein Jahr später ist nicht nur Becker perplex, die ganze Tenniswelt staunt über Federer, der auf dem Weg zu seinem achten Titel im All England Lawn Tennis and Croquet Club für viele Beobachter das beste Tennis seiner Karriere spielte.

Vergleiche mit dem Federer vergangener Tage hinken, der Sport, die Konkurrenten und nicht zuletzt der nun 92-fache Turniersieger, alles hat sich verändert und entwickelt. „Es waren einfach andere Zeiten“, meint der Schweizer, „aber vielleicht serviere ich heute noch ein Stück besser, mit mehr Power, auch beim zweiten Aufschlag.“ Zwischen Federers erstem Major-Triumph (Wimbledon 2003) und dem nun 19. liegen unglaubliche 14 Jahre. Dem vierfachen Familienvater ist es dabei immer wieder gelungen, sich neu zu erfinden, ohne aber sein Spiel maßgeblich zu verändern.

„Roger ist einzigartig“

Tennis ist gewiss mit die komplexeste aller global praktizierten Sportarten und gegenwärtig physischer denn je. Als Federer im Vorjahr angeschlagen von Turnier zu Turnier reiste, reichte selbst dem Ausnahmekönner Talent allein nicht mehr. Der Basler blieb 2016 erstmals seit 15 Jahren ohne Titelgewinn, und als er nach Wimbledon seine halbjährige Turnierpause einläutete, schien selbst ein unfreiwilliges Karriereende nicht mehr ausgeschlossen. Tomáš Berdych erklärte nach seiner diesjährigen Halbfinalniederlage gegen Federer: „Wenn ich ein halbes Jahr Pause mache, dann brauche ich nicht mehr zur Tour zurückkehren. Dinge funktionieren nicht für jeden auf diese Art und Weise, du musst einzigartig sein.“

Doch ausgerechnet die sechsmonatige Auszeit brachte Federer im fortgeschrittenen Alter von 34 Jahren wieder zurück in die Spur. Er verordnete seinem Körper eine lange tennisfreie Zeit, ging in der Schweiz Wandern, genoss die Zeit mit seiner Familie − und lieferte im Jänner 2017 mit dem Triumph bei den Australian Open ein fulminantes Comeback.

Federer hat im Herbst seiner Karriere erkannt, dass Pausen die entscheidenden gewinnbringenden Faktoren sind. Andere Spieler würden den notwendigen Turnierrhythmus vermissen, Federer aber benötigt kaum Eingewöhnungszeit. Funktioniert sein Körper, vertraut er seinem Spiel. In der laufenden Saison hat der Routinier nur sieben Turniere bestritten, so wenig wie kein anderer Topspieler.

Nach seinem Sieg in Miami Anfang April entschied sich Federer abermals zu einer längeren Regenerationsphase, letztlich verzichtete er sogar auf die gesamte Sandplatzsaison inklusive der French Open, „weil ich gegen Rafa (Nadal, Anm.) ohnehin keine Chance gehabt hätte.“

New York im Visier

Federers Plan ging abermals auf, in Wimbledon präsentierte er sich in optimaler Verfassung. „Das Ziel vor dem Turnierstart war einfach, in einem physischen Zustand zu sein, in dem ich, wenn nötig, siebenmal fünf Sätze spielen könnte.“ Nach seinem Triumphzug in London gönnt sich Federer erneut eine Auszeit.

Wann der Weltranglistendritte auf die Tour zurückkehren wird, ist noch unklar, auf das ATP-1000-Event in Montreal (ab 7. August) könnte er eventuell verzichten. Ein großes Ziel hat Federer 2017 aber ganz gewiss noch: den sechsten Titelgewinn bei den US Open in New York (ab 28. August). Es wäre der 20. Major-Erfolg Federers und der erste im Big Apple seit 2008.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2017)

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