Die Last einer chronischen Formkrise

Analyse. Dominic Thiems deutliche Niederlage gegen David Goffin bei den ATP World Tour Finals in London war bloß die logische Folge einer wochenlangen spielerischen und mentalen Talfahrt.

Dominic Thiems vierte volle Profisaison bei der ATP-Tour endete mit einer herben Enttäuschung. Die Chance auf das erstmalige Erreichen des Halbfinales bei den World Tour Finals in London vor Augen, verlor der Niederösterreicher sein drittes und letztes Gruppenspiel gegen David Goffin nach schwacher Leistung mit 4:6, 1:6. Damit ging der Bresnik-Schützling im elften Vergleich mit dem Belgier zum siebenten Mal als Verlierer vom Platz. Goffin trifft heute im Halbfinale (15 Uhr, live in Sky) auf Roger Federer. Das zweite Halbfinale bestreiten Jack Sock und Grigor Dimitrov.

Thiems Vorstellung gegen den Weltranglistenachten ließ viele Beobachter verwundert zurück, der Gewinner von acht ATP-Turnieren konnte an diesem Nachmittag nicht einmal in Ansätzen sein Potenzial abrufen. Sein Spiel war geprägt von zahlreichen unerzwungenen Fehlern (27), diesen standen nur elf Winner gegenüber. Dabei war Goffin längst nicht unverwundbar, auch der 26-Jährige hat schon einmal wesentlich besser Tennis gespielt. Signifikant: Nach der 3:0-Führung im ersten Satz verlor Thiem fünf Games in Folge und machte dabei nur drei Punkte, einen davon durch einen Doppelfehler Goffins.

Nachwehen

Dieser eklatante Negativlauf während des Matches steht sinnbildlich für die hartnäckige Formkrise, aus der sich Thiem seit zweieinhalb Monaten zu keinem Zeitpunkt befreien konnte. Der Sieg gegen Pablo Carreño Busta nach durchschnittlicher Leistung am Mittwoch ließ auf eine Trendwende hoffen, doch sie fand nicht statt.

Auch wenn das Team Thiem sich öffentlich nicht gern auf Spekulationen dieser Art einlässt, es diese am liebsten von sich weist, so scheint es zwischen dem chronische Züge erhaltenen Formtief und der Niederlage gegen Juan Martín del Potro im Achtelfinale der US Open Anfang September doch einen direkten Zusammenhang zu geben. Gegen den kränkelnden und sich scheinbar mit letzter Kraft über den Platz schleppenden Argentinier hatte Thiem eine 2:0-Satzführung verspielt, zwei vergebene Matchbällen im vierten Satz machten diese Niederlage zur schmerzhaftesten seiner Karriere.

Was im Anschluss an die US Open folgte, war für die Ansprüche eines Weltklassespielers schlichtweg höchst ernüchternd. Von zehn Tour-Matches gewann Thiem nur drei, seine Saisonbilanz liest sich mit 49:27-Siegen hauptsächlich aufgrund der immens starken Sandplatzdarbietungen deutlich positiv. Das Jahr wird der Rechtshänder auf Platz fünf beenden, vorausgesetzt, Goffin oder Sock gewinnen nicht das Turnier. Nach einem Kurzurlaub wird Thiem bereits Anfang Dezember wie gewohnt die mehrwöchige Saisonvorbereitung in Teneriffa bestreiten.

Marachs Prestigeerfolg

Bereits vor Thiem war Freitagmittag mit Oliver Marach ein zweiter Österreicher in der O2-Arena eingelaufen. Der Steirer kam an der Seite seines kroatischen Partners Mate Pavić als Ersatz für Ivan Dodig/Marcel Granollers zum Einsatz, das Duo bot den Zuschauern hochkarätiges Tennis.

Denn Marach/Pavić entzauberten das mit 114 Titeln erfolgreichste Doppel aller Zeiten, Bob und Mike Bryan, mit 6:4, 6:4 – es war der zweite Sieg im dritten Vergleich mit den US-Zwillingen. Mit nur einem Spiel hatten Marach/Pavić keine Chance auf den Aufstieg ins Semifinale, 200 Weltranglistenpunkte sowie jeweils 52.000 Dollar machten die Dienstreise dennoch zu einem Erfolg.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2017)

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