Thomas Muster: "Es tut überhaupt nicht weh"

Thomas Muster ueberhaupt nicht
Thomas Muster ueberhaupt nicht(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Hans Osterauer)
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Am Dienstag bestreitet Muster in der Wiener Stadthalle sein allerletztes Spiel bei einem ATP-Turnier. 10.000 Zuschauer werden erwartet. Einer der größten Sportstars dieses Landes zelebriert seinen Abschied.

Wenn er weiter so trainiert, spielt und auch siegt, so wird Muster zum Vorbild, wie man die Tenniswelt erobert.“ Am 28.Oktober 1985 schrieb der Doyen des österreichischen Sportjournalismus Josef Metzger diese Zeilen in der „Presse“. Der gerade einmal 18 Jahre alte Thomas Muster aus Leibnitz hatte sein erstes Turnier gewonnen. Ein Miniturnier, das mit 25.000 Dollar dotiert war. Doch er katapultierte sich mit dem Sieg im brasilianischen Belo Horizonte erstmals unter die Top 100. In nur einem Jahr hatte er sich vom 430. auf den 85. Weltranglistenplatz vorgekämpft.

26 Jahre später drischt Thomas Muster noch immer gelbe Bälle über das Netz. Rund um ihn herum emsiges Treiben in der Wiener Stadthalle. Qualifikanten streiten sich um einen Startplatz für das ATP-Turnier. Muster trainiert, schwitzt, stöhnt.

Am Dienstag wird er gegen den 18-jährigen Dominic Thiem vermutlich seinen letzten großen Auftritt im Tenniszirkus feiern. Muster ist die Nummer 1078 der Weltrangliste. Natürlich macht ihm dieser Sport Freude. Er findet noch immer Spaß daran. Aber diese Worte kommen Muster, wenn es um Tennis geht, nach wie vor nicht über die Lippen. Für ihn ist es „unglaublich harte Arbeit“. Und der Lohn dafür? „Meine zweite Karriere war für meinen Körper das Beste, was ich machen konnte“, sagt Muster heute. Muster spielt nur für sich. Das tat er immer.

Das tat er auch am 9.November 1986. Nicht ganz so, wie er es sich vorgenommen hatte. Im Viertelfinale von Antwerpen hatte er soeben gegen John McEnroe verloren. Was er dabei gelernt habe, wollte ein Journalist wissen. „Was man von McEnroe lernen kann? Nichts!“, polterte der 19-Jährige.

Genies wie McEnroe wissen nicht, warum sie gut sind. Sie sind es einfach. Thomas Muster ist kein Genie. „Lernen kann man nur aus den eigenen Fehlern“, sagte er. Er hat sich das Spiel mühsam erarbeitet. Musters einzige Begabung lag im Ehrgeiz. Darin übertraf er sie alle. McEnroe sowieso.

Das ist auch das Geheimnis von Musters Popularität. Er benutzte das Racket wie einen Hammer. Keine gefühlvollen Volleys, keine raffinierten Lobs. Ein Boxer auf Sand.

Als Tennis noch der „weiße Sport“ der Elite war, brachte Muster den Filzball in den Gemeindebau. Während andere Tennisstars für Luxusuhren und Modelabels warben, war er das Testimonial einer biederen Bank. Dass das legendäre Davis-Cup-Halbfinale gegen die USA in einem Fußballstadion, im Wiener Ernst-Happel-Stadion, stattgefunden hat, ist bezeichnend. Das war 1990. Fünf Jahre bevor Muster in Roland Garros seinen größten Triumph feierte, sechs Jahre bevor er zur Nummer eins avancierte, lag ihm Österreich zu Füßen. Warum? Weil er in der Nacht auf den 1.April 1989 in Key Biscayne von einem besoffenen Autofahrer über den Haufen gefahren wurde. Damals wurde eine Legende geboren. Mithilfe eines gewieften Managers namens Roland Leitgeb und des ORF. Wenige Tage nach seiner Knieoperation ließ sich Muster auf einen Sessel binden und knallte Bälle übers Netz. Die Szene wurde nur für die ORF-Kamera inszeniert. Tatsächlich war zu diesem Zeitpunkt von Training keine Rede. Aber die Bilder prägten sich ein. Wie vor ihm Niki Lauda, wie später Hermann Maier wurde Muster nicht wegen seiner Siege verehrt. Siege allein machen keine Helden, es sind die Schicksalsschläge.

„Es tut überhaupt nicht weh“, sagte Muster im Mai 1999 in St.Pölten. Er hatte sein Erstrundenspiel verloren. Gegen einen gewissen Stefan Koubek. Allen war klar: Das ist das Ende. Natürlich fuhr der 31-jährige Muster noch nach Paris, an den Ort seines größten Sieges. Dort war in der ersten Runde gegen Nicolas Lapentti endgültig Schluss. Pfingstmontag, 24. Mai 1999.

Elf Jahre später, im Juni des Vorjahres, kam das überraschende Comeback. Mit 43 Jahren. 25-mal spielte er bei kleinen Turnieren gegen Gegner, die seine Söhne sein könnten. 23-mal verlor Muster. Er verlor Spiele. Den Respekt der Fans verlor er nie. Am Dienstag werden 10.000 Zuschauer in der Stadthalle erwartet. Ziemlich genau 25Jahre nach seinem ersten ATP-Sieg in Hilversum bestreitet Thomas Muster sein letztes Spiel. Was damals Josef Metzger in der „Presse“ geschrieben hat, gilt heute noch immer: „Der Thomas ist ein Vorbild für alle.“

1967
wurde Thomas Muster in Leibnitz geboren.

1989
beendete ein betrunkener Autofahrer in Key Biscane beinahe Musters Karriere. Muster überwand die schwere Knieverletzung und kämpfte sich zurück.

1995
feierte er in Paris den größten Triumph seiner Karriere: Er gewann die French Open. Fünf Jahre zuvor hatte er mit dem österreichischen Team im Daviscup das Halbfinale erreicht. Die legendäre Partie gegen die USA ging in Wien mit 2:3 verloren.

1996
war Thomas Muster für insgesamt sechs Wochen Nummer eins der Tennis-Weltrangliste.

1999
kehrte der zweifache Sportler des Jahres der ATP-Tour den Rücken – nach 44 Einzelsiegen und rund 12,2 Millionen Dollar Preisgeld.

2010
startete Muster beim Challenger in Braunschweig seine zweite Karriere. Von bislang 25 Partien verlor er 23.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2011)

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