Schlierenzauer: "Es ist immer eine Frage des Blickwinkels"

Schlierenzauer immer eine Frage
Schlierenzauer immer eine Frage c GEPA pictures GEPA pictures Thomas Bachun
  • Drucken

Gregor Schlierenzauer, 22, erinnert sich an die Zeit, als er als »Kind« im Skisprung-Weltcup gelandet ist, spricht über das Älterwerden, ärgert sich über Schulterklopfer und Windregel. Seine Erfolge versteht er als Privileg.

Heuer startet der Skisprung-Weltcup in Lillehammer, wie ist der norwegische Winter?

Gregor Schlierenzauer: Winter? Hier ist die Schanze weiß, rundherum alles grün und grau. Auch ist es nicht sonderlich kalt, wir sind aber froh, dass die Saison losgeht.

Spüren Sie wenigstens etwas vom Olympia-Flair? Lillehammer war 1994 Austragungsort fantastischer Winterspiele.

Na ja, ich war 1994 erst vier Jahre alt, ich habe also nicht so viel von diesen Spielen mitbekommen. Es soll aber großartig gewesen sein und wenn man sich hier so umsieht, erinnert doch noch sehr viel daran. Die Kraftkammer unseres Hotels ist voll von Maskottchen oder auch die Stelle, an der das olympische Feuer im Stadion gebrannt hat, ist nicht zu übersehen.

Betrachten Sie Ihre Umwelt anders, seitdem Sie sich als Fotograf versuchen? Halten Sie etwa Ausschau nach Motiven?

Es gibt immer etwas, das mir sofort ins Auge sticht. Seitdem ich mein Hobby verfolge, gehe ich sicher auch mit offeneren Augen durchs Leben, ja. Es ist nicht mehr nur der herrliche Ausblick, wenn du oben auf der Schanze sitzt, sondern auch das Drumherum wichtig für mich. Es gibt viele Motive, ein spezielles habe ich aber nicht.

Sie beginnen nun Ihre siebente Saison als Skisprung-Profi, wie sehr haben sich der Sport und seine Protagonisten verändert? Wie sehr hat Sie der Absprung geprägt?

Ich bin ein Routinier geworden! (Lacht.) Alles verändert sich, auch das Skispringen, seine Regeln. Jetzt ist gerade wieder einmal der engere Anzug ein Thema und wir werden in den Bewerben sehen, wie sehr sich alle anderen damit beschäftigen. Es ist meiner Meinung auch alles komplizierter geworden, das sage ich aber nicht, weil ich älter geworden bin, sondern weil es stimmt. Dass ich kein Freund der Windregel bin, ist bekannt.

Und die Athleten nehmen es einfach so hin?

Es ist die Challenge, sich damit auseinanderzusetzen. Es ist doch auch für den Zuschauer schwieriger geworden. Für den Internationalen Skiverband ist es toll, jetzt sind Springer aus mehreren Nationen im Vorderfeld zu finden, ich bleibe aber dabei: Eine Sportart ist deshalb eine Topsportart, weil sie einfach ist, so wie Fußball.

So mancher will die Abseitsregel aber partout nicht verstehen...

... aber jeder weiß, dass derjenige gewinnt, der die meisten Tore schießt. Oder? (Lacht.)

Sie sind 22 Jahre jung, haben 40 Weltcupsiege zu Buche stehen, Sie sind Weltmeister, Gesamtweltcup- und Tourneesieger. Sind Siege für Sie noch eine Herausforderung, wie nehmen Sie den Erfolg wahr?

Anders, ganz anders als früher. Vergangene Saison ist mir einer der letzten großen Schritte gelungen, ich habe die Vierschanzentournee gewonnen. Das war mein Kindheitstraum, ich habe eine andere Welt betreten. Ich bin seitdem so entspannt, befreit, das hat mir so viel gegeben. Es mag übertrieben klingen: Für mich ist Erfolg ein Privileg.

Bleiben dann noch Ziele übrig? Ich wiederhole mich ungern, aber Sie sind erst 22...

... es ist ein Privileg, als 22-Jähriger 40 Weltcupsiege geschafft zu haben. Und natürlich habe ich noch weitere Ziele. Ich möchte Olympia-Sieger werden. Und ich will den Rekord von Matti Nykänen brechen, er hat 46 Siege. In diesem Fall spricht mein Alter für mich: Ich habe keinerlei Zeitdruck oder Stress. Null Zeitdruck, das zu wissen und zu verstehen ist sehr schön.

Keinen Stress zu haben, das ist in unserer Gesellschaft eigentlich ein Geschenk.

Natürlich, das weiß ich und deshalb bin ich auch so entspannt. Ich genieße es, mir taugt dieses Standing.

Sie meinen damit die magische Zahl 46?

Ich spreche von der Zahl 47! (Lacht laut.) Ich will den Rekord überbieten. Es ist aber schon ein Wahnsinn, wenn vorne dran ein Vierer steht...

... beim Älterwerden kann sich diese Zahl auch als Schock erweisen...

Ja, natürlich (lacht), ich beziehe mich ja nur auf die Siegeszahl. Es gibt mir aber auch die Möglichkeit, zum Ursprung zurückzukehren, warum ich überhaupt mit dem Springen angefangen habe: aus echter Freude.

Siegertypen gelten für Jugendliche auch als Idol, sehen Sie sich auch als solches?

Ja. In diese Rolle wächst man hinein, und ich bin dabei, noch mehr hineinzuwachsen. Es zieht zwar Kraft ab, aber als Sportler muss man auch diese Funktion ausüben. Es ist jedoch oft „strange“, weil ich noch so jung bin.

Bei Society Events werden Sie aber nicht herumgereicht, Ihrem Bekanntheitsgrad scheint das nicht zu schaden.

Ich habe den Vorteil, wohlbehütet in meiner Familie aufgewachsen zu sein. Mein Onkel, Markus Prock, hat mich immer unterstützt. Das muss man sich vorstellen: Ich bin als Sechzehnjähriger in den Skisprung-Weltcup eingestiegen – als Kind! Ich habe von null auf 100 eingeschlagen, habe alles niedergerannt, da ist Unterstützung von der Familie unerlässlich. In dem Augenblick, in dem du Erfolg hast, will immer jemand etwas von dir, dann tauchen auch die Schulterklopfer auf. Ich lege großen Wert auf ein Nest, das Zuhause. Und wenn du nur 15. wirst, weil du einen schlechten Tag gehabt hast oder verletzt warst, siehst du dann schnell, wer deine wahren Freunde sind. Society mag ,Part of the Game‘ sein, aber wenn ich meine Ruhe haben will, dann nehme ich mir diese Zeit. Dann will ich ein ganz normaler Gregor sein.

Ein »normaler Gregor«?

Ja, ein junger Mann, der hin und wieder ein Bier trinken oder mit seiner Freundin bummeln gehen kann. Das ist nicht immer leicht.

Gelingt es Ihnen noch, unerkannt durch die Stadt zu spazieren?

Wenn ich das Kapperl nicht aufhabe, ja, manchmal. Aber es wird immer seltener. Es passiert, dass ich mich beobachtet fühle, doch dann denke ich mir, dass ich daran Spaß haben sollte. Ich muss damit leben, ich will es ja auch so. Im Leben ist alles eine Frage des Blickwinkels, wie in der Fotografie.

zur person

Mit Akribie und viel Gefühl
Gregor Schlierenzauer, 22, hebt seit 2006 im Weltcup ab. Er ist Skiflug-Champion, gewann fünfmal WM- und einmal Olympia-Gold. Der Stubaier feierte 40 Weltcupsiege, sechs fehlen ihm noch auf Matti Nykänens Rekord.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Severin Freund freute sich
Wintersport

Skispringen: Freund siegt in Lillehammer vor Morgenstern

Der Deutsche Severin Freund verhinderte einen Auftaktsieg für den ÖSV, der sich aber über ein gutes Mannschaftsergebnis freuen durfte: Drei ÖSV-Adler landeten in den Top Ten.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.