Pierre Pagé: "Österreichische Mentalität macht mich krank"

Pierre Pagé
Pierre Pagé (c) GEPA pictures (GEPA pictures Hans Simonlehner)
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Visionär Pierre Pagé gibt seit nunmehr fünf Jahren die Kommandos an der Salzburger Bande. Nach schwachem Saisonbeginn sieht sich der 63-Jährige harter Kritik der Fans ausgesetzt. Diese stört ihn keineswegs.

Ihre Mannschaft ist überraschend schlecht in die Saison gestartet. Auf den für die direkte Play-off-Teilnahme notwendigen sechsten Platz fehlen nach 28 Runden etliche Punkte. Befürchten Sie, die Play-offs zu verpassen?

Pierre Pagé: Glauben Sie mir, darüber haben wir uns in Salzburg noch kein einziges Mal unterhalten. Wir wissen, dass unsere Situation nicht zufriedenstellend ist, aber noch haben wir Zeit. Manche Leute verfallen in Panik, weil wir Neunter sind. Dabei ist es völlig egal, ob du zum jetzigen Zeitpunkt Neunter, Sechster oder Erster bist, wenn du am Ende der Saison nicht die Meisterschaft gewinnst. Es ist erst Anfang Dezember und nicht Ende Jänner. Wir haben noch genug Möglichkeiten, alles zu korrigieren.


Wenn der Salzburger Fußballklub in diesem Stadium der Saison im unteren Tabellendrittel festsitzen würde, wäre der Cheftrainer vermutlich schon seinen Job los. Ihr Vorgesetzter Dietrich Mateschitz hat Ihnen aber erst kürzlich das Vertrauen ausgesprochen. Überrascht?

Keineswegs. Es geht hier um Glaubwürdigkeit. Herr Mateschitz ist nach wie vor davon überzeugt, dass das, was wir tun, das Richtige ist. Für diese Einstellung danke ich ihm.

Manche Fans vertrauen Ihnen nicht mehr. Verstehen Sie deren Unmut?

Ich kann ihren Ärger durchaus nachvollziehen, stimme ihnen in einem Punkt auch zu: Wir müssen besser werden! Und wir dürfen nicht selbstzufrieden wirken. Diese Gefahr besteht, wenn du in der Vergangenheit erfolgreich warst. Kritik ist immer auch eine Art Standortbestimmung, sie ist Teil des Sports. In der NHL beobachten dich als Trainer 24 Journalisten. Wenn dich zwei davon mögen, ist die Chance groß, dass die 22 anderen dich umgehend kritisieren.

Viele wundern sich über Ihre Transferpolitik. Erst vergangene Woche haben Sie drei weitere Nordamerikaner verpflichtet. Sieht so der richtige Weg aus?

Es ist falsch zu glauben, dass Legionäre den österreichischen Spielern schaden. Im Gegenteil: Wenn du solche Spieler nicht in deiner Mannschaft hast, trainieren die Österreicher automatisch auf einem niedrigeren Niveau. Nur auf diesem Weg kannst du als Spieler besser werden. Im Fußball ist es doch das Gleiche. Wenn du im täglichen Geschäft nicht gefordert wirst, kannst du nicht die Champions League gewinnen. Aber eines vergessen viele Spieler...


Und zwar?

...dass man für den Erfolg sehr viel arbeiten muss. Ich erlebe zum ersten Mal während meiner langen Zeit in Europa, dass es derart lange dauert, bis talentierte Spieler dazu bereit sind, den Preis für den Erfolg zu bezahlen – und der ist nun einmal harte Arbeit. In Salzburg wird härter trainiert als bei jedem NHL-Klub. Manche wollen das noch nicht akzeptieren – das ist eine Frage der Mentalität.

Ein österreichisches Problem?

Ja! Die Mentalität im österreichischen Eishockey muss sich ändern, und zwar rasch. Die meisten Spieler glauben nicht daran, dass sie bessere Teams schlagen können. Die Nationalspieler trauen sich Siege gegen Tschechien, die Slowakei, Deutschland oder die Schweiz nicht zu. Das macht mich krank, weil ich weiß, dass sie das Potenzial dazu hätten.

Sie glauben also an eine erfolgreiche Olympia-Qualifikation 2014?

Natürlich. Warum sollte Österreich nicht bestehen?

Weil etwa Deutschland zu stark sein könnte?

Nein, das ist es nicht. Es geht einzig und allein um den Kopf. Die Spieler müssen daran glauben. Die österreichischen Skifahrer tun es doch auch, deswegen gewinnen sie so viel.

Würde Sie denn der Posten des Nationaltrainers reizen?

Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht. Aber grundsätzlich möchte ich bei meinem Job die Kontrolle haben. In Österreich darfst du es nicht laut aussprechen, wenn etwas falsch läuft. Das ist eine Art Eishockey-Kommunismus. Und ich dachte, wir leben in einer freien Gesellschaft.

Sie haben zuvor die Jugend angesprochen. Konstantin Komarek gilt als eines der hoffnungsvollsten Talente des Landes. Warum konnte er in Salzburg noch nicht überzeugen?

Weil auch ihm der Glauben fehlt. Ich versuche ihm klarzumachen, dass er sehr gut sein kann. Im Training macht er unglaubliche Dinge, er hat „russische Hände“, wie man so schön sagt, ist also besonders begnadet im Umgang mit Schläger und Puck. Aber mit 20 Jahren kämpft er bereits gegen die Uhr, wenn er Großes vollbringen will.


Sie stehen seit über 40 Jahren an der Bande. Ist Ihre Leidenschaft noch immer so groß wie am ersten Tag?

Oh ja! Ich kann es kaum erwarten, morgens aufzustehen und mich auf den Weg in die Eishalle zu machen. Dieser Sport ist und bleibt meine Leidenschaft.

1986 haben Sie als Assistenztrainer der Calgary Flames das Stanley-Cup-Finale erreicht – und verloren. Steht nicht noch etwas auf Ihrer To-do-Liste?

Wenn du so wie ich 45 Minuten von Montreal entfernt aufwächst, ist es immer dein Traum, den Stanley Cup zu gewinnen. Heute möchte ich meinen Spielern dabei helfen, den Sprung in die NHL zu schaffen und die Meisterschaft zu gewinnen. Das ist fast so befriedigend, wie den Titel selbst zu gewinnen.

Wird diese Saison in der NHL noch Eishockey gespielt?

Ich weiß es nicht, aber es ist unglaublich, dass es die Verantwortlichen nicht zustande bringen, einen Deal auszuhandeln. Scheinbar hat man aus der Vergangenheit nichts gelernt.

Wer ist im Recht: Spieler oder Klubs?

Die Klubs. Sie sind es doch, die das wirtschaftliche Risiko tragen. Die Spieler verdienen zu viel, sind realitätsfremd. Eishockeyspieler waren immer hart arbeitende Menschen, die in gewisser Weise auch Bodenständigkeit symbolisiert haben. Diese Zeiten sind vorbei.

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Steckbrief

1948
wird Pierre Gilbert Pagé in Quebec, Kanada, geboren.

1971
nimmt er seine erste Trainertätigkeit als Assistent an der Dalhousie University Halifax auf.

1980
steht er erstmals in der National Hockey League an der Bande. Er ist Ko-Trainer der Calgary Flames, 1986 erreicht der Klub das Stanley-Cup-Finale.

1998
verlässt Pagé nach 13 Saisonen und Stationen als Headcoach von Minnesota, Quebec, Calgary und Anaheim die NHL, übersiedelt nach Europa.

2000
heuert Pagé beim Schweizer Topklub Ambrì-Piotta an. 2002 folgt der Wechsel zu den Eisbären Berlin, die er 2005 und 2006 zum Titel geführt hat.

Seit 2007
ist Pagé Cheftrainer bei Red Bull Salzburg. 2008, 2010 und 2011 wird sein Verein Meister, 2011 gewinnt Salzburg zudem die European Trophy. 2009 und 2011 siegt Salzburg beim Red Bulls Salute.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.12.2012)

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