Finnland erlebt den Untergang seiner großen Skisprung-Kultur

Vierschanzentournee
Vierschanzentournee(c) GEPA pictures (GEPA pictures Harald Steiner)
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Suomis Skispringer sind die große Enttäuschung dieser Tournee. Wegen Chancenlosigkeit wurden drei Athleten heimgeschickt, nur noch ein ehemaliger Kombinierer versucht, Nykänens oder Ahonens Flugspuren zu folgen.

Garmisch. „Schlecht, sehr schlecht – huono!“ Toni Nieminen, Finnlands einstiger Überflieger, ist verzweifelt. Der Doppel-Olympia-Sieger und Tourneesieger von 1992 versteht die Welt nicht mehr. Wurden finnische Skispringer in der Vergangenheit automatisch mit Erfolg verbunden, so liegt in der Gegenwart alles brach auf dem Boden.

Suomi stellte bei der 61. Auflage der Vierschanzentournee nur vier Springer. Für den Auftakt in Oberstdorf qualifizierte sich aber nur der ehemalige Kombinierer Lauri Asikainen. Er wurde 49., also Vorletzter. Beim Neujahrsspringen wurde der 23-Jährige immerhin 27. Der Rest des Teams wurde wegen Chancenlosigkeit heimgeschickt. Ein Desaster für Nieminen: „Das darf doch gar nicht wahr sein.“

Silvennoinen, Uotinen, Kirjonen, Kankkonen (2), Ylianttila, Kokkonen, Nykänen (2), Laakonen, Nieminen und Ahonen (5) – „Finnair“ galt als Schanzen-Großmacht. Das bestätigen sechzehn Tourneesiege, aber dieser Glanz ist erblasst. Auch im Weltcup sind seit zwei Jahren keine Finnen mehr an der Spitze zu finden. Mit dem Karriereende von Janne Ahonen brach das System zusammen.

Es gibt keine Vorbilder, kaum noch Geld (Budget 2011: 100.000 Euro), von starken Sponsoren ganz zu schweigen. Gute Nachwuchsspringer sind rar geworden, sagt Nieminen, der für den TV-Sender YLE als „Experte“ arbeitet.

„Jeder weiß es besser, aber...“

Die Gründe für den Absturz kennt Toni Nieminen, 37, und die erinnern an Österreichs Sportpolitik. „Alle sind zerstritten, jeder weiß es besser – aber keiner macht es richtig.“ Fakt ist, dass die alte „Skisprung-Kultur“ ausgestorben ist. Keiner der Trainer und Nachwuchsspringer nimmt mehr so großen Aufwand in Kauf wie es früher bei Tests und Trainings der Fall war. „Ich hatte den Eindruck“, ätzt Nieminen, „dass Trainer damit zufrieden waren, wenn sie das offizielle Mannschaftsoutfit tragen durften“.

Zwischen Vereinen und Verband herrscht eine philosophische Kluft, es gibt keine zentrale Anlaufstelle. Dazu kommt das Finanzproblem. Nach dem Dopingfiasko bei der Nordischen WM 2001 in Lahti – fast allen Langlaufstars wurde Doping nachgewiesen –, spalteten sich Kombinierer und Springer ab. Eigenvermarktung sollte mehr eigenes Geld lukrieren. Ein Trugschluss, nicht erst seit der Eurokrise. „Sie hatten im Vorjahr nicht einmal genug Geld für ein Trainingslager“, sagt Nieminen gebrochen. Die Rechnung sei aber einfach: ohne Sieger kein Geld.

Für diese Saison fanden sich ein paar Geldgeber, und trotzdem wirkt die Mannschaft von Cheftrainer Pekka Niemelä weiterhin wie ein Bittsteller, sagt ein finnischer Agenturjournalist: „Es gibt derzeit eine Werbekampagne im Fernsehen mit den Springern. Sie bitten Zuschauer um ihre Unterstützung. Wie beim Roten Kreuz...“

Eine Trendwende ist nicht zu erwarten. Andere Sportarten wie Segeln und Schießen sind dank rettender Olympia-Medaillen in den Vordergrund gerückt – sonst hätte das sportbegeisterte Finnland wie Österreich in London auch eine Nullnummer hingelegt. Klassiker wie Leichtathletik oder Skispringen geraten zusehends ins Hintertreffen. „Wir müssen das ändern“, sagt Nieminen. „Aber wie?“

Die Deutschen hätten es richtig gemacht, sagt Toni Nieminen. „Sie waren nach Hannawald und Schmitt nirgends, jetzt springen sie wieder vorne mit.“ Vielleicht werde Finnland nun die neue Seemacht, ätzt er. Die Herrschaft über den Luftraum hat Suomi jedenfalls längst verloren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2013)

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