Baldur Preiml verwendete als erster Cheftrainer plakativ Psychotricks, um Gegner zu verwirren. Norwegens Trainer Alexander Stöckl setzt nun auf Halt und Placeboeffekt seiner Schuhe.
Garmisch. Alexander Stöckl stand mucksmäuschenstill im Hotel Dorint von Garmisch-Partenkirchen. Seine Skispringer Anders Jacobsen und Anders Bardal standen Journalisten Rede und Antwort, und der Tiroler wollte nichts verpassen. „Psst“, flüsterte Norwegens Cheftrainer, 39, als ihn „Die Presse“ nach dem Geheimnis des Erfolges fragen wollte. Zwei Tagessiege im Rahmen der Vierschanzentournee, Jacobsen als Tourneeführender, diese Dominanz, das gehe nicht so einfach vonstatten. „Ja, ich weiß, einen Augenblick bitte noch“, fügte Stöckl hinzu. „Wir kommen als Nummer eins nach Innsbruck, mein zweites Zuhause. Ich muss die Interviews hier genießen.“
Stöckls Laune stieg zusehends, als Bardal davon sprach, noch nie einen besseren Trainer gehabt zu haben. Und Jacobsen, der Titelverteidiger Gregor Schlierenzauer mit nahezu spielerischer Leichtigkeit zu distanzieren vermag, sagte, dass alles besser geworden sei. Nichts sei mehr vom starren System Mika Kojonkoskis existent. Man spreche miteinander, trainiere intensiver und ja, man habe eine neue Technik: den Trick mit dem Sprungschuh. Er gebe ihm Sicherheit, ein stabileres Gefühl, er spüre den Ski und damit die Strömung, den Auftrieb. Der Rest funktioniere von selbst. Er springt riskant ab, fliegt weit, siegt und hat zur Halbzeit 12,5 Punkte Vorsprung.
Idee eines Tiefbauingenieurs
„Das ist doch gar nicht so eine Riesensache“, sagt Stöckl, doch dabei muss er selbst schelmisch lachen. „Nein, es ist eine Art Manschette, ähnlich einer Rheuma-Einlage. Tom Hilde und Jacobsen verwenden sie. Die FIS hat dafür das Okay erteilt.“ Doch die Konkurrenz, allen voran die Österreicher, laufen Sturm. Schlierenzauer sprach sogar davon, „dass selbst ein blindes Huhn mitbekommt, dass da was anders läuft“. Sei es nun ein Placeboeffekt oder doch eine bessere Verbindung zwischen Mensch und Gerät: Die Norweger führen, und die ÖSV-Adler landen, bis auf Schlierenzauer, gerade noch im Mittelfeld. „Anders“ – dieses Wort scheint den Stubaier zu verfolgen, auch vor dem Bergisel-Springen am Freitag (14 Uhr, ORF eins), der dritten und womöglich vorentscheidenden Tourneestation.
Ausgetüftelt hat diese Schuhnovität im vergangenen Sommer die Familie Stöckl. Der Trainer bat seinen Vater Paul – einen Ingenieur für Tiefbau –, sich Gedanken über diese Mechanik zu machen. Sein Entwurf eines vorn verlängerten Schuhs mit einer Innenmanschette und der neue Elan-Ski, den Jacobsen vor dem Tournee-Auftakt erhielt, machen nun den Unterschied aus. „Es führt zur Versteifung im Schuh, man steht fester drinnen, hat schneller Kontakt – aber, darauf lege ich Wert, vorwiegend ist es ein psychologisches Hilfsmittel.“
Spielereien oder Psychotricks sind seit Baldur Preimls Ära im Skispringen oft zu erleben. Einst saßen Innauer und Co. in knallroten Anzügen auf Sonnenstühlen oder „entdeckten“ plakativ die Infrarotbestrahlung. Die DDR-Springer liefen dabei regelrecht rot an. Der Schweizer Simon Ammann hat seine Gegner wachgerüttelt, als er mit einem schiefen Bindungsstab abgesprungen ist. Jetzt hat eben ein Schuh mehrfache Aufgaben.
Sieg in „Schlieris Wohnzimmer“
Dass der Schuh allein ausschlaggebend ist für die Dominanz, glaubt nicht einmal Stöckl selbst. Schlierenzauer könne zweifelsohne besser springen, sagt er. „Würde Gregor so perfekt springen, wie wir es von ihm gewöhnt sind, wäre er kaum zu schlagen.“ Aber, vor dem Springen in dessen „Wohnzimmer“ habe keiner Angst. Stöckl arbeitete viele Jahre in Innsbruck als Nachwuchstrainer, Jacobsen feierte hier 2007 den entscheidenden Tagessieg auf dem Weg zum Tourneesieg. „Wir freuen uns auf diesen Hexenkessel. Das schönste Geschenk für mich wäre ein Sieg.“
Stöckl, mittlerweile umzingelt von Journalisten und Kameras, grinste. „Ein norwegischer Sieg unter der Leitung eines Tirolers in Innsbruck“ wäre wohl ein weiterer Stich in den ohnehin schon extrem aufgescheuchten Adlerhorst.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2013)