Die Buckelpiste ist nicht genug

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Bei den Winterspielen 2010 in Vancouver sprangen die Skicrosser spektakulär ins Rampenlicht, Andreas Matt gewann Silber. In Sotschi 2014 könnten der Tiroler und seine beiden Brüder Geschichte schreiben, auch seine Sportart hofft auf den wichtigen »Kick«.

Als Kinder gingen die Brüder Mario, Andreas und Michael Matt oft Skifahren. Die Pisten auf dem Arlberg lagen quasi vor ihrer Haustüre in Flirsch. Das Skifahren liegt allen bis heute noch im Blut, doch suchen sie in unterschiedlichen Disziplinen ihr Glück. Mario, 34, und Michael, 20, lassen im Slalomteam aufhorchen. Andreas, 31, ist Skicrosser. Wenn es Erfolge, Zeiten und Form zulassen, steht das Brüdertrio im Februar 2014 bei den Spielen in Sotschi geschlossen im Blickpunkt.

Mario Matt gelang als Skistar der Durchbruch, er wurde in St.Anton 2001 und in Åre 2007 Slalomweltmeister. Er gilt neben Marcel Hirscher als einer der Topanwärter auf eine Medaille bei den Winterspielen. Michael, mit 20 der Jüngste dieses Trios, gab zu Saisonbeginn in Levi sein Weltcupdebüt, schied aber im ersten Durchgang aus. Vielleicht schafft er es in den ÖOC-Kader. Wer weiß? Andreas hat beiden aber eines voraus – er gewann 2010 in Vancouver mit Silber im Skicross bereits olympisches Edelmetall.

Andreas Matt, ein gelernter Tischler, konnte sich nie so recht mit den Skiern anfreunden. Er wollte während seiner Hauptschulzeit lieber Snowboarden. Das sei cooler, weitaus aufregender gewesen. Kurz wurde er trotzdem „rückfällig“, erinnert er sich im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Als Mario im Jahr 2000 mit Startnummer 47 überraschend auf dem Kitzbüheler Ganslernhang triumphierte, wollte er sofort wieder ein Skifahrer sein. Er trainierte emsig, gab 2003 sogar den Vorläufer beim Damenweltcup auf dem Patscherkofel. Doch die Erfüllung war es für ihn nicht. Es fehlte immer der letzte, der alles entscheidende Kick. Er sagt: „Eine Buckelpiste war mir eben nie genug.“

Als ihn Salomon-Rennsportleiter Günther Mader 2003 zum Skicross lockte, war „ich sofort Feuer und Flamme. Das hat mir auf Anhieb getaugt. Hupfen mit Skiern, die steilen Hänge, Buckel, Kurven, das brutale Gegeneinander. Selbst bei Geländefahrten habe ich immer eine Schneewechte g'schnupft. Das hat man – oder eben nicht.“


Schnell, hart, furchtlos. Skicross ist für knapp 70 Sekunden der Inbegriff von Abenteuer, Kampf und Geschick. Matt liebt das Risiko, schreckt vor hohen Geschwindigkeiten, 50 bis 80km/h engen Kurven, nicht zurück. All das fasziniert ihn. Zudem seien „die Regeln leicht zu kapieren: In jedem Lauf treten vier Mann an, es gibt Sprünge, Steilkurven und Hindernisse, die Top zwei jedes Heats kommen weiter. Alles klar?“

Dass Geschick, Gleichgewicht und Gefühl aber Voraussetzung sind für diese Sparte, die 2010 ihre Olympia-Premiere feierte und mit spektakulären Bildern begeisterte, vergisst Andreas Matt trotzdem nie zu betonen. Anfänger hätten da „überhaupt keine Chance“. Wahrscheinlich hätte auch so mancher Skistar auf dem Cross-Parcours durchaus gröbere Probleme. Nur der Amerikaner Daron Rahlves schaffte beides mit Bravour. Er gewann wie Matts großer Bruder 2001 in St.Anton WM-Gold. Rahlves siegte damals im Super-G, er feierte zwölf Skiweltcupsiege – und trumpfte auch später als Freestyler bei den X-Games (2008) auf. Super-G oder eine Abfahrt würden freilich auch Andreas Matt reizen, aber seine Welt wäre dieser Weltcup nicht.


Skicross – nicht Skikurs! Seit über zehn Jahren tingelt der Freestyler durch die Weltgeschichte. Sechs Weltcupsiege stehen zu Buche, 2009 wurde er in Inawashiro, Japan, sogar Weltmeister. 2010 folgte der Hit bei Olympia, 2011 WM-Bronze in Deer Valley und der Triumph im Skicross-Weltcup. „Ich kann davon leben“, sagt der Vater von zwei Söhnen, aber so richtig „ausgesorgt“ habe er nicht. Das sei wohl der gravierende Unterschied zu den Alpinen – neben der breiteren öffentlichen Wahrnehmung. Skifahrer da, „wilde Hunden“ oder gar „Pisten-Rowdys“ dort – Vorurteile gebe es immer.

Obwohl sich seine Sparte etabliert hat – sie fand 2009 Aufnahme im ÖSV – und durchaus Ansehen genießt, steht sie klar im Schatten der Skifahrer. Durch die TV-Übertragung aus Vancouver habe Skicross freilich einen Boom erlebt, erklärt Matt. Doch es gerät wie alle Extremsportarten, wenn es kein Großereignis, Medaillen und damit weniger mediale Aufmerksamkeit gibt, schnell in Vergessenheit. Die Live-Übertragungen auf Puls4 hätten anfangs enorm geholfen. Die Sportart wurde in Österreich sofort bekannter. Als sie wegfielen, wurde es aber schlagartig wieder ruhiger.

Aus den Augen aus dem Sinn, sagt Andreas Matt, und erzählt ernüchtert von unzähligen Gesprächen aus den vergangenen Jahren, die allesamt den gleichen Tenor verfolgten: „Ah, du bist der kleine Bruder von Mario Matt. Und, was machst du? Was, Skikurs...“ WM-Gold oder Olympia-Silber veränderten eben doch nicht alles.

Aber es sind nicht immer nur die anderen schuld, sagt Andreas Matt, der am 6.Dezember in Nakiska, Kanada, in die neue Saison starten wird. Er selbst sei durch Erfolge der Vergangenheit auch „verwöhnt“ gewesen, konnte aber die gesteigerte Erwartungshaltung nicht immer erfüllen. „Ich habe zwar Blut geleckt, bin vorn mitgefahren – doch irgendwann war ich plötzlich weg.“ Es klappte nicht mehr nach Wunsch, Topresultate blieben aus. Auch ein Bänderriss im Knöchel drängte ihn aus der Spur. Seit Dezember 2011 wartet er nun schon auf einen Sieg. Zu den ewigen Vergleichen mit dem großen Bruder, dessen Pferdezucht (Vollblutaraber) und seiner eigenen Vorliebe für Hochlandrinder (ebenfalls eine Zucht in Flirsch) kamen nun bissigere Fragen. In diesem Punkt würden sich alle Sportarten wieder gleichen, erklärt der Tiroler. „Du musst immer schneller sein, hart arbeiten. Aber in Österreich gibt's trotzdem nur Skifahren, Skispringen – sonst nichts.“


Das Sotschi-Märchen. Bei den Winterspielen in Sotschi wird Skicross garantiert wieder ein Highlight sein. Andreas Matt will als Zugpferd dienen, natürlich wieder eine Medaille gewinnen. Was sollte er denn anderes sagen? Doch bis Februar sei noch so viel Zeit, erst müsse er sich im Weltcup wieder behaupten, „Fuß fassen, vorn mitfahren“. Erst dann könnte man von höheren Zielen träumen oder von einer reellen Chance auf eine Medaille sprechen. Auch vom Märchen, das die „Matt-Brothers“ in Sotschi skizziert, wollte er noch nichts hören. Der Weg sei weit, für alle von Verletzungsgefahren gesäumt. Aber schön wäre ein Familientreffen in Russland schon. Trotz aller Fragen über Pferde, Rinder und dem Dasein als kleiner Bruder des Slalomweltmeisters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2013)

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