Skisport: Erhöhter Ort und bessere Übersicht

Skisport, Toni Sailer
Skisport, Toni Sailer(c) APA (MUSEUMSVEREIN BAD GASTEIN)
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Der alpine Ski(renn)sport und die (Wieder-)Erfindung der österreichischen Nation.

Anton Sailer hat sich selbst als Held des Wiederaufbaus nach 1945 begriffen. Er habe den Österreichern wieder Selbstvertrauen eingeflößt, sagte er. Wenige Wochen nach dem Abzug der letzten sowjetischen Besatzungssoldaten gewann Sailer bei den Olympischen Winterspielen alle drei Bewerbe, Slalom, Riesenslalom und Abfahrt. Sailer: „Zwei Weltkriege, Friedensschluss, Straßenkämpfe drüben in Ungarn, der Einmarsch der sowjetischen Armee, die Wiederaufbauzeit. Woher sollte der Österreicher Mut schöpfen, nachdem zwei Weltkriege vorbei waren, Not und Elend geherrscht haben? Da war der Sieg eines Österreichers das Zuckerle im Mund, gell? Das ihm die Bestätigung gezeigt hat, wir sand wer, wir können was.“

So geht die Legende. Skilauf und vor allem sein hektischer Bub, der Skirennlauf, habe zur Wiedererfindung der österreichischen Nation viel beigetragen, lautet die in der Sportszene kanonisierte Geschichte. Sie suggeriert, dass der Skisport und Österreich eine Beziehung pflegen, die einzigartig sei. Doch das ist nicht der Fall. Seit dem Beginn der Olympischen Spiele steht der Sport in enger Verbindung zum sozialen Feld, sagt der Sporthistoriker Rudolf Müllner.

Auf dem Kolloquium „Olympia im Kalten Krieg“ des Ludwig-Boltzmann-Instituts im Wintersportmuseum Mürzzuschlag wurde das Thema der Inanspruchnahme des Spitzensports durchdekliniert. Am Beispiel der UdSSR und der Ära der gemeinsamen Olympiamannschaft von DDR und BRD im Skisport. Oder eben im Zusammenhang mit Österreich und dem Skisport.

Wiedererfindung als Nation

Unter „Sport“ ist in diesem Zusammenhang meist der medial verbreitete internationale Spitzensport gemeint. Auch in Christoph Eric Hacks Dissertation „Alpiner Skisport und die Erfindung der österreichischen Nation 1945–1964“ (2013, Universität Graz). Sailers Beispiel nimmt in der Argumentation breiten Raum ein. Diese Erfindung der österreichischen Nation ist eine Wiedererfindung und erfolgte, so Hack, als Reaktion auf den Nationalsozialismus. Die österreichische Nation und das politisch-ideologische Ringen um sie setzt freilich bereits in der (1918 nach dem Ersten Weltkrieg untergegangenen) Habsburgermonarchie ein und wurde in der Zwischenkriegszeit 1918–1945 zu einem bestimmenden Thema der Innenpolitik. Querverweis: Mathias Sindelar und das Wunderteam stützten die österreichische Identität in den 1930er-Jahren.

Der Skisport „ist und war immer ein gesamtösterreichisches Phänomen“, schreibt Hack. Nach 1945 lieferte er einen Beitrag zur Absetzung Österreichs vom Preußischen. Das Land, das sich lange Zeit als „das erste Opfer des Nationalsozialismus“ stilisiert hatte, bis Bundeskanzler Franz Vranitzky 1991 mit der Opferrolle aufräumte, brauchte, so Hack, „Substanz“ für das aufkeimende Nationalgefühl.

Die mediale Verehrung von Skirennläufern als Nationalhelden, die diese ihnen buchstäblich auf den Leib geschriebene Rolle schließlich (wie Sailer) selbst glaubten, trug zur kollektiv-emotionalen Überhöhung des Landes als Nation bei.

Seither ist es üblich geworden, dem „Sport“ bei der Konstruktion eines nationalen Raumes eine unterstützende Wirkung zuzugestehen. Unter diese Wirkung fallen beispielsweise die positive Repräsentation durch Sportler im Ausland, sportliche und staatsbürgerliche Erziehung der Jugend, Förderung des Nationalgefühls durch Identifikation mit heimischen Sportlern, die Hebung der Volksgesundheit und der Umsätze der Sportartikelindustrie.

Mediatisierung im Wandel

Schon möglich. Allerdings, so Müllner in Mürzzuschlag, müsste man das „gesamtösterreichische Phänomen“ genauer anschauen: Wie kommt eine im ländlich-alpinen Umfeld geschriebene Geschichte in die (ferne) Stadt und von dort mit den Urlaubern wieder in die Berge? Wie verändert sie sich bei diesem Umzug? Außerdem, so Müllner, seien die Phasen der medialen Vermittlung auseinanderzuhalten. Der von ORF und den Zeitungen, vor allem der „Kronen Zeitung“, inszenierte Massenwahn anlässlich der Disqualifikation von Karl Schranz bei den Olympischen Spielen von Sapporo 1972 ist nicht mit den medialen Verhältnissen der 1950er zu vergleichen, als Sailer gefeiert wurde. Und diese Zeit ist nur bedingt mit den 60ern vergleichbar, in denen das Fernsehen den öffentlichen Raum neu möblierte.

Sapporo liegt außerhalb von Hacks Beobachtungszeitraum. Müllners Ergänzungen können denn auch als Anstoß begriffen werden, eine repräsentative Studie über den Parallelslalom von medial vermitteltem Skirennsport und österreichischem Nationalgefühl zu erstellen. Der jährliche Promi-Politiker-Auflauf auf der Ehrentribüne des Abfahrtslaufs von Kitzbühel und die Reise diverser Regierungsmitglieder zu den Olympischen Winterspielen nach Sotschi wären dadurch vielleicht besser zu verstehen und leichter zu verdauen.

Sotschi ist kein Schicksalsort

Sotschi wird eher nicht der Schicksalsort der österreichischen Nation. Weder im Fall des Versagens, wenn Österreichs Skiherren wie in Vancouver wieder null Medaillen gewinnen. Und auch nicht im Fall des Triumphs. Das war in Cortina d'Ampezzo wahrscheinlich auch so, als Sailer alles gewann, auch wenn es im Rückblick so aussieht, als hätte Österreich dort eine neue Verfassung erhalten. Aber der Sinn solcher Märchen besteht wahrscheinlich darin, im Rückblick Orte und Abläufe fassbar zu machen, die in unsicheren Zeiten (2014) festen Halt bieten.

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