Marcel Hirscher: "Ziele und Sterne ordnen"

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Marcel Hirscher hat vor dem Weltcupauftakt in Sölden ein wenig Prüfungsangst. Bei den Damen gab es mit Mikaela Shiffrin und Anna Fenninger zwei Siegerinnen.

Wohin das Auge reicht – Pulverschnee. Wintersportlern lacht da das Herz im Leib, der Neuschnee der vergangenen Tage hat dem Gletscher oberhalb von Sölden gutgetan. Der Rettenbachferner hatte unter dem eher warmen Herbst gelitten, rechtzeitig vor dem Weltcupauftakt (live ORF eins 9.30 bzw. 12.45 Uhr) hat er Nachschub von oben bekommen. Mit Eis, Schnee und Kälte hat Marcel Hirscher kein Problem, er ist der beste Skifahrer der Gegenwart, hat dreimal in Serie den alpinen Gesamtweltcup gewonnen. Das haben vor ihm nur Gustav Thöni, Ingemar Stenmark und Phil Mahre geschafft. Diese Tatsache erfüllt Hirscher mit Stolz. Und manchmal sieht er diese Sonderleistungen ein bisschen zu wenig gewürdigt. Immer wieder betont er, dass Podestplätze im Weltcup keine Selbstverständlichkeit seien. Von Siegen ganz zu schweigen. Als Sportler des Jahres ist er dennoch nominiert, er befindet sich in der Auswahl der Top fünf. Aber damit beschäftigt sich der Salzburger aus Annaberg nicht. „Jetzt zählt nur Sölden.“

Marcel Hirscher kann ernst sein, nachdenklich, er kann aber auch verschmitzt lächeln. Und manchmal nimmt er auch den einen oder anderen Reporter auf den Arm. Er kann es sich erlauben, er liefert keine Negativschlagzeilen, torkelt durch keine Festzelte. Es existieren auch keine Bilder oder Videos, auf denen ein Stinkefinger zu sehen ist. Ein schlechtes Wort aber würde Hirscher über Hermann Maier nie über die Lippen kommen. Dazu ist der Respekt vor dem „Herminator i. R.“ viel zu groß. Maier ist übrigens der letzte Österreicher, der auf dem Rettenbachferner triumphieren konnte. Das war im Jahr 2005. „Seit wie vielen Jahren Österreich hier sieglos ist, das ist mir eigentlich egal“, sagt Marcel Hirscher. „Das ist komplett Banane.“ Aber der 25-Jährige kann sich an die Bilder von damals noch recht gut erinnern. „Der Hermann“, sagt er, „hat den Ski im Flachen Richtung Ziel getreten, das war unglaublich. Dann hat er sich den Rennanzug aufgerissen.“ Ein Moment der Befreiung.

Wo Hirscher vor dem Weltcupauftakt genau steht, weiß er nicht. Er selbst vergleicht das alles ein wenig mit der Schulbank. Er spricht nicht von Prüfungsangst, aber von einer ähnlichen Geschichte. „Es ist wie vor eine Schularbeit“, sagt der Salzburger. Und da hat er seine eigenen Erinnerungen. „Und vom Gefühl her hat man doch vor jeder wichtigen Schularbeit zu wenig gelernt.“ Wobei er mit der Schule oder mit Professoren nie auf Kriegsfuß gestanden ist. Aber die Ungewissheit bleibt. „Es wird das erste Kräftemessen. Erst dann kann man die Ziele und Sterne ordnen.“

Marcel Hirscher wirkt mehr als nur durchtrainiert, wie ein Kraftpaket, das darauf wartet, dass man es loslässt. Eine Weltcupsaison dauert lang, 38 Rennen stehen auf dem Programm. Dazu kommt die Weltmeisterschaft in Vail und Beaver Creek. Fünf Rennen konnte Hirscher im Vorjahr für sich entscheiden, insgesamt holte die ÖSV-Herrenmannschaft neun Siege. Ob er sich die Titelverteidigung zutraut? „Das hat bis jetzt noch keiner geschafft“, weiß Hirscher. „Das wäre schon abartig geil.“ Bei den Damen ist Annemarie Moser-Pröll dieses Kunststück gelungen. „Salzburger Blut“, scherzt Marcel Hirscher, „ist eben keine Nudelsuppe.“

Der 25-Jährige geht heute zum siebenten Mal in Sölden an den Start. „Anspannung, Vorfreude, Ungewissheit – alles in Kombination. Wir werden bald wissen, ob wir alles richtig gemacht haben“, sagt Hirscher.

Der größte Rivale in seinen Disziplinen war in den vergangenen Jahren US-Superstar Ted Ligety – in Sölden hat er drei Siege en suite zu Buche stehen. „Ich möchte ihn nicht kopieren“, sagt Hirscher. „Aber natürlich studieren wir alle Details und analysieren seinen Schwung. Warum es möglich ist, dass er in solch extremen Positionen seine Schwünge ziehen kann. Dabei hilft es mir, dass ich auch zu dem Speed finde, den er vorlegt. Nur ist jeder Körper anders. Deshalb muss jeder für sich selbst den perfekten Schwung finden.“ Das Original ist eben besser als jedes Abziehbild.

Die Erfolge, so sagt er, hätten ihn verändert. „Ich habe in den letzten Jahren viel von meiner Lockerheit verloren. Das Leben hat mich eingeholt, ich habe eine große Verantwortung zu tragen. Auch für mein Team. Aber ich kann sagen, dass ich fest im Sattel sitze.“ Eines will Hirscher auch noch loswerden: „Heute heißt es nicht mehr: Wie viel hat der Hirscher gewonnen? Sondern: Wo hat er nicht gewonnen? Das Siegen ist nicht mehr die Sensation, sondern die Niederlage. Das ist schade, denn dann bekommt der Erfolg nicht mehr diesen Stellenwert!“


Zwei Siegerinnen. Höchst spannend verlief der Riesentorlauf der Damen auf dem Rettenbachferner – es gab gleich zwei Siegerinnen zu bejubeln. Die 25-jährige Salzburgerin Anna Fenninger hatte im zweiten Durchgang vorgelegt, die Halbzeitführende Mikaela Shiffrin fuhr dann auf die Hundertstel genau und zeitgleich ins Ziel. Für Fenninger, Titelverteidigerin im Gesamtweltcup, war es der erste Erfolg in Sölden (war zuvor im Ötztal nie auf dem Podest) und der fünfte RTL-Triumph in Serie. Die 19-jährige US-Frohnatur Shiffrin, ein Ausnahmetalent in den technischen Disziplinen, machte wiederum beste Werbung für die Ski-WM in Vail/Beaver Creek, in 100 Tagen sind die Titelkämpfe bereits eröffnet.

Die Österreicherinnen präsentierten sich mannschaftlich stark, die Tirolerin Eva-Maria Brem wurde Dritte, Kathrin Zettel Vierte. Andrea Fischbacher landete mit Startnummer 46 immerhin noch auf dem 13. Rang.

Ergebnis RIESENTORLAUF 1. DG2. DGZEIT



(DAMEN) NATION ZEITPOSZEITPOSGESAMT

1. Anna Fenninger (AUT)1:18,022.1:21,8311.2:39,85
1. Mikaela Shiffrin (USA)1:17,931.1:21,9214.2:39,85
3. Eva-Maria Brem (AUT)1:18,957.1:21,177.2:40,12
4. Kathrin Zettel (AUT)1:18,988.1:21,166.2:40,14
5. Federica Brignone (ITA)1:18,574.1:21,658.2:40,22
6. Viktoria Rebensburg (GER)1:19,9712.1:20,463.2:40,43
7. Tessa Worley (FRA)1:18,353.1:23,0726.2:41,42
8. Maria Pietilä-Holmner (SWE)1:18,886.1:22,7324.2:41,61
9. Nadia Fanchini (ITA)1:19,8410.1:21,8412.2:41,68
10. Tina Weirather (LIE)1:19,8911.1:22,5022.2:42,39
11. Sara Hector (SWE)1:22,2618.1:20,202.2:42,46
11. Jessica Lindell-Vikarby (SWE)1:19,729.1:22,7425.2:42,46
13. Andrea Fischbacher (AUT)1:23,2626.1:19,591.2:42,85
14. Irene Curtoni (ITA)1:21,4613.1:22,1318.2:43,59
15. Ragnhild Mowinckel (NOR)1:21,9115.1:21,769.2:43,67

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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