Heinz Kuttin: "Neustart mit Bauchgefühl"

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Skispringen ist ein filigraner Sport, sagt ÖSV-Cheftrainer Heinz Kuttin. Der Kärntner liebt den Job, nennt das Tourneeteam, schwärmt von Kasai – Vergleiche mit Pointner sind "unzulässig".

Kritiker meinten nach dem Aus von Alexander Pointner, sein Nachfolger als ÖSV-Cheftrainer könne nur verlieren. Dann starteten Sie im November prompt mit Platz acht im Teambewerb von Klingenthal, dem schlechtesten Ergebnis in der Historie...

Heinz Kuttin: ...und jetzt hat Schlierenzauer in Lillehammer nach einem Jahr Pause wieder einen Sieg gefeiert, Kraft und Hayböck sind die Überraschung der Saison. Aller Anfang ist schwer. Für mich war diese Entwicklung der Lohn langer, harter Arbeit. Für mich als Trainer, für die Springer, oder alle anderen, die involviert sind, weil ich ja ein paar Sachen anders gemacht habe. Es war ein klarer Nullstart. Alle mussten neu anfangen, jeder musste sich und mich kennenlernen. Wir hatten in der kurzen Zeit viele Höhen und Tiefen, jetzt sind wir gut drauf, die Ergebnisse stimmen – aber das ist keine Garantie für die Zukunft. Das ist doch der Reiz.

Ein paar Sachen, meinen Sie damit den Vorstoß, dass die Athleten auf Videostudium und Materialtests verzichten, nur mit Bauchgefühl springen sollten?

Jawohl. Jedes Individuum hat eigene Stärken und Schwächen, ich als Trainer forciere die Gruppendynamik, den Teamgeist. Dann widme ich mich dem Einzelnen. Im Mai, als wir angefangen haben, hätte es keinen Sinn gehabt, schon mit dem „scharfen Material“ zu trainieren – die Saison beginnt ja erst im Winter und du musst im Skispringen den Körper neu einstellen. Also wollte ich sehen, wie es für die Springer ist, wenn sie nur mit Gefühl springen.

Also Skispringen quasi "unplugged"?

Durchaus, durchaus. Somit ist es für alle leichter geworden, das Erlebte zu verarbeiten, eine Saison zu analysieren, durchzuatmen und mit neutralem Material, dem eigenen Geist, wieder anzufangen. Ganz natürlich eben.

Als Ex-Springer kennen Sie den ÖSV, den Ablauf, den Sport. Ist es Ihr Traumjob?

Traumjob? Nein! Aber es war in dieser Liga, vor allem in der Heimat, immer mein Ziel, diesen Posten zu übernehmen. Es ist schließlich die höchste Position, die du erreichen kannst. Aber es gibt viele andere Jobs, die mit weitaus weniger Stress ablaufen. Ich bin aber sehr stolz, dass mir der Skiverband das Vertrauen ausgesprochen hat.

Wie oft wurden Sie schon mit Alexander Pointner verglichen? Jeder will schließlich wissen, was Sie anders machen.

Ein Vergleich ist überhaupt nicht zulässig. Die Meinung der Öffentlichkeit ist nicht die richtige, darf da nicht hineinspielen, denn sie kennt weder die Personen persönlich noch all die Faktoren, die da hineinspielen. In gewissen Situationen werden Geschichten aufgebauscht, liegen die Nerven blank etc. – auch deshalb will ich keinen Vergleich ziehen. Alles, was war, ist Vergangenheit. Wir haben aber aus der Situation in Sotschi gelernt. Wir bekommen jetzt sehr viel Feedback. Die Leute sind lockerer geworden, haben Spaß, sie sind zugänglicher. Alle in der Mannschaft ziehen an einem Strang.

Schlierenzauer, Hayböck und Kraft haben überzeugt, aber vollkommen abgestürzt scheinen die Tourneesieger Loitzl, Kofler und Diethart. Was ist mit ihnen passiert?

Kofler hat eine gute Entwicklung gemacht, hat aber einen sehr anfälligen Springstil. Er hat mit Rückenwind Probleme und wenn Kleinigkeiten in diesem filigranen Sport nicht stimmen, kommst du eben nicht mehr ins Finale. Dafür gibt es mittlerweile zu viele gute Athleten. Man muss weiterarbeiten, und wenn es nicht geht, auch pausieren. Bei Kofler, Loitzl oder Diethart war es richtig, sie aus dem Weltcup zu nehmen. Nicht immer findet man über den Wettkampf wieder zur Form zurück.

Also ist die Vision einer Tournee ohne drei ehemalige Tourneesieger oder gar ohne Titelverteidiger noch nicht Wirklichkeit?

Ich schaue mir das genau an. Manuel Fettner hat sein Tourneeticket fix, er hat uns mit dem Gewinn im Continental-Cup den siebenten Startplatz gesichert – den bekommt er auch. Über Hayböck, Schlierenzauer, Kraft und auch Kofler gibt es letztlich keine Diskussion. Bleiben zwei Plätze: Ich will mir Manuel Poppinger ansehen, er ist auf Augenhöhe. Dann analysiere ich die Performance von Loitzl und Diethart in Engelberg und entscheide.

Mit welchem Gefühl reisen Sie zu Ihrer ersten Tournee als Trainer, welche Erinnerungen haben Sie an die Zeit als Springer?

Der Unterschied ist der, dass wir mit breiter Brust anreisen. Das war früher vielleicht nicht immer so. Du gewinnst diese Traditionsveranstaltung ja nicht aus Zufall sechsmal in Serie. Viele werden bei diesem Höhepunkt sicherlich unruhiger, weil sie alles besser machen wollen. Das gelingt nicht, hier möchte ich mich einbringen. Die Entscheidung fällt bekanntlich in Bischofshofen...

Skispringen hat sich verändert, Geld, TV und Sponsoren bestimmen. Gerät der Sport dabei zu sehr in den Hintergrund?

Diese Veränderung sehe ich positiv, das Interesse der Öffentlichkeit ist größer geworden. Medien und Sponsoren stehen dahinter, Athleten können sich besser vermarkten. Aber Geld, keine Ahnung. Ich bin der Letzte, der darauf schaut. Für mich zählt der Sport, die Faszination. Es geht um Geldverdienen, ja, aber das muss der Nebeneffekt bleiben. Es geht um Sport, Emotion.

Es gibt offenbar kein Alterslimit. Noriaki Kasai ist 42, Simon Ammann 33 und...

...ich finde es toll, vor allem bei Kasai, der schon mit mir gesprungen ist. Ich finde es sensationell, dass er heute noch gewinnen kann. Auch Form und Wille von Ammann muss man hervorheben, sie sind Ausnahmekönner.

Wenn Sie Kasai beobachten, bekommen Sie da nicht Lust, noch einmal abzuspringen?

Ist das eine ernsthafte Frage? Ich habe mit 24 Jahren aufgehört wegen meinem Knie. Das wird im Alter nicht besser. Noriaki springt, ich bin jetzt Trainer – und damit sehr zufrieden.

Steckbrief

Im Jänner 1971
wird Heinz Kuttin in Gassen, Kärnten, geboren.

1987
gab er sein Weltcupdebüt als Skispringer, wurde auf Anhieb Achter.

1988
erobert Kuttin das erste WM-Gold bei den Junioren– er siegte fünfmal, sein Rekord hält bis dato.

1991
wird Kuttin bei der WM in Predazzo Doppelweltmeister (Normalschanze, Team).

1995
beendet der Familienvater nach zwei Weltcupsiegen seine Karriere, er wird Leiter des Villach-Stützpunktes.

2002/2003
ist er Ko-Trainer von Hannu Lepistö im ÖSV.

2004–2006
ist er Cheftrainer in Polen – mit Superstar Adam Malysz.

2006–2014
ist er „Heimtrainer“ von Thomas Morgenstern.

11. April 2014
Heinz Kuttin ist neuer ÖSV-Cheftrainer.

63. Tournee
Der Schanzenhit startet in Oberstdorf am 28. Dezember (16.30 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2014)

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