Hansi Hinterseer: „Die Streif, das ist ein Geschenk“

Hansi Hinterseer
Hansi Hinterseer(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ Mario Kneisl)
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Er ist auf der Seidlalm aufgewachsen und der letzte gebürtige Kitzbüheler, der in der Gamsstadt gewinnen konnte. Hansi Hinterseer spricht über die Entwicklung der Hahnenkammrennen.

Kitzbühel, die Streif, der Ganslernhang – was ist denn wirklich die Faszination der Gamsstadt?

Hansi Hinterseer: Also ich bin hier aufgewachsen, auf der Seidlalm. Und seit meinem vierten Lebensjahr habe ich die Hahnenkamm-Wochen hier bewusst erlebt. Nur vier Jahre habe ich verpasst, da war ich in Amerika. Ich habe in Kitzbühel schon so viel erlebt, ich möchte das alles nicht missen. Was sich da alles in all diesen Jahren verändert hat, das ist unglaublich. Die Entwicklung, was das Material betrifft. Und auch natürlich die Vermarktung.

Ist früher der Sport mehr im Mittelpunkt gestanden?

Ich würde das so formulieren: Früher waren die VIP-Gäste die Zuschauer. Und die Österreicher haben sich immer auf dieses Rennen gefreut. Auch in Zeiten, die vielleicht nicht so rosig waren. Das Image des Landes war nach dem Krieg down, dann ist Toni Sailer gekommen und hat Werbung für Rot-Weiß-Rot gemacht. Und was für eine. Er war eine riesige Persönlichkeit, ein Botschafter für das Land. Auf dem Berg hat sich ja bis heute, bis auf Kleinigkeiten, nichts verändert. Sie haben sich früher genauso runtergeschmissen.

Immer wieder ist vom Mythos Streif die Rede. Eine Übertreibung? Schließlich gibt es auch andere Abfahrten, die Furcht einflößend sind...

...aber niemand sagt, dass Kitzbühel nicht die schwierigste Abfahrt der Welt ist, oder? Man muss sich nur einmal ganz oben beim Starthaus anschauen, was sich da abspielt. Dort haben normalerweise einige immer die Goschen offen, wie man so schön sagt. In Kitzbühel aber ist es mucksmäuschen still. Wer auf der Streif einen Fehler macht, kann sich in Lebensgefahr begeben.

Es gibt fast keinen Streifsieger, der nicht über eine große Portion Erfahrung verfügt. Sind junge Rennläufer in Kitzbühel einfach überfordert?

Ich kann mich nicht erinnern, dass hier einmal ein Newcomer gewonnen hätte. Es ist kein Zufall, dass auch heuer beim Training wieder die Routiniers vorn waren. Man darf nicht vergessen, dass der Kurs auf der Streif jedes Jahr ein wenig anders ist. Die ideale Linie, die musst du jedes Jahr aufs Neue suchen. Und dann geht es vom Start weg gleich zur Sache. Und dann diese Geschwindigkeit. Und diese Sprünge. Wobei ich an Kitzbühel vor allem den Zielraum so liebe. Die letzten 30Fahrsekunden, die sind einfach genial. Und dann springen die Athleten gleichsam in die tobende Masse hinein. Das ist doch ein Geschenk. Für die Aktiven und die Zuschauer. Sind wir froh, dass es einmal solche Visionäre gegeben hat, die sich gesagt haben: Da bauen wir eine Abfahrt herunter. Man hätte ja den Berg auch irgendwann einmal verbauen können. Wäre ewig schade gewesen um das Geschenk Streif.

Zelebriert wurde und wird die 75. Hahnenkamm-Woche. Es gibt Experten, die sagen, Wintersportorte wie Kitzbühel könnten in den nächsten Jahrzehnten Probleme bekommen. Das Ende der Streif naht?

Also ich bin kein Klimaexperte. Aber Absagen, die hat es auch schon vor 30, 40 Jahren gegeben. Und auch schneearme Winter hat es gegeben. 1964 war Olympia – und alles grün. Auf der anderen Seite kann ich mich erinnern, dass es einmal an einem 12.Oktober zu schneien begonnen hat – und Skifahren konnte man in Kitzbühel bis April. Österreich lebt vom Tourismus sehr gut. Sind wir froh, dass es Schneekanonen gibt.

Wohin führt dieser Hahnenkamm-Wahnsinn noch? Das Preisgeld in Kitzbühel hat auch einen historischen Höchststand erreicht.

Das ist alles die Folge der Entwicklung. Alles wird schneller, größer, teurer. Das ist in der Formel 1 oder anderen Sportarten nicht anders. Das gilt sogar für Laufschuhe. Wo das noch alles hinführt? Ich weiß es nicht. Es kann aber leicht sein, dass es einmal ein Schnackerl macht. Und wir sitzen dann allein in der Badewanne. Das Preisgeld ist eine gute Sache. Schließlich riskieren hier alle mehr als genug. Aber wenn einer da oben am Start steht, will er heil herunterkommen – und gewinnen. Da denkt er nicht an den Siegerscheck.

Kitzbühel, Stadt der Reichen und Schönen. Ist es noch lebenswert hier?

Ich habe das Glück, hier geboren zu sein. Hier habe ich Skifahren gelernt, hier bin ich aufgewachsen. Für mich ist das ein heimeliger Ort. Orte, die vom Tourismus leben, die hat es immer gegeben und wird es immer geben. Aber Kitzbühel ist auch keine tote Stadt, wenn kein Winter ist. Und Kitzbühel ist auch kein Vorort von München oder sonst irgendwo. Ich liebe diese Stadt einfach.

Sie sind der letzte Kitzbüheler, der in Kitzbühel gewinnen konnte. Wunderteam der Gamsstadt gibt es schon lang keines mehr. Die Berge vor der Türe und kein Nachwuchs?

Ja, das ist schade. Aber es wird wieder besser, ich sehe das in den Skischulen bei uns. Da sind wieder gute Buben dabei. Aber die Situation ist in Lech oder St.Anton nicht viel besser. Diese großen Wintersportorte haben schon länger keine Großen mehr herausgebracht. Vielleicht hat das mit der Sättigung der Leute zu tun. Die Jungen von heute haben doch schon fast alles. Wenn du heute ganz hinauf willst, dann musst du ein Einzelkämpfer sein. Es gibt genug Beispiele dafür.

Auch der Österreichische Skiverband (ÖSV) hat bereits in einigen Disziplinen Probleme, etwa im Slalom.

Ich habe schon zu meiner Zeit gehört, dass wir kein starkes Slalomteam mehr haben. Marcel Hirscher überdeckt alles, die Arrivierten haben Probleme.

Kommt der Slalom im Vergleich zur Abfahrt in Kitzbühel zu kurz?

Slalom ist magic! 129 Schwünge, ein Fehler – und du bist weg. Wenn man sich anschaut, wie da ein Marcel Hirscher oder Felix Neureuther fahren, dann ist das schon ein Wahnsinn.

Wie halten Sie es mit dem Snowboard? Schließlich fand in den vergangenen Tagen eine WM in Österreich, auf dem Kreischberg, statt.

Snowboard hat mir nie zugesagt. Wobei es schon super sein muss, wenn man so durch den Schnee reitet. Aber für mich hat sich das nie angeboten. Ich bin mit dem Skifahren glücklich.

Sie waren viele Jahre TV-Ko-Kommentator. Warum haben Sie diese Tätigkeit eigentlich beendet?

Eine Woche vor dem Weltcup-Auftakt in Sölden wurde ich angerufen, dass der ORF sein TV-Team verjüngen will. Mir hat das irrsinnigen Spaß gemacht. Ich war derjenige, der auf der Piste mit den Aktiven gesprochen hat. Das war ein großes Miteinander. Die Skifamilie, die gibt es wirklich. Gut, jetzt machen es eben andere. Ich habe kein Problem damit, das zu akzeptieren. Respekt – das ist beispielsweise so etwas, was man im Sport lernt.

Haben Sie eigentlich im Sport das erreicht, was Sie hätten erreichen können?

Nein, sicher nicht. Aber ich habe auch viel zu früh aufgehört. Ich hätte – ohne jetzt überheblich wirken zu wollen – viel mehr Möglichkeiten gehabt. Aber vielleicht ist anfangs alles zu spielerisch gegangen. Wobei ich im Weltcup gut unterwegs war. Und bei Olympia hatte ich eine schlechte Woche. Dann war ich jung, verliebt, ich habe geheiratet. Und manchmal will man mit dem Kopf durch die Wand. Ich habe durch den Sport viel fürs Leben gelernt. Auch die Zeit als Skiprofi in Amerika war eine tolle Zeit.

Fühlen Sie sich heute eigentlich noch als Sportler oder ausschließlich als Musiker?

Das mit der Musik, das hat sich ergeben. Aber ich muss auch sagen, ich bin schon ein bisserl stolz, dass ich mich da drübergetraut habe. Wenn es Leute gibt, denen meine Musik gefällt, dann freut mich das. Wenn es mir gelingt, den einen oder anderen glücklich zu machen, dann ist das doch etwas Schönes. Ganz besonders freut mich, dass meine Musik auch in nicht deutschsprachigen Ländern Menschen begeistert. Wer die Berge liebt, der wird sich wohlfühlen. Und ich versuche, das musikalisch zu untermalen. Ich bin auf dem Berg aufgewachsen. Wir hatten nichts – und doch alles! Wir haben noch das Glück gehabt, die vier Jahreszeiten bewusst zu erleben, sich auf den ersten Schnee zu freuen, die ersten Sonnenstrahlen etc. Das sind alles Dinge, die verloren gegangen sind. Heute fliegen die Leute im Winter nach Mauritius oder sonst wohin. Zum Glücklich-Sein braucht es aber nicht viel. Wichtig sind Würde und Respekt.

Sie sind auch für Ihre zotteligen, weißen Schneeschuhe bekannt. Stört es Sie, wenn man darüber spöttelt?

Ich habe schon immer gern gemacht, was mir gefallen hat, auch wenn's mal gegen den Trend war. Ich mag einfach Sachen, in denen ich mich wohlfühle. Da gab's in den Siebzigern diese Moonboots, die haben mir total gut gefallen, und ich habe sie schon als Schüler auf dem Stockerl getragen. Dann ging's mit der Beliebtheit bergab, und die Fellstiefel waren out. Für meine eigene Fernsehsendung hab ich sie 1996 aus dem Schrank geholt, und mittlerweile sind sie Kult. Früher hat man mich dafür ausgelacht, und dann haben sie sogar die No Angels in ihrer Show getragen, und in New York habe ich Modepuppen von Topdesignern mit den Boots gesehen. Da war ich wohl der Zeit voraus! Und ich trage sie heut' noch gern. Sogar in einem Werbespot mit mir hatten die Moonboots einen Auftritt.

Was noch auffällt, das ist die Tatsache, dass Sie das Wort „bärig“ oft verwenden. Auch das gibt Anlass zur Parodie.

Bärig, das ist etwas Positives. Schönes, Tolles. Vielleicht verwenden Kitzbüheler dieses Wort oft. Andere kennen es nicht. Mir ist das egal, ich werde es weiter verwenden. Und ich werde ein positiv denkender Mensch bleiben.

Steckbrief

1954
wird Ernst „Hansi“ Hinterseer am 2.Februar in Kitzbühel geboren. Sein Vater, Ernst, wurde 1960 Slalom-Olympiasieger.

1968
wurde er Schülermeister im Slalom, im Riesenslalom und in der Kombination.

1969
wurde er ins ÖSV-Team aufgenommen.

1973
feierte der 19-Jährige im Riesenslalom von Anchorage den ersten Sieg. Er gewinnt die Disziplinenwertung.

1974
gewinnt er als bis dato letzter Kitzbühler den Slalom auf dem Ganslernhang.

1978
wechselte er in die USA zur Pro-Ski-Tour, er wurde 1982 und 1983 Profi-Weltmeister in der Abfahrt.

1983
beendete er seine Karriere. Er feierte sechs Weltcupsiege, gewann 1974 in St.Moritz WM-Silber.

Seit 1986
ist Hinterseer verheiratet, er hat zwei Töchter und ist als Entertainer, Moderator und Musiker unterwegs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2015)

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