Freeride: Absprung in die Unberührtheit

XTREME FREERIDE
XTREME FREERIDE(c) EPA (JEAN-CHRISTOPHE BOTT)
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Alle Welt schwärmt vom Tiefschnee. Doch die Athleten auf der Freeride World Tour zeigen, dass die Techniken im Gelände nur von wenigen Profisportlern beherrscht werden.

Wien. Die meisten Fragen, die Eva Walkner in letzter Zeit gestellt bekam, drehten sich um ihren Bruder. Als Debütant und Etappensieger bei der Rallye Dakar hat Matthias Walkner international für Aufsehen gesorgt. Dabei geht die große Schwester selbst in einem nicht weniger gefährlichen Wettkampf an den Start: Eva Walkner gibt heuer ihr lang erwartetes Comeback auf der Freeride World Tour, dem Bewerb der besten Extremskifahrer der Welt.

Die 35-jährige Salzburgerin ist dabei keine Debütantin, sie ist eine der ersten Anwärterinnen auf den Gesamtsieg bei den Frauen. 2012 schrammt Walkner noch denkbar knapp am Weltmeistertitel vorbei. Beim Tourfinale in Verbier (SUI) kostet sie ein Fehler beim letzten Felsen den Sieg und somit den Titel. Im ersten Bewerb der darauffolgenden Saison in Kanada verdreht sie sich bei einer Landung das Knie: Kreuzbandriss. Es ist bereits ihr dritter, und diesmal ein hartnäckiger. Die Saison 2013 ist beendet, 2014 muss sie ebenfalls pausieren.

Doch 2015 gelingt ihr ein Traum-Comeback: Walkner hat am Wochenende den Auftaktbewerb in Chamonix gewonnen und kommt als Führende zum einzigen österreichischen Tourstopp (Freitag) nach Fieberbrunn. Hier hat sie bereits bei ihrem letzten Antreten 2012 gewonnen.

Das Ziel für heuer war ein Top-drei-Platz in der Gesamtwertung, nun scheint auch der Titel möglich. „Grundsätzlich ist alles drinnen, ich habe das Skifahren ja nicht verlernt“, sagt Walkner. Schmerzfrei ist sie zwar noch nicht, sie hat aber ihre Verletzung im Griff. „Es geht darum, Spaß zu haben und nicht die Brechstange zu benutzen. Denn wenn ich wieder zu meiner alten Form finde, wird auch der Erfolg kommen.“

Österreichs Spitzentrio

Walkners Chancen auf den Gesamtsieg haben sich durch die Verletzungsprobleme der Konkurrenz erhöht. Die Vorarlbergerin Nadine Wallner, die während Walkners zweijähriger Pause die Tour dominiert hat, wurde nicht rechtzeitig zum Auftakt fit.

Wallner wäre die Frau gewesen, die es zu schlagen gilt. Als 23-Jährige war sie 2013 die bisher jüngste Gesamtsiegerin der Freeride World Tour. 2014 hat sie ihren Titel verteidigt. Doch danach zog sie sich während eines Filmdrehs in Alaska einen offenen Schien- und Wadenbeinbruch zu, ihre letzte Operation erfolgte erst vor eineinhalb Monaten.

Bleibt noch Lorraine Huber, die 34-jährige Gesamtzweite von 2014. Wie Wallner stammt sie vom Arlberg. Den Tourauftakt in Chamonix hat Huber aber wegen einer Knöchelverletzung verpasst. In Fieberbrunn will sie wieder an den Start gehen. Gut möglich, dass es dort auf ein Duell Huber gegen Walkner hinausläuft.

Im Gegensatz zu den Herren, bei denen hohe Risikobereitschaft entscheidend ist, gilt es bei den Damen, die richtige Mischung aus Risiko und Sicherheit zu finden. Das weiß auch Eva Walkner: „Du musst vor allem intelligent fahren. Zu viel Risiko kann einen Sturz bedeuten, zu wenig eine schlechte Platzierung.“

Walkners Weg in den Freeride-Sport ist nicht untypisch: Ihre Karriere als alpine Rennläuferin im ÖSV-Kader hat sie nach zahlreichen Verletzungen an den Nagel gehängt. Später ist sie als Skilehrerin vor und nach der Arbeit immer öfter im Gelände unterwegs und findet Gefallen daran: „Das hat mir so extrem viel Spaß gemacht, dass ich an einem Wettkampf teilgenommen habe. Dort wurde ich auf Anhieb Zweite. Danach habe ich den Sport intensiver verfolgt und irgendwann konnte ich davon leben – mit viel Arbeit, Ehrgeiz und Durchhaltevermögen.“

Besonders nach ihrer schweren Verletzung war es kein leichter Weg zurück. Im Sommer trainiert Walkner fünfmal pro Woche mindestens vier Stunden im Olympiazentrum Rif vor den Toren Salzburgs. Zusätzlich klettert sie, geht in die Berge oder bereitet sich beim Trampolinspringen auf den Winter vor.

Die Freerider präsentieren sich als rebellenhafte Gruppe freiheitsliebender Individualisten. Ihr Antrieb ist die Suche nach dem besten Schneebedingungen, um Rankings und Bestzeiten kümmern sie sich nicht. Wie passt es dann, dass sie in Wettkämpfen gegeneinander antreten? „Wenn man sich einen Namen aufbauen will, kommt man an Contests nicht vorbei. Gerade in Europa schauen die Medien vor allem auf Platzierungen“, antwortet Walkner. Ein erster Platz auf der Freeride World Tour sei für Medien und Außenstehende greifbarer als etwa eine tolle Filmsequenz.

Kein Skiporno

Neben der Tour bieten Filme den Sportlern die besten Chancen, ihren Sponsoren die gewünschten Traumbilder zu liefern. Im Gegensatz zu hartem Kunstschnee und überfüllten Pisten sind diese Bilder ganz im Sinn der Industrie. Auch Walkner, Wallner und Huber arbeiten an ihren eigenen Filmprojekten. Gemeinsam ist ihnen dabei die Herangehensweise: Freeride-Filme sind oftmals eine Aneinanderreihung von Action-Sequenzen, in der Szene werden sie gern als Skipornos kritisiert; die Österreicherinnen wollen mit ihren Produktionen neue Wege gehen.

Lorraine Hubers Filme etwa zeigen ihre Tiefschneeschwünge in Zeitlupe, unterlegt nur von Naturgeräuschen oder klassischer Klaviermusik. Eva Walkner und Nadine Wallner gehen nach der Tour wieder nach Alaska. Dort wollen sie jene Expedition fortsetzen, bei der sich Wallner im Vorjahr ihre schwere Verletzung zugezogen hat. Das Filmprojekt soll ein breiteres Publikum als klassische Freeride-Filme ansprechen, ServusTV ist beteiligt. „Es geht um unsere Emotionen während der Expedition. Wir wollen eine Geschichte erzählen, zeigen, wie es uns dabei geht. Es wird immer schwieriger, sein Geld zu verdienen. Man lebt von Jahr zu Jahr.“

AUF EINEN BLICK

Seit 2008 kämpfen die weltbesten Gelände-Skifahrer und -Snowboarder auf der Freeride World Tour (FWT) um WM-Titel. Wertungsrichter beurteilen Flüssigkeit und Geschwindigkeit der Fahrt, Kontrolliertheit, Sprünge und Landungen sowie die Schwierigkeit der Linienwahl.
2015 finden Rennen in Chamonix, Fieberbrunn, Andorra und Alaska statt, die WM folgt im März in Verbier (SUI).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2015)

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