Daniela Iraschko-Stolz: "Ich habe jetzt ein Hammer-Leben"

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Als Gesamtweltcupführende reiste Daniela Iraschko-Stolz zum Heimweltcup in Hinzenbach an. Ein Gespräch mit der Skisprungpionierin über die Freude am Sport, WM-Träume, ständige Vergleiche mit Männern und Conchita Wurst.

Im ersten Bewerb am Samstag feierten Sie Ihren bereits dritten Saisonsieg. Auch nach der zweiten schweren Knie-OP zählen Sie seit Saisonbeginn wieder zu den Besten. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Daniela Iraschko-Stolz: Da gibt es kein Geheimnis. Jeder, der in einem Sport erfolgreich sein will, muss Disziplin und Konsequenz im Training mitbringen. Gerade wenn man eine schwere Verletzung gehabt hat, muss man noch bewusster trainieren. Dass es jedes Jahr wieder funktioniert, ist auch eine große Überwindung, denn je älter man wird, desto mehr muss man tun. Der Körper zeigt einem sofort, ob das Training zu viel oder zu wenig war.

Wie lang hat es gedauert, bis Sie wieder volles Vertrauen in Ihr Knie hatten?

Dieser Prozess dauert bei mir schon zwei Jahre. Vor der ersten Operation hatte ich noch den Wunschgedanken, dass es noch einmal so wird wie davor. Jetzt weiß ich, dass man sich damit abfinden muss, dass es nie wieder zu 100 Prozent so wird wie früher. Das habe ich akzeptiert und kann mich insgesamt nicht beklagen. Natürlich muss ich im Training aufpassen, aber die Beweglichkeit ist gegeben, der Schmerz erträglich und damit das Vertrauen da. Außerdem ist es ohnehin kaum möglich, noch mehr kaputt zu machen (lacht). Irgendwann kann ich den Sport vielleicht nicht mehr ausüben, aber bis dahin bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt.

Mussten Sie Ihre Technik anpassen?

Extremere Einstellungen wären beim Material sicher möglich, aber die Entscheidung dagegen ist aus reiner Vernunft gefallen. Es geht darum, das Verletzungsrisiko zu minimieren und nicht, dass ich körperlich eingeschränkt wäre. Mit dem Alter wird man vernünftiger und bedenkt die Konsequenzen, doch wer gewinnen will, muss voll riskieren. Das auszublenden ist daher die große Kunst und zum Glück habe ich noch diese gewisse jugendliche Leichtigkeit.

Was genießen Sie nach über einem Jahrzehnt im Sport am meisten?

Dass ich eigentlich alles machen kann, was ich für den Sport, den ich liebe, brauche und dass ich als Profi-Sportler ein Hammer-Leben habe. So unkompliziert wie jetzt habe ich es noch nie gehabt. Davor habe ich versucht, Profi zu sein, aber musste nebenbei arbeiten und aufs Geld schauen. Inzwischen gibt es die Möglichkeit, zum Bundesheer oder zur Polizei zu gehen. Das erleichtert es unheimlich, weil es einem nicht nur ein fixes Gehalt, sondern auch eine Perspektive für die Zukunft gibt. Das befreit ungemein. Wenn es mit dem Skispringen einmal nicht mehr geht, werde ich mir etwas anderes finden, was mir Spaß macht.

Kritik gibt es am diesjährigen Saisonprogramm. Der Weltcup umfasst nur 13 Springen und hat rund um Weihnachten eine fünfwöchige Pause gemacht.

Es ist schade, dass wir so wenige Bewerbe haben. Die lange Pause ist absurd, denn im Gegensatz zur Tour de France ist Skispringen nicht die anstrengendste Sportart, bei der nach einem Wettkampf eine derartig lange Erholung notwendig wäre. Aber die meisten unserer Athletinnen sind unter 20, kommen direkt aus der Schule und sind froh, dass sie im Weltcup springen dürfen. Die wissen gar nicht, dass noch mehr möglich ist und man darf ihnen deswegen auch keinen Vorwurf machen. Die junge Generation kennt den Kampf, der dahintersteckte gar nicht, daher fehlt uns momentan die Lobby, die sich hinstellt und sagt: „So nicht.“ Früher waren wir wie eine Familie, da gab es kaum Rampenlicht und keiner konnte davon leben. Wir mussten damals zusammenhalten und als Gruppe für etwas kämpfen. Jetzt ist alles viel professioneller, dadurch arbeitet aber auch jedes Team für sich. Insgesamt aber hat sich der Sport extrem entwickelt und ich weiß, dass ich dafür mitverantwortlich war. Natürlich bleibe ich kritisch, aber ich möchte das jetzt auch einmal genießen.

Eva Pinkelnig sorgte mit ihrem Weltcupdebüt nur zwei Jahre nach dem ersten Sprung für Schlagzeilen. Ist es nicht auch kritisch zu beurteilen, wenn eine Quereinsteigerin auf Anhieb ganz vorn mitspringt?

Man kann Skispringen in zwei Jahren erlernen, das hat nichts mit der Qualität oder Dichte zu tun, das gilt auch für Burschen. Aber kein Mensch, der nicht schon vorher körperlich topfit war, wird das in dieser Zeit schaffen. Eva hat von klein auf Sport betrieben, wie ein Profi gelebt und noch dazu Talent und Mut mitgebracht. Natürlich ist es eine herausragende Leistung, aber das hat nichts mit dem Niveau zu tun.

Sie zählen zu den Routiniertesten, spiegelt sich das in Ihrer Rolle im Team wider?

Auch hier hat Eva sehr viel Positives bewirkt, denn zwischen mir und den Jungen ist der Altersunterschied schon ein bisschen zu groß. Sie aber hat sie voll mitgerissen, auch weil sie ihnen gezeigt hat, wie viel in zwei Jahren zu schaffen ist. Davor haben die Jungen vielleicht nicht immer 100 Prozent und sich zu schnell zufriedengegeben. Wenn man in Österreich auf einer 90er-Schanze springt, dann ist man schnell einmal bei einem Weltcup dabei. Wenn das das Ziel war, dann hat man sehr schnell keine Ziele mehr.

Welche Ziele verfolgen Sie nach so vielen Jahren noch?

Ich will immer gewinnen, auch wenn das nicht realistisch ist. Aber ich möchte danach sagen können: „Ich habe alles dafür gegeben, was möglich war.“ Ich denke nur noch von Saison zu Saison und heuer ist das große Ziel sicher die WM, eine Medaille im Mixed-Bewerb wäre ein Traum. Auch der Gesamtweltcup wäre natürlich ein Wahnsinn, aber dafür muss einfach wirklich alles passen. Im Moment schaut es nicht so schlecht aus, aber es ist körperlich extrem anspruchsvoll und ich weiß nicht, wie sich das entwickelt. Grundsätzlich am wichtigsten ist mir aber das Gefühl. Ich ärgere mich, wenn ich einen Sprung verhaue. Da bricht für mich für einen kurzen Moment die Welt zusammen. Und erst wenn dieses Gefühl nicht mehr da ist, dann habe ich verloren.

2014 gaben die Skispringerinnen ihr Olympia-Debüt. Wo sehen Sie den Sport in fünf Jahren?

Sie werden lachen, aber ich bin überzeugt, dass wir zu einer der bekanntesten Damensportarten in unseren Breitengraden werden. Skispringen ist die einzige Action-Sportart, bei der kein Unterschied zwischen Mann und Frau zu erkennen ist. Natürlich können wir nie mit den Herren mitspringen, sondern brauchen mehr Anlauf, aber für die Zuschauer ist das egal. Nur ist Geduld gefragt, denn Österreich ist in seinen Strukturen sehr traditionell aufgestellt und es dauert ewig, etwas zu verändern. Unser Sport muss sich noch entwickeln, aber das wird von selbst jedes Jahr besser und irgendwann werden wir auch auf die Großschanze gehen. Davor haben sicher viele Angst, weil die Männer dann nicht so gut ausschauen könnten.

Warum sollte das der Fall sein?

Weil wir immer in Kategorien denken. Als Mann wird man kaum jemals die Frage gestellt bekommen, aber jede Skispringerin hört sie tausendmal: „Du musst aber mutig sein.“ Dabei ist man als Frau nicht mutiger, sondern gleich mutig wie die Männer. Aber wir müssen Männer und Frauen immer trennen und gegeneinander bewerten. Würden wir beides gleichwertig nebeneinander stehen lassen, brauchte auch keiner die Sorge haben, dass einer dem anderen etwas wegnehmen könnte. Wir leben derzeit von den Herren und es wäre perfekt, wenn wir uns bei ihnen anhängen könnten. Da haben so manche aber wohl ihre Bedenken.

Spätestens seit den Diskussionen rund um die Olympischen Spielen in Sotschi weiß die ganze Welt, dass Sie offen zu Ihrer Homosexualität stehen. Sind Sie die Fragen zu diesem Thema inzwischen leid?

Die Fragen gehören dazu, aber vor Sotschi war es zu viel. Ich bereise solche Länder, um Wettkämpfe zu gewinnen und nicht aus politischem Interesse. Vor allem Homosexuelle kritisieren mich dafür, dass ich derartige Veranstaltungen nicht boykottiere, aber das ist nicht meine Hauptaufgabe als Sportlerin. Ich kann es mir nicht aussuchen und auch nicht ändern. Noch dazu fand ich den Aufhänger ein bisschen lächerlich, denn in Russland passieren noch ganz andere Sachen. Über Homosexualität lässt sich erst richtig diskutieren, wenn allgemeine Grundrechte gegeben sind. Generell bin ich sehr tolerant und denke, dass jeder seine Zeit braucht, um etwas zu verstehen und zu akzeptieren. Dass es falsch ist, daran besteht kein Zweifel, aber auch unsere Gesellschaften haben in der Vergangenheit nicht alles richtig gemacht.

Aber ist es das richtige Signal, wenn ein Land mit fragwürdiger Menschenrechtslage wie Katar regelmäßig große Sportveranstaltungen zugesprochen bekommt?

Das ist eine gute Frage, die andere beantworten müssen. Ich kann nicht immer alles und jeden kritisieren. Wenn Olympische Spiele in Ländern wie China und Russland stattfinden, ist ganz klar, dass wirtschaftliche Interessen dahinterstecken. Das ist schade, denn dadurch geht der olympische Spirit verloren. Das finden viele Sportler falsch, aber letztlich entscheiden das die Funktionäre.

Wie wichtig sind Persönlichkeiten wie Conchita Wurst im Kampf für Gleichberechtigung?

Ich kenne sie nicht persönlich, aber sie macht das sehr souverän und beeindruckend – und im Gegensatz zu mir auch ganz bewusst aus einem politischen Grund. Ich trage gern dazu bei, weil es wichtig ist, aber es ist nicht meine Hauptaufgabe.

Ist ein Treffen schon geplant?

Nur wenn sie Ski springt. Obwohl, dann muss ich wahrscheinlich singen. Also lieber nicht, denn so schlecht kann sie gar nicht springen, wie ich singe.

Steckbrief

Daniela Iraschko-Stolz
wurde 1983 in Eisenerz geboren.

Als Skispringerin
kämpfte sie für die Einführung eines Damenweltcups und gewann WM-Gold (2011) und Olympia-Silber (2014).

Privat
ist sie ausgebildete Polizistin und spielt Fußball im Damenteam von Wacker Innsbruck. APA

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.02.2015)

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