Ernüchterung im Kugelkampf

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Der Weltcup-Auftakt in Sölden brachte einen Premierensieg von Federica Brignone, den ÖSV-Damen steht eine schwierige Saison bevor. Die Jagd nach Marcel Hirscher beginnt heute.

Noch im Vorjahr hatte Anna Fenninger beim Riesentorlauf in Sölden mit viel Risiko und ihrer ausgezeichneten Skitechnik die Ideallinie demonstriert. Heuer wurde ihr der Steilhang zum Verhängnis, nach dem Trainingssturz und multiplen Bänderrissen im rechten Knie musste die Salzburgerin die Saison bereits beenden.

In Abwesenheit der Gesamtweltcup-Siegerin war es die 25-jährige Italienerin Federica Brignone, die sich auf dem Rettenbachferner ein Herz nahm und die direkte Linie im Steilhang wählte. Die Tochter der ehemaligen Spitzenläuferin Maria-Rosa Quario verwies bei ihrem Premierenerfolg Mikaela Shiffrin und Tina Weirather auf die weiteren Stockerlplätze. Shiffrin absolvierte den Steilhang mit Bedacht, in der US-Amerikanerin, im Vorjahr mit Fenninger noch ex aequo auf Platz eins, schlummern noch Reserven. „Ich muss noch besser werden“, meinte die 20-Jährige, die dennoch wie erwartet ihre Anwartschaft auf den Gesamtweltcup angemeldet hat.

Wenig zu lachen hatten die Österreicherinnen. Beim Saisonauftakt wurde deutlich, dass die ÖSV-Damen im Riesentorlauf ohne Kugelverteidigerin Fenninger und die zurückgetretene Kathrin Zettel einer schwierigen Saison entgegenblicken. Erstmals seit 2010 war in Sölden keine heimische Läuferin auf dem Podest, von den zehn Österreicherinnen haben es nur drei in den zweiten Durchgang geschafft. Auch Eva-Maria Brem, die Disziplinzweite des vergangenen Winters, war als Achte vom Stockerl weit entfernt. „Ein paar Sachen waren positiv, an zwei, drei Dingen muss ich dringend noch arbeiten“, erklärte die Tirolerin. Ihre Hoffnungen liegen nun auf dem nächsten Riesentorlauf in Aspen. Dort feierte die 27-Jährige im Vorjahr ihren ersten Weltcup-Sieg.

Fenninger hat das Rennen im Fernsehen verfolgt, wie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel wusste. Die Reha hat sie bereits in Angriff genommen.

Nun stehen heute die Herren am Start, damit beginnt abermals eine Neuauflage der Jagd nach Marcel Hirscher. Es sind keineswegs Überraschungen, die der Annaberger in Sölden fürchten muss, es sind die gleichen Verfolger wie zuletzt, das gleiche Umfeld wie immer und „auch die gleiche Ausgangsposition: Ich versuche zu gewinnen, und nichts anderes zählt.“

Ob Kjetil Jansrud, der in den Weltcup zurückkehrende Aksel Lund Svindal, Alexis Pinturault oder wer auch immer, an Hirscher führt auch in dieser Saison im Duell um den Gesamtweltcup kein Weg vorbei. Geht es nach ÖSV-Cheftrainer Andreas Puelacher, ist der Österreicher einfach nicht zu stoppen, „solange er gesund bleibt“, wie er beim traditionellen Pressetermin im Hotel Regina zu Sölden sagte. „Svindal ist wieder da, da muss man abwarten. Jansrud ist ein starker Abfahrer, lässt aber im Gegensatz zu Marcel zu viele Big Points liegen. Pinturault ist ein fantastischer Skifahrer, toller Techniker – aber kein Siegfahrer.“


Hirscher – und dann? Ein Ausnahmekönner wie der 26 Jahre alte Hirscher dominiert, er überstrahlt mit Siegen, Aura und Auftreten alle anderen und fast auch alle Probleme. Die gibt es im ÖSV, vor allem puncto Personal. Nach Rücktritten von Mario Matt und Benjamin Raich sind wichtige Säulen verloren gegangen, ihr Fehlen rückt Hirscher noch weiter in den Mittelpunkt. Nicht nur im Slalom klafft ein Loch, auch im Riesentorlauf. Es ist vorerst auch belegt, wie immer durch Zahlen: Philipp Schörghofer ist als 19. der Weltrangliste der zweitbeste Österreicher. Puelacher nennt auch Christoph Nösig oder Matthias Mayer, der in Sölden wegen einer Schuhrandprellung nur zuschauen konnte. In Abfahrt und Super G sehe es aber ganz anders aus. Ob Mayer, Hannes Reichelt, Romed Baumann oder Gregor Streitberger – in diesen Sparten sind Podestplätze gewiss.

Womit es, sagt Puelacher, auch dem Material obliege. In Sölden wurde es einmal mehr deutlich: Die Industrie legt Wert auf den Rennsport. Atomic, Salomon, Head, Rossignol, Fischer, Dynastar oder Stöckli – Firmen gibt es sonder Zahl. Blizzard waren die Pool-Gebühren des ÖSV, eine sechsstellige Summe, jedoch zu hoch. Der Weltcup ist ein kostspieliges Investment, ein Servicemann allein stehe pro Saison mit 120.000 Euro (Gage, Reisen, Material etc.) zu Buche, wie ein Renndirektor verriet, ohne genannt werden zu wollen. Erfolg und Image sind wichtig, es sind die im Verkauf entscheidenden Parameter. Und nur diese Zahlen würden letztlich den Rennsport rechtfertigen.

Hirscher brannte darauf, auf dem Rettenbachferner zu fahren. Im Vorjahr hat er hier gewonnen, für die Wiederholung holte er sich den Feinschliff auf dem Schnalstaler Gletscher in Südtirol. Seine vor wenigen Wochen noch bestehenden Zweifel nach der langen Schneepause waren vergessen. „Das beste Training ist, wenn man merkt, dass man gar nicht trainiert. Ich merke, dass das Feuer wieder brennt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2015)

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