Eishockey: Hellseher auf der Tribüne

Thomas Vanek, Österreichs populärster NHL-Export
Thomas Vanek, Österreichs populärster NHL-Export(c) GEPA pictures (GEPA pictures/ USA Today)
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Bernd Freimüller war jahrelang als NHL-Scout unterwegs. Er spricht über die Tücken der Talentsuche und die U20-WM in Wien.

Wien. 49 Scouts aus der US-Eishockey-Profiliga NHL werden in der Schultz-Halle Platz nehmen, wenn ab Sonntag die U20-WM Division IA ausgetragen wird. „Ein Pflichttermin“ für Talentsucher, erklärt Bernd Freimüller. Der Wiener muss es wissen. Er hat in den vergangenen 15 Jahren keine WM verpasst, er war 13 Jahre lang Europa-Scout der Atlanta Thrashers.

Österreich trifft in Wien zuerst auf Lettland (Sonntag, 20 Uhr), dann auf Norwegen, Deutschland, Italien und Kasachstan. „Länder, für die die Scouts während der Saison weniger Zeit haben, die aber sehr wohl Talente produzieren“, erklärt Freimüller. In der Topdivision mit Nationen wie Kanada, USA und Russland kennen die Talentsucher ohnehin alle Spieler, viele sind auch längst gedraftet.

„Da wurde geschludert“

In Wien wird vor allem nach Spielern der Jahrgänge 1997 und 1998 Ausschau gehalten, es ist ihr erstes Draftjahr. Sonst gibt es keine Präferenzen. „Positionen sind nie relevant“, sagt Freimüller. Wer wisse denn schon, was in Zukunft in der NHL gebraucht werde? Allerdings seien in Europa gute Verteidiger nur schwer zu finden.

Rund 200 Partien verfolgt ein Scout pro Saison, trotz aller Statistiken sind der geschulte Blick und mitunter das Bauchgefühl am Ende entscheidend. „Das ganze Scouting ist Hellseherei“, sagt Freimüller. Schließlich liegen noch viele Entwicklungschritte vor den jungen Talenten. Auch Menschenkenntnis ist gefragt. Man hört sich im Umfeld der Spieler um oder erkundigt sich auch bei den Trainern. „Von hinten herum recherchieren“, nennt es Freimüller. „Fünf Prozent ragen heraus, sie haben Leadership-Fähigkeiten.“

Die körperliche Entwicklung ist in dieser Altersklasse noch nicht gänzlich absehbar. In Österreich gebe es Aufholbedarf, meint der Experte. Gleichaltrige Cracks aus Nordamerika oder Skandinavien sind weitaus muskulöser. „Da wurde jahrelang geschludert im Nachwuchs“, lautet Freimüllers Urteil. Besserung sei in Sicht, die Vereine hätten inzwischen auch diesen Geschäftszweig verstanden.

Was die WM-Erwartungen angeht – der Sieger steigt in die Topdivision auf, der Letzte steigt ab –, müsse man eher realistisch bleiben, meint Freimüller. Lettland, Deutschland und Norwegen sind stärker einzuschätzen, über Kasachstan weiß man wenig, die Partie gegen Italien werde wohl das Schlüsselspiel.

Mit Mario Huber und Dominic Zwerger werden auch Vertreter der starken kanadischen Juniorenligen für Österreich auflaufen. Angreifer Lukas Haudum (Södertälje/SWE) hält Freimüller gar für ein Riesentalent. Dass ein heimischer Spieler gedraftet wird, bezweifelt der Experte aber. Die wirklichen Supertalente ragen so oder so heraus.

Als Freimüller noch als Scout den Kontinent durchkämmte, ist ihm einst auch der junge Ilya Kovalchuk untergekommen. „Er war so offensichtlich, da brauchte es keinen Scout.“ Bei solchen Spielern könne nichts schiefgehen, „die haben Superstar auf der Stirn stehen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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