Franz Klammer: "Früher war es doch viel krimineller als heute"

OLYMPIASIEGER KLAMMER  WIRD 50
OLYMPIASIEGER KLAMMER WIRD 50APA
  • Drucken

Rekordhalter, Nationalheld, Olympiasieger: Skilegende Franz Klammer, 62, spricht über Erinnerungen an den 5. Februar 1976, wilde Hunde, Marcel Hirscher und das Bewusstsein für Risiko.

Am 5. Februar jährt sich Ihr Olympiasieg von Innsbruck 1976 zum 40. Mal. Ist die Erinnerung daran noch lebendig?

Franz Klammer: Sehr, als wäre es gestern gewesen. Dieses spezielle Gefühl ist immer noch präsent, das verlässt mich nicht.

Sie wussten damals, dass Sie dieses Rennen gewinnen werden?

In dem Moment, als ich im Starthaus gestanden bin, wusste ich es, ja. Mit einer „Vielleicht“-Einstellung gewinnst du nichts, da braucht es schon große Überzeugung. Die hatte ich.

Wo bewahren Sie all Ihre Trophäen auf?

Wo die Goldene ist, weiß ich im Moment gar nicht. Ich müsste wirklich einmal nachschauen, irgendwo müsste sie sein. Bei den Pokalen bin ich mir sicher: Die sind alle im Gasthaus meiner Eltern untergebracht.

Und die Ski von damals, gibt es die noch?

Nein, was ich aber noch habe, ist der Abfahrtsanzug von meiner Goldfahrt. Der würde mir aber heute nicht mehr passen: In der Mitte würde er spannen, bei den Oberschenkeln flattern . . .

25 Abfahrtssiege sind heute noch Rekord. Ist das für Sie von Bedeutung?

Der Rekord ist mir nicht so wichtig. Es wird irgendwann einer kommen, der diese Marke verbessern wird. Man neigt dazu, zu glauben, dass solche Rekorde für die Ewigkeit sind, aber so ist es nicht. Wenn einmal einer den Rekord bricht, macht mir das nichts aus.

Er dürfte aber noch länger Bestand haben. Von den aktiven Abfahrern hält Aksel Lund Svindal als Bester bei zwölf Siegen.

Es sieht momentan so aus, ja. Aber auch bei der Annemarie (Moser-Pröll, Anm.) hat man gedacht, dass ihr Rekord ewig hält – und dann kam eine Überfliegerin aus Amerika.

Im heimischen Speed-Lager gibt es schon lange keinen Überflieger mehr. Schmerzt dieser Umstand den ehemals größten Abfahrer?

Eigentlich schon. Ich fiebere als Fan, der sich fast jedes Rennen ansieht, wirklich mit, hoffe immer, dass etwas weitergeht. Einer, der das Zeug dazu hätte, ist Matthias Mayer. Nur ist er leider vom Verletzungspech verfolgt.

Rund um Mayers Sturz in Gröden wurde eine Airbag- und Sicherheitsdiskussion losgetreten. War der Skisport heute oder vor 40 Jahren gefährlicher?

Früher war es doch viel krimineller als heute. Wir hatten keine Netze, dafür Strohballen, die mit Wasser ang'soffen waren und so zu Eisblöcken mutierten. Zudem war die Pistenpräparierung viel schlechter. Natürlich, die Sicherheit ist extrem wichtig, aber es geht immer um die Eigenverantwortung. Heute wird alles so präpariert, dass jeder Streckenabschnitt am Limit gefahren werden kann. Hinzu kommt der Ski, der so schnell greift, dass du oft nur noch Passagier bist. Früher musste man auch einmal abdrehen, einschätzen, ob ich da jetzt voll drüberfahren kann oder lieber etwas nachgeben soll.

Also waren zu Ihrer Zeit die wilderen Hunde unterwegs?

Wenn du in Schladming weggefahren bist und bei einem Sturz in der „ersten Reihe Heustadl“ gelandet bist oder in St. Anton von der Nummer 16 bis 22 keiner ins Ziel gekommen ist, sagt das viel aus. Wir sind mit der Situation aufgewachsen, als Jugendliche an den Bäumen vorbeizufahren, wir haben damit leben gelernt. Im Weltcup war das ja nicht anders, heute ist so etwas unvorstellbar. Man muss sich immer einer Sache bewusst sein: Alles, was mit Geschwindigkeit zu tun hat, ist gefährlich. Es fallen immer alle aus den Wolken, weil sich um Gottes Willen einer wehtun kann. Dessen muss man sich bewusst sein, wenn man oben wegfährt. Letztlich liegt aber im Spiel mit dem Risiko ein großer Reiz. Die Frage ist immer: Wie weit kann ich gehen?


Wäre Marcel Hirscher ein guter Abfahrer?

Wahrscheinlich. Vielleicht ist er nicht der beste Gleiter, aber auch das kann man in einem gewissen Maß lernen. Hirscher geht seine Rennen mit einer solchen Konsequenz and Akribie an, überlässt eigentlich nichts dem Zufall. Warum sollte er im Laufe der Zeit nicht zum Abfahrer mutieren? Das haben ja schon viele Slalomfahrer im fortgeschrittenen Alter getan, etwa Marc Girardelli und Günther Mader. Wenn man die Grundschnelligkeit nicht mehr hat, dann fährt man Abfahrt.

Wie lange wird Hirscher noch dominieren?

Ich sehe ihn noch länger an der Spitze, er ist mit Abstand der Konstanteste, ist auch nicht verletzungsanfällig. Und als Techniker hat er zudem einen gewissen Vorteil, hat mehr Rennen als die Speed-Fahrer wie etwa Svindal.

Also könnte er auch sechs oder sieben Mal den Gesamtweltcup gewinnen?

Ihm sind keine Grenzen gesetzt.

Vielleicht mitunter auch deshalb, weil er außergewöhnliche körperliche Voraussetzungen mitbringt?

Du brauchst heute eine andere Physis, um den Ski durchzudrücken, der Kunstschnee erfordert viel Kraft. Zu meiner Zeit gab es in einer Kurve drei verschiedene Schneesorten, da konntest du mit Kraft allein nicht viel anstellen, da ging es viel um Gefühl, Einschätzungsvermögen. Dabei waren die Läufe damals viel länger: Mein längster Riesentorlauf-Durchgang dauerte 2:32 Minuten. Heute sind sie alle tot, wenn ein Durchgang 1:15 Minuten dauert. Die körperliche Beanspruchung ist nun eine andere, die Skiwelt eine andere. Ich bin von 1972 bis 1978 alle Disziplinen gefahren – und es hat auch funktioniert.

Der Allrounder ist mittlerweile ausgestorben. Fehlen dem Weltcup solche Athleten?

Es ist eine Tortur, wenn du heute alle Disziplinen fahren willst, aufgrund der kurzen Vorbereitungszeit ist es auch fast nicht mehr möglich. Es bedarf generell eines Ausnahmetalents wie es ein Girardelli oder Zurbriggen war, um alle Rennen zu bestreiten – da kämen derzeit ohnehin nur eine Handvoll Läufer infrage. Die Zeit der Allrounder ist passé, vielleicht sogar für immer.

Haben Sie Verschleißerscheinungen, die auf das Skifahren zurückführen sind?

Natürlich zwickt es da und dort, aber das sind normale Begleiterscheinungen des Rennsports. 1980 hat es mir in Lake Louise das Knie zerfetzt, das meldet sich immer wieder. Aber ich bin keiner, der jammert. Wer Skirennfahrer wird, muss mit so etwas rechnen.

Der Skisport kämpft um Fans, TV-Übertragungszeiten, Sponsoren: Sind City-Events das Allheilmittel der Zukunft?

Was wir brauchen sind Rennen wie in Santa Caterina, bei welchen du sprichwörtlich auf Nadeln sitzt, hoffst, dass jeder gut runterkommt. Dramatik und Spannung müssen sein – es gibt heutzutage so viele Extremsportarten, die mitunter auch dem Skisport den Rang ablaufen.

Aber ohne Klassiker wie Wengen und Kitzbühel geht es nicht, oder?

Nein, nie. Umso weniger verstehe ich es, dass in Kitzbühel die klassische Kombination durch eine Super-Kombination ersetzt wurde. So wird der Sport verwässert. Manchmal sollte man lieber an der Tradition festhalten.

Absagen aufgrund von Schneemangel mehrten sich in dieser Saison. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorgen?

Das Wetter im heurigen Winter ist ein Drama, aber ich glaube nicht, dass alles schlecht und die globale Erwärmung dermaßen schnell Einzug halten wird. Doch, ich glaube schon noch an den Winter.

Steckbrief

Franz Klammer
wurde am 3. Dezember 1953 in Mooswald, Kärnten, geboren.

Mit 25 Abfahrtssiegenist Klammer immer noch Rekordhalter. Allein in Kitzbühel triumphierte er vier Mal: 1975, 1976, 1977, 1984. In Wengen gewann er 1976 außerdem die Kombination.

Insgesamt hält er bei
26 Weltcupsiegen.

Seinen größten Erfolg feierte Klammer am 5. Februar 1976 auf dem Patscherkofel, als er in der Olympia-Abfahrt den Schweizer Bernhard Russi um 0,33 Sekunden distanzieren konnte.

Die Olympia-Abfahrt war auch Teil der WM, Klammer somit nach 1974 (St. Moritz, Kombination) zum zweiten Mal Weltmeister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

SKI-ALPINE-WORLD-MEN-SLALOM
Wintersport

Ski alpin: Kristoffersen siegt, Hirscher ausgeschieden

Henrik Kristoffersen hat im fünften Slalom der Saison zum vierten Mal gewonnen. Für die Österreicher setzte es das historisch schlechteste Slalom-Ergebnis in Wengen.
ALPINE SKIING - FIS WC Wengen
Wintersport

Im zehnten Anlauf erstmals der Schnellste am Lauberhorn

Aksel Lund Svindal gewann die Abfahrt in Wengen vor dem ÖSV-Duo Hannes Reichelt und Klaus Kröll. Heute greift Marcel Hirscher im Slalom ins Geschehen ein.
Reichelt of Austria skis during the men's Alpine Skiing World Cup downhill race on the Lauberhorn course in Wengen
Wintersport

Ski Alpin: Reichelt in Wengen nur von Svindal bezwungen

Aksel Lund Svindal hat erstmals die Abfahrt der alpinen Ski-Herren in Wengen gewonnen und damit die Führung im Gesamtweltcup übernommen.
SKI-ALPINE-WORLD-MEN-COMBINED
Wintersport

Das Jagdrevier eines Norwegers

Elf Abfahrten hat Aksel Lund Svindal in seiner Karriere bereits gewonnen, in Wengen aber war der 33-Jährige noch nie Schnellster. Das rot-weiß-rote Lager vertraut mit Hannes Reichelt hingegen auf einen echten Wengen-Spezialisten.
SKI-ALPINE-WORLD-MEN-COMBINED
Wintersport

Ein „Elch“ gewinnt selten allein

Kjetil Jansrud setzte sich vor seinem Freund Aksel Lund Svindal in Szene.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.