Shiffrin: "Ich glaube, Skifahren ist ein Geschenk

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Mikaela Shiffrin, 21, hat es auf die große Kristallkugel abgesehen. Was der US-Star vor dem Start in Sölden zum Besten gibt, sollte die Konkurrenz in Angst und Schrecken versetzen.

Altenmarkt/Sölden. 2,11 Sekunden Vorsprung im Durchschnitt hatte Mikaela Shiffrin bei ihren Slalomsiegen in der vergangenen Saison auf die jeweilige Zweitplatzierte. Das sind Welten und es mutet unvorstellbar an, dass die Konkurrenz das im Sommer aufholen konnte. Tatsächlich sagt die Amerikanerin, sie fühle sich schon jetzt, zum Weltcupstart heute in Sölden (9.55/12.55 Uhr, live ORF eins), stark genug, um sich nicht mehr jeden Tag nur auf Kippstangen konzentrieren zu müssen. Die Folge: Es bleibt mehr Zeit für lange Radien, für die Speed-Disziplinen also.

Zu einer Kampfansage wollte sich die 21-Jährige nicht hinreißen lassen, ihre Richtung ist aber klar: Das Slalom-Ass (19 Weltcupsiege, zweimal WM-Gold, Olympia-Gold) hat die große Kristallkugel im Visier. „Der Gesamtweltcup ist in meinem Kopf. Ich habe keine Angst, das zu sagen“, erklärte Shiffrin in der Atomic-Werkstatt in Altenmarkt und wiederholte diese Ankündigung erneut in Sölden.

„Abfahrt ist wie ein Walzer“

Trainiert hat sie im Sommer „von allem ein bisschen“. In erster Linie RTL (ein Sieg, vier Podestplätze), Super-G (bestes Ergebnis: 15. Platz) – und Abfahrt. Slalom natürlich auch, in Neuseeland, Chile, zuletzt in Sölden und im Pitztal. Die Freizeit war spärlich, eine Woche Hawaii war es im Frühjahr. Sie liest gern, geht ins Kino, „aber mit jeder Menge Popcorn“. Sie macht Dinge, die junge Menschen eben gern unternehmen. Im Gegenzug hat sie aber mehr Zeit denn je im Fitnessraum verbracht, für den Muskelaufbau, das schnelle Geradeausfahren. Die Abfahrt sei im Vergleich zum gewohnten Slalom-Rhythmus für sie „ein langsamer Tanz, ein Walzer“.

Den Speed-Auftakt in Lake Louise hat Shiffrin fix eingeplant. „Ich fahre alle Technikrennen, zusätzlich Speed-Bewerbe – wenn es Sinn hat“, erklärt sie. Eine Gratwanderung freilich, jeder werde den Atem anhalten und hoffen, dass es funktioniert. „Wir wollen es schlau machen.“ Denn auch mit gerade einmal 21 Jahren sagt sie: „Ich werde älter und erfahrener.“ Sölden nun sei der Startschuss für „drei große Winter“, meint Shiffrin. Die WM in St. Moritz im Februar, 2018 die Winterspiele in Südkorea, gefolgt von einem weiteren WM-Winter. In St. Moritz will sie natürlich gewinnen, es wäre der dritte Slalomtitel in Folge, die Rennen dort seien aber nur Momentaufnahmen. „Ich will mich nicht zu sehr auf dieses eine Event stürzen.“ Zuvor wartet ohnehin noch eine besondere Weltcupstation.

„Daheim stört mich niemand“

Nach 25 Jahren kehrt der Skiweltcup nach Killington an die US-Ostküste zurück, zu Thanksgiving (26./27. November) und die Sitzplätze sind schon ausverkauft. „Ich war in Vermont in der Highschool“, erzählt Shiffrin, „an der Ostküste lieben sie Skirennen.“ Und weil ihre ganze Familie nicht weit entfernt lebt, kann vielleicht die 95-jährige Großmutter zu den Rennen kommen, Tränen sind dann programmiert. „Ich werde den ganzen Tag heulen.“

Generell haben Amerikaner für die Hundertsteljagd auf Pisten wenig übrig. Ob ihre Leistungen in der Heimat denn gewürdigt werden? „Es ist nicht wie hier“, meint Shiffrin. „Aber Lindsey Vonn hat dem Skisport zur Bekanntheit verholfen, dank ihr wissen die Leute, was Skirennen sind.“ Und die vergleichsweise wenigen Skifans, die es gibt, seien dafür sehr enthusiastisch. „Aber momentan kann ich in den Supermarkt gehen und keiner erkennt mich. In meiner Heimatstadt Vail erkennen mich die Leute zwar, aber niemand stört mich.“ Das sei entscheidend, denn: „Ausruhen und Fitnessstudio – wenn ich diese Dinge nicht tun kann, fliegt mein Leben in die Luft.“

Apropos: Shiffrins Mutter weicht auch in diesem Winter nicht von ihrer Seite, ist weiterhin Teil des Trainerteams. „Jeder fragt sich: Mutter und Tochter, streiten die beiden nicht? Und wie! Es ist, als würden wir die Welt in die Luft jagen. Aber wenn das ganze Team gut zusammenarbeitet, ist es wunderbar.“ Shiffrin kam als Teenager in den Weltcup, das wäre undenkbar ohne elterliche Begleitung. „Von da an hat es sich als erfolgreiche Formel herausgestellt.“ Derzeit versucht sich die Mutter übrigens gerade in der Kurssetzung.

Klimmzüge und viel PR

Auch wenn es dabei um ihre Mutter geht, Shiffrin plaudert munter aus dem Nähkästchen; auch gegenüber Medien. „Ich versuche, sie zu nutzen, um die Leute für den Skisport und mich und für die Rennen zu begeistern. Es kann ein Geschenk oder ein Fluch sein, ich glaube, es ist ein Geschenk.“ Zum Medienmarathon vor der anstehenden Saison kamen noch zahlreiche PR-Events und Sponsorentermine, Chicago, New York, Boston, Los Angeles und St. Louis hat sie in zwei Wochen abgeklappert. „Aber ich fühle mich gut, bin ausgeruht und nicht müde. Ich kann so viele Klimmzüge machen wie noch nie“, erzählt sie, auch wenn am Ende der Saison meist die Beine entscheidend seien. Und im angepeilten Kampf um den Gesamtweltcup letztlich die Punkte. Denn auch für über zwei Sekunden Vorsprung gibt es für den Sieger maximal 100 Punkte pro Rennen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2016)

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