Marcel Hirscher: „Meiner Fantasie sind einfach keine Grenzen gesetzt“

ALPINE SKIING - Marcel Hirscher (AUT), photo shoot
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Mit dem Auftakt des Skiweltcups in Sölden beginnt für Marcel Hirschernicht nur der Pistenalltag, sondern auch die neue Materialtüftelei und das Finden des Set-ups.

In diesem Sommer haben Sie sich besonders rar gemacht, war das eine bewusste Entscheidung?

Marcel Hirscher: Ja, das gehört auch dazu, und ich glaube, so haben wir alle mehr davon. Ich habe jetzt wieder mehr zu erzählen, als wenn ich jede Woche überall meinen Senf dazugebe und mein Leben ausschütte.

Sie sagten, alles sei „zacher“ gewesen, Sie würden vor Ihrer zehnten Weltcupsaison „nicht mehr den letzten Willen spüren“. Jetzt ist die Vorbereitung vorbei, das erste Rennen wartet. Wie schlimm war es nun wirklich?

Bis jetzt ist es immer gegangen. Aber ich merke, dass ich nur über begrenzte Energie verfüge. Die Termine werden ja nicht weniger, es werden immer mehr. Es ist manchmal ein bisschen mehr, als man möchte. Ich versuche eh schon, kein Schindluder zu treiben, mich gut zu ernähren, so gut wie nie Party zu machen und zeitig ins Bett zu kommen.

Bevor in Sölden wieder der Weltcup-Trubel anhebt, pflegen Sie da ein finales Ritual, um noch einmal durchzuatmen?

Rituale habe ich generell keine. Mein Ritual ist, kein Ritual zu haben. Man stelle sich vor, ich hätte einmal keine Zeit, dieses Ritual durchzuführen. Dann würde ja gar nichts mehr funktionieren.

Und was ist mit dem Druck, Sie messen dem Saisonauftakt ja viel Bedeutung bei? Sie sagten, hier in Sölden sei der Druck am größten.

Ja. Du weißt nicht, wo du stehst. Also man weiß natürlich schon etwas, aber hat keinen Plan, wie das dann im Rennen ausschauen wird.

Auch beim Auftaktrennen wird der TV-Zuschauer im Schnitt 45 Jahre alt sein, Fernsehübertragungen von Skirennen sind seit Jahren praktisch unverändert. Braucht es nicht schleunigst Innovationen?

Ich bin der Meinung, dass es während der WM in Schladming mit dem entsprechenden Mehraufwand auch mehr Qualität und hochwertigere Bilder gegeben hat. Aber das wirklich schwierige ist, die Geschwindigkeit, die Steilheit, die Bedingungen einzufangen. Um mehr Unterschiede wahrzunehmen, braucht es auch mehr Zwischenzeiten. Ich muss gestehen, für uns Experten ist es manchmal schwierig zu erkennen, ob jemand wirklich schnell ist, speziell bei vermeintlich leichten Rennen. Das finde ich schade. Darum ist meine Idee, die Kurssetzung so schwer wie möglich zu machen und das Gelände dementsprechend zu wählen.

Von der Kurssetzung her tendiert der Riesentorlauf in Richtung Slalom, die Siegerlisten überschneiden sich zunehmend, im Slalom werden die Torabstände immer geringer. Eine Entwicklung in Ihrem Sinne?

Wir haben schwere, spannende Kurssetzungen, bei denen es nicht allen 60 Fahrern im Feld gelingt, alle Kurven am Radius durchzufahren. Deswegen finde ich es attraktiv, aber das ist auch persönlicher Geschmack und persönliches Interesse. Ich muss sagen: Für mich ist die Entwicklung sehr gut. Natürlich liegt mir auch der Slalom mit neun Metern Torabstand besser im Vergleich zu einem Slalom vor zehn Jahren mit 15 Metern Torabstand.

Im Vorjahr hatten Sie in der Vorbereitung kaum Slalomtage, wie viele sind sich heuer ausgegangen?

Drei bis jetzt. Also nichts. Von Sölden bis Levi sind drei Wochen Zeit, die gehören komplett dem Slalom. Es ist oft gescheiter, sich nur einer Sache zu widmen und zu sagen: Halt! Und jetzt fahren wir Slalom.

In Beaver Creek starten Sie erneut im Super G, haben Sie endgültig Gefallen am Speed gefunden? Auch für Abfahrten?

Der Super G wurde als Mittelding zwischen Riesentorlauf und Abfahrt eingeführt. Und das soll es schlussendlich auch bleiben. Meine Meinung ist klipp und klar: Gleitpassagen im Super G, da sage ich: Fehlanzeige.

Nachdem Rennläufer über die starke Belastung und Rückenbeschwerden geklagt haben, nimmt die FIS die Materialreform zurück, ab 2017/18 wird der Radius der Riesentorlaufskier wieder auf 30 Meter verringert. Freut sich auch Ihr Körper darüber?

Ich hatte keine Probleme. Ich bin körperlich sehr gesegnet, habe sehr gute Proportionen, die gewisse Punkte schützen, und versuche, durch mein Training Folgeschäden zu verhindern. Aber was viel Arbeit war, war die ganze Testerei, um mit dem neuen Reglement zurechtzukommen. Und dann ist das alles wieder für nichts mehr gut.

Nach der Saison geht die Tüftelei wieder von vorn los. Denken Sie bereits daran?

Wenn man die Wahrheit sagt: schon. Aber das ist für alle gleich. Darum: Take it.

Beim Set-up wird bereits im Zehntelmillimeterbereich gearbeitet. Ist das Material nicht bald ausgereizt?

Überhaupt nicht, da geht noch irrsinnig viel. Die Skier sind vom Grundprinzip seit ihrer Entstehung relativ gleich. Grundsätzlich ist von den Technologien noch sehr, sehr viel möglich. Also ich glaube, da sind meiner persönlichen Fantasie überhaupt keine Grenzen gesetzt.

Lara Gut, Anna Veith, Lindsey Vonn, Mikaela Shiffrin, Tina Maze, Henrik Kristoffersen, Marcel Hirscher – alle Champions der vergangenen Jahre gehen eigene Wege, haben ihre eigenen Teams um sich herum. Ist Erfolg anders nicht mehr möglich?

Meiner Meinung nach nicht. Wenn man auf diesem Niveau arbeiten will, gehört das dazu.

Damit geht auch Kritik einher, Sie würden zu wenig mit der Mannschaft trainieren . . .

. . . ist mir egal. Ich habe nie ein Problem damit, wenn wer kommt. Im Gegenteil: Ich brauche die Jungs auch, so ist es ja nicht. Im Moment bin ich brutal froh, dass ich die Vergleiche mit ihnen habe. Aber was die Kritik betrifft: Es soll gern jeder sagen was er will, weil sie kennen sich nicht aus. Trotzdem: Auch ich brauche ein Team und Sparrings.

Abseits der Pisten sind Sie gern im Tiefschnee unterwegs, machen Sie auch auf Buckelpisten ein gute Figur?

Ich glaube schon, dass ich für einen alpinen Skirennläufer sehr, sehr gut Buckelpisten fahren kann, ja.

Skifahren wird nicht nur in Österreich immer teurer, Schulskikurse werden weniger. Verspielen wir eigentlich nicht gerade die Zukunft des Skisports?

Ich glaube nicht, dass das ein skisportspezifisches Problem ist, sondern ein grundsätzliches Bewegungsproblem. Wo ich aufgewachsen bin, gibt es diesen Spielplatz: Früher war er brettlvoll, heute ist es schon super, wenn dort zwei Kinder spielen. Sie und ich fallen in die Playstation-Generation, ich war zwölf oder 13 Jahre alt, als das an mich herangekommen ist. Heute ist das für Kinder selbstverständlich. Das ist schon ein riesengroßer Punkt. Meine Eltern haben mich damals hinausgeschmissen: ,Raus mit dir!‘ Für mich war es selbstverständlich, am Nachmittag draußen zu kicken, die Hausaufgaben kamen später. Das darf ich so ja gar nicht sagen, aber es ist wahr. Ich habe das eine deswegen auch nicht besser oder schlechter gemacht als das andere. Aber das sieht man heute nicht mehr so. Und mit dem Skifahren ist es dasselbe.

Steckbrief

1989 wird Marcel Hirscher in Annaberg im Lammertal geboren.

2016
Der Slalom- und RTL-Spezialist gewann als erster Skirennläufer zum fünften Mal in Folge den Gesamtweltcup. Seine Sammlung schmücken sechs Disziplinenkugeln und vier WM-Goldmedaillen.

39 Weltcupsiege stehen zu Buche, jeweils 18 in Slalom und RTL, einer im Super-G, zwei in der Kombination.

Hirscher könnte Ende Oktober zum dritten Mal in Folge Österreichs Sportler des Jahres werden.
APA

ROADBOOK

19Podestplätze
ergatterte Marcel Hirscher in der abgelaufenen Saison.

1795Punkte
hatte er gesammelt für den Gewinn des fünften Gesamtweltcups – nur Hermann Maier war besser mit 2000.

260km/h
Auf einer KTM 1290 Super Duke drehte Hirscher ein paar Runden auf dem Salzburgring. Freilich mit Highspeed: 260.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2016)

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