Primož Peterka gewann 1997 die Tournee, der Slowene hält nun Landsmann Domen Prevc dafür bereit. Von Goldi, der Zauberschule in Kranj und dem Verlust der Schanzenromantik.
Oberstdorf. Skispringen ist ein filigraner Sport. Es ist das geschulte Spiel mit dem Wind, der Kraft des Absprunges, einer makellosen Landung. Die Athleten sind empfindlich, bereits die Nuance einer Veränderung torpediert ihr Erfolgssystem. So lassen sich simpel Seriensiege und Enttäuschungen erklären, zumeist machen tatsächlich nur Millimeter bei der Anfahrtshocke den Unterschied aus. Regeln, Ausrüstung, dicht gedrängte Termine und Reisen wie bei der Vierschanzentournee sind weitere Hürden – all das beschert der Vierschanzentournee seit jeher ihren Mythos.
Es ist folglich nicht weiter verwunderlich, dass die Tournee mitunter sehr junge Sieger findet. Teenager, die unbekümmert springen. Wie der Finne Toni Nieminen, der 1992 als 16-Jähriger als jüngster Sieger in die Geschichtsbücher sprang. Oder der Slowene Primož Peterka, der 1997 im Alter von 17 Jahren und 313 Tagen triumphierte. Dass nun 20 Jahre später mit Domen Prevc erneut ein 17-jähriger Slowene die Tournee gewinnen könnte, imponiert ihm ungemein. „Es zeigt“, erzählt Peterka, 37, stolz der „Presse“, „dass wir sehr gut gelernt haben. Und es demonstriert, dass unser Skisprung-Schulsystem in Kranj wunderbar funktioniert!“
Kranj, das Stams Sloweniens
Skispringen genießt in Slowenien hohen Stellenwert. Stehen Tournee oder Skifliegen in Planica auf dem Programm, hebt die Sportnation ab, schwärmt Peterka, der derzeit das Damenteam betreut. Er selbst lernte „alles noch in Stams, in Österreichs bestem Skigymnasium. Es ist ein tolles System – wir haben es übernommen und machen es jetzt, meiner Meinung nach, besser.“
Kranj, eine Stadt mit 37.000 Einwohnern, ist die Schanzenmetropole des Landes; wie viele Kinder aktuell die Schule besuchen würden, wusste Peterka aber nicht. Nur, „dass ab nächstem Schuljahr eine Aufnahmebeschränkung gilt“, das sei dem Erfolg der Schule und vor allem dem Höhenflug der Familie Prevc zu verdanken.
Im Vorjahr gewann Peter Prevc, 24, die Tournee und löste eine Welle der Euphorie aus, nun schickt sich sein Bruder an, dieses Kunststück zu landen. „Natürlich ist es ein Familien-Gen“, sagt Peterka, zumal es mit Cene, 20, noch einen dritten Prevc-Springer gibt. Doch alle hätten die „Factory of Champions“ besucht, die mit Trainern, Industrie (Slatnar und Verivox folgten der Skifirma Elan nach) und Eltern harmoniert. Domen Prevc zum „Harry Potter der Schanzen“ zu stilisieren, sei gewiss übertrieben, doch „seine Gelassenheit und der extreme Sprungstil schließen nichts aus“, meint Peterka. Gefährlich seien die waghalsigen Sprünge des Teenagers bei Weitem nicht, zudem nehme ja die Entwicklung der gesamten Sportart diese Richtung, sagt der Slowene. Aber, es sei extrem.
Domen Prevc könne die Tournee gewinnen, „warum nicht?“ Er sei jung, unbekümmert – er habe das Siegen gelernt. Im schützenden Schatten des Bruders, mit der Leichtigkeit eines Teenagers, der an nichts anderes denken müsse als an das Springen. So habe es auch Peterka einst vorgelebt und später darunter umso mehr gelitten, als es plötzlich partout nicht mehr klappen wollte. Blieben die Regeln unverändert, gehöre Sloweniens Springern nun die Zukunft.
„Der dumme Computer“
Skispringen, sagt Primož Peterka, habe sich gewandelt. Früher, als er gegen Dieter Thoma oder Andreas Goldberger gesprungen sei, „gab es keinen Computer. Damals siegte der Beste, der Weiteste.“ Das sei in der Gegenwart, wenngleich Bewerbe paradoxerweise fairer geworden sind aufgrund der ausgleichenden Punktevergabe bzw. Kompensationen, nicht mehr der Fall. Doch mit der Verklärung der Vergangenheit kann Primož Peterka nichts anfangen. Dennoch: „Ich glaube, dass dadurch die Romantik des Skispringens verloren gegangen ist.“
Sollte sein Landsmann also am Dreikönigstag jubeln, als zweitjüngster Tourneesieger der Historie mit 17 Jahren und sieben Monaten – wäre es ein Flugwunder? Nein, es bleibt Ansichtssache. Es wäre aber unbestritten Folge des geschulten Spiels mit dem Wind, des irrwitzigen Flugstils eines Teenagers, der seinen Kopf zwischen die Skispitzen presst. Und einer makellosen Telemarklandung – gelernt in der Schule, für das Sportlerleben.
AUF EINEN BLICK
Primož Peterka, 37, gewann 1997 als erster Slowene die Tournee der Skispringer. 20 Jahre später stellt mit Domen Prevc erneut ein 17-jähriger Slowene die Konkurrenz vor Rätsel.
Die 65. Vierschanzentournee hebt am Freitag in Oberstdorf an.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2016)