Snowboarderin Gasser: „Der Adrenalinrausch macht süchtig“

Italy Snowboard World Cup
Italy Snowboard World CupAntonio Calanni / AP / picturedesk.com
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Snowboard-Freestylerin Anna Gasser zaubert derzeit perfekte Sprünge in den Schnee und startet am Wochenende am Kreischberg. Die Kärntnerin, 25, über das Gefühl des Fliegens, das Risiko ihres Berufs, Fotos in Unterwäsche und Schokolade für den Notfall.

Ihre Premierensaison im Big Air verläuft fulminant, Sie stehen vor dem Gewinn der Kristallkugel. Haben Sie eine Erklärung für diesen Lauf?

Anna Gasser: Wenn's laft, dann laft's, das ist schwer zu beschreiben. Das Selbstvertrauen wächst mit jedem guten Sprung und jeder guten Landung, so hat es nach Mailand und Korea auch in Mönchengladbach und Moskau gut funktioniert, obwohl ich nicht ganz fit war. Ich wollte schon bei der Einführung dieser Disziplin für Mädels vor zwei Jahren einsteigen, war aber leider verletzt, umso mehr freue ich mich, dass es jetzt so gut angefangen hat.

Entwickelt man angesichts von drei Siegen in Serie Rituale, wird abergläubisch?

Nicht wirklich, wobei ein bisschen abergläubisch bin ich schon: Wenn ich den ersten Contest gewonnen habe, bleibe ich bei der gleichen Jacke. Das funktioniert aber nicht immer, denn nach Mailand musste ich wechseln, weil es in Korea viel kälter war.

Das Verletzungsrisiko ist in Ihrem Sport ständiger Begleiter, zuletzt mussten Sie wegen einer Knieblessur pausieren. Wie gehen Sie damit um?

Nach der Halswirbelverletzung (Anm. Jänner 2016) musste ich mental daran arbeiten, da es ein wirklich gefährlicher Bereich war. Zum Glück bin ich so fit zurückgekommen, dass ich vom ersten Tag an ohne Schmerzen fahren konnte. Das Knie benötige ich bei jedem Absprung und jeder Landung, deshalb habe ich mich über kleinere und einfachere Sprünge herangetastet, bis Sicherheit und Gefühl wieder stimmten.

Nächste Woche startet der Slopestyle-Weltcup am Kreischberg, wo Sie bei der WM 2015 mit Gipsarm zu Silber gefahren sind. Welche Erinnerungen weckt die Rückkehr?

Ich erinnere mich an die vielen Zuschauer, das motiviert mich immer extrem, außerdem taugt mir der Park. Als Lokalmatadorin hat man natürlich ein bisschen mehr Druck, aber für mich ist das positiv. Wenn ich diese gewisse Anspannung beim Start nicht spüre, dann fahre ich schlechter.

Wie sehr unterscheiden sich Anspruch und Herangehensweise in Slopestyle und Big Air?

Im Vergleich zu Big Air mit nur einem Sprung ist Slopestyle vor allem taktisch anspruchsvoller, denn es gilt, von oben bis unten einen perfekten Run zu zeigen. Man kommt dabei mehr ins Snowboarden und hat mehr Variationen. Ich mache beides gern und könnte mich nicht für eines entscheiden.

2018 in Pyeongchang steht Big Air erstmals im Olympiaprogramm. Für die Qualifikation zählen die besten vier Weltcupergebnisse – die haben Sie also so gut wie geschafft.

Das Ziel war, mich so schnell wie möglich für Olympia zu qualifizieren, und da kann zum Glück nicht mehr viel schiefgehen. Natürlich überlege ich, wie es nächstes Jahr sein wird, was ich und die anderen Mädels bis dahin machen werden. Aber ich bin auch realistisch genug, um zu wissen, dass ich verletzungsfrei bleiben und alles zusammenpassen muss.

Derzeit dominieren Sie die Szene klar. Wie wägen Sie ab, wie viel Risiko noch schwierigere Sprünge wert sind?

Für diese Saison hoffe ich, gut mit meinen aktuellen Sprüngen durchzukommen. Taktisch ist es ohnehin klüger – insbesondere wenn es gut läuft – während der Saison nichts Neues auszuprobieren, denn das Risiko ist immer: ein Fehler in der Luft, und die Saison kann vorbei sein. Für nächstes Jahr gilt es aber, an neuen Tricks zu arbeiten, denn die anderen schlafen nicht, und das Level steigt. Ein Ziel ist sicher, den Cab Double Cork 900 (Anm.: doppelter Rückwärtssalto mit einer halben Drehung) auf einen 1080 (Anm.: drei komplette Drehungen) auszubauen.

Wie sehr hilft Ihnen Ihre Vergangenheit als Turnerin beim Einstudieren neuer Sprünge?

Das Gespür in der Luft habe ich sicher aus dieser Zeit. Ich bin generell ein sehr visueller Mensch und versuche, jeden Schritt vorher im Kopf durchzugehen, auch vor den Wettkämpfen. Wenn das funktioniert, kann ich es normalerweise auch auf Schnee umsetzen. Es kann also schon passieren, dass ich einen neuen Trick einfach ausprobiere, grundsätzlich versuche ich ihn aber schon über den Sommer auf dem Trampolin einzustudieren.

Was empfinden Sie denn, wenn Sie kopfüber durch die Luft wirbeln?

Es ist ein cooles Gefühl, die ein, zwei Sekunden, die man in der Luft ist, fühlt es sich fast ein bisschen wie Fliegen an. Die Kicker sind unterschiedlich groß, aber wenn das Selbstvertrauen stimmt, ist die Anfahrt niemals schlimm. Vielleicht ist beim ersten Mal noch ein bisschen Respekt dabei, aber sobald ich in der Luft bin, fühle ich mich wohl. Dieser Adrenalinrausch macht süchtig.

Wie fix oder flexibel ist das Set-up, mit dem Sie in einen Wettkampf gehen?

Es kommt schon vor, dass ich mich kurzfristig umentscheide, vor allem, wenn die Qualifikation gut war. Dann weiß man, wie man selbst und die anderen drauf sind, und kann taktieren. Im Slopestyle zeige ich eigentlich immer zuerst den Sicherheitslauf und steigere mich dann, aber im Big Air habe ich gleich den schwierigsten Sprung zuerst gezeigt – und das hat bislang sehr gut funktioniert.

Sie sind erst mit 18 Jahren zum Snowboarden gekommen. Gibt es diese Gedankenspiele, wo Sie heute stehen würden, wenn Sie noch früher damit begonnen hätten?

Manchmal wünsche ich mir, ich hätte früher angefangen. Andererseits hätte ich dann meine Turnvergangenheit nicht in dieser Form erlebt, und ich bin überzeugt, dass sie mir für das Snowboarden sehr viel gebracht hat.

Spiegelt Ihr rasanter Aufstieg bis zu einem gewissen Grad auch die Entwicklung der Snowboarderinnen in der eher männerdominierten Freestyle-Szene wider?

Freestyle oder Actionsport sind noch immer männerdominiert, als Mädel muss man sich den Respekt erarbeiten und beweisen, dass man nicht nur am Berg herumposiert. Bis vor Kurzem wurde uns Big Air nicht zugetraut, genau dort zeigt man aber die schwierigsten Sprünge, und das bringt uns auch im Slopestyle weiter. Die Entwicklung geht jetzt in die richtige Richtung, immer mehr Mädels entdecken den Sport für sich, und es ist cool, das mitzuerleben.

Die Genderdiskussion kam auch rund um die ÖOC-Wahl zum „Sportler des Monats“ auf, als Sie mit einem Bild in Unterwäsche porträtiert wurden. Ist das Aussehen bei Sportlerinnen wichtiger als bei Sportlern?

Ich glaube nicht, dass das ÖOC die Bildauswahl böse gemeint hat, sondern das einfach nicht in diesem Zusammenhang gesehen hat. Wenn man sich aber anschaut, welche Fotoangebote Sportlerinnen im Vergleich zu Sportlern bekommen, dann besteht definitiv ein Unterschied. Professionelle Shootings mit dem richtigen Hintergrund sind für mich völlig in Ordnung, aber ich möchte nicht, dass die sportliche Leistung überdeckt wird. Ich will als Sportlerin gesehen werden, und mit diesem Foto wurde die Aufmerksamkeit auf etwas anderes gelenkt.

Ihr Werbewert ist durch die Erfolge sicher gestiegen. Können Sie vom Sport leben?

Wenn man zu den Besten gehört, kann man recht gut davon leben. Zumal wir das Glück haben, dass wir vom Verband aus noch eigene Sponsoren haben können. Ich kann sogar ein bisschen etwas sparen, aber reich werde ich nicht. Es ist schon mehr Leidenschaft als das große Geldverdienen.

Trifft das Image des Freestyle-Zirkus als große Gruppe von Freunden aus aller Welt zu?

Seit es olympisch ist, hat es sich schon ein bisschen verändert. Aber noch gibt es keine so starke länderspezifische Trennung beim Snowboarden. Alles ist nach wie vor sehr offen, man hilft sich gegenseitig und macht viel gemeinsam. Ich schätze die vielen internationalen Freundschaften und trainiere bei Wettkämpfen auch oft mit anderen Nationen mit, da es in Österreich noch keine Mädels gibt, die mit mir mitreisen können.

Wobei können Sie abschalten und entspannen, wenn das Board einmal ruht?

Nach einer langen Saison versuche ich im Sommer schon, zwei Monate Sonne zu tanken. Mein Ruhepol liegt zu Hause am Millstätter See mit Familie und Freunden, da kann ich runterkommen und Energie sammeln.

Sie gelten als großer Schokoladefan. Wie groß ist der Vorrat für die kommenden Wochen mit Weltcups, X-Games in Aspen und Air+Style in Innsbruck?

Nach Amerika nehme ich auf jeden Fall österreichische Schokolade mit, weil die einfach besser schmeckt. In Korea habe ich bei dem langen Programm gemerkt, wie mein Energielevel gesunken ist, und dann springe ich nicht mehr so gut. Seither habe ich auch beim Wettkampf immer etwas dabei.

Sprunggewaltig

Anna Gasser trumpft in ihrer Premierensaison im Big-Air-Weltcup groß auf. Die Kärntnerin gewann die ersten drei Wettkämpfe, ehe sie wegen einer Knieverletzung pausieren musste. In Moskau gab sie vergangene Woche ihr Comeback und musste sich um nur 0,25 Punkten Katie Ormerod geschlagen geben. Die Britin ist beim Finale in Quebec (11. Februar) auch die einzig verbliebene Rivalin im Kampf um die Gesamtwertung.

Der Slopestyle-Weltcup wird am Samstag (14.15 Uhr, live ORF eins) mit einem Heimbewerb am Kreischberg eröffnet, auch hier zählt Gasser zu den Anwärterinnen auf die Kristallkugel.

Steckbrief

Anna Gasser
wurde am 16. August 1991 in Villach geboren. Nach Jahren als Turnerin wechselte sie mit 18 zum Snowboarden.

Paradesprung
2013 wurde Gasser weltbekannt, als sie als erste Frau einen Cab Double Cork 900 (doppelter Rück-wärtssalto mit halber Drehung) stand.

Erfolge
Bei Olympia 2014 in Sotschi wurde Gasser im Slopestyle als Qualifikationsbeste nach verpatztem Start Zehnte. Bei der Heim-WM 2015 am Kreischberg sicherte sie sich mit Gipsarm im letzten Run noch Silber. 2016 krönte sie ihre Premierenweltcupsaison im Big Air mit drei Siegen in den ersten drei Starts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.01.2017)

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