Schwere Stürze von Nyman, Guay und Moine überschatteten die Kandahar-Abfahrt, die Sicherheitsfrage rückt einmal mehr in den Vordergrund. Ganong siegte, Reichelt wurde Vierter.
Garmisch-Partenkirchen. Es waren Szenen, die man zwar nicht sehen will, die aber bei einer Abfahrt weiterhin unvermeidlich sind; vor allem auf so selektiven Strecken wie der Kandahar-Piste in Garmisch-Partenkirchen. Die Herren-Abfahrt wurde am Freitag von zahlreichen, mitunter schweren, Stürzen überschattet und zwischenzeitlich sogar abgebrochen.
Zunächst war der Amerikaner Steven Nyman nach extrem hohem Luftstand nach dem Kramersprung im Netz und folglich im Hubschrauber gelandet. Kurz darauf verhinderte der Kanadier Eric Guay nur mit ungeheurem Geschick schwere Verletzungen bei seinem Abflug über den Seilbahnstadelsprung. Er verlor kurz vor dem Sprung die Balance und segelte mit über 110 km/h und einem Vorwärtssalto den Berg hinunter. Guay hatte irrsinniges Glück. Beim Franzosen Valentin Giraud Moine – vergangene Woche noch Zweiter in Kitzbühel – hingegen werden nach seinem Kapitalsturz schwere Verletzungen (Unterschenkelbruch) befürchtet, auch er wurde ins Spital geflogen.
„Es war am Limit“
Die Kandahar-Abfahrt gilt als eine der schwersten Rennstrecken der Welt neben der Streif oder den Klassikern in Cortina oder auf dem Lauberhorn. 2008 wurde die Strecke im deutschen Wintersportort umgebaut, der Veranstalter lobte die Sicherheit des „Freien Falls“ aus, der erstmals seit 2013 wieder im Weltcup aufschien. 223 Mäste mit Stahlträgern und 6000 laufende Meter A-Netze mit vier Meter Höhe, teilweise im doppelten Verlauf, wurden gesetzt respektive verspannt. Allein dafür wurden 700.000 Euro investiert, über 400 Helfer ausgeschickt, um die Piste renntauglich zu machen mit richtungsweisender Sprühfarbe.
Dass die Gefahr bei einer Abfahrt dennoch nicht gänzlich auszusortieren ist, bleibt trotz all der Vorkehrungen unbestritten. Das Risiko eines Sturzes – dem Fahrer bleibt nur der Airbag, der Rückenprotektor und der Helm – fährt immer mit. Auch liegt es im Ermessen des Renndirektors, ob Strecke, Sprünge und Präparierung zulässig sind. Im Fall der Abfahrer liegt die Entscheidung bei Hannes Trinkl, Weltmeister von 2001. „Es ist heute wirklich am Limit gewesen. Ich denke, der Ski-Weltverband muss etwas tun“, sagte der Norweger Kjetil Jansrud, der hinter dem Amerikaner Travis Ganong Zweiter wurde. Ganong, 28, Vizeweltmeister und Olympiafünfter, sagte nichts. Es war der zweite Weltcupsieg seiner Karriere.
Die RTL-Piste gekreuzt
Die Abfahrt war schneller als das einzige Training bei Minusgraden. Die nun veränderten Pistenverhältnisse überraschten, zudem ging der Kramersprung weit, obwohl er bereits abgegraben worden war. Matthias Mayer betrieb Ursachenforschung, man würde mit der Abfahrtslinie die RTL-Piste kreuzen, die sei mit Wasser behandelt. „Dort ist es eisig, sonst ist es weich und griffig – nicht jedes Tor ist gleich.“ Hannes Reichelt fuhr mit Startnummer eins auf Platz vier, er dürfte wie Mayer das WM-Ticket für St. Moritz sicher haben. Er sagt: „Die perfekte Fahrt schafft hier keiner, kleine Fehler macht jeder, es kommt drauf an, wie man die Ski laufen lässt.“ (fin)
ERGEBNISSE Garmisch
1. Travis Ganong (USA) 1:53,71 Min.
2. Kjetil Jansrud (NOR) +0,38 Sek.
3. Peter Fill (ITA) +0,52 Sek.
Weiters: 4. Reichelt (AUT) 0,59 5. Feuz (SUI) 0,66 6. Osborne-Paradis (CAN) 0,87 7. Baumann (AUT) 0,89 8. Mayer (AUT) 0,98 9. Janka (SUI) 1,05 10. Paris (ITA) 1,21; 13. Kriechmayr 1,44 23. Franz 2,60 27. Walder 2,76 29. Kröll 3,12.
Gesamtweltcup (24/36): 1. Hirscher 1160 2. Kristoffersen 792 3. Pinturault 713.
Abfahrt: 1. Jansrud (NOR) 202 2. Fill (ITA) 199 3. Paris (ITA) 168 8. Franz (AUT) 118.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.01.2017)