Telemark im eigenen Wohnzimmer

Altstar Janne Ahonen war von der Normalschanze Finnlands bester Springer.
Altstar Janne Ahonen war von der Normalschanze Finnlands bester Springer.(c) Martti Kainulainen / Lehtikuva / picturedesk.com
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Finnlands Langläufer haben in Lahti bereits Medaillen gewonnen, bei den Skispringern ist dieses Vorhaben nur eine Illusion. Daran kann selbst Superstar Janne Ahonen, 39, nichts ändern, er ist längst kein Erfolgsgarant mehr.

Lahti. Jedes Land pflegt seinen eigenen Umgang mit Sportlegenden. In England sind Fußballer unsterblich, Österreich liebt seine Skistars über alles – und in Finnland sind es Rallyefahrer oder Langläufer. Die Zeiten, in denen Skispringer auf der höchsten Stufe dieser Gunst thronten, sind längst vorbei.

Finnlands einstige Hochkultur liegt darnieder, und all die Wiederbelebungsversuche, die der Steirer Andreas Mitter bislang unternommen hat, blieben eher erfolglos. Was binnen Jahren sukzessive zerstört worden ist, kann man nicht in wenigen Monaten reparieren. Zurück bleiben, das ist bei der Nordischen WM in Lahti deutlich geworden, nur Erinnerungen an einst. Es ist Wehmut, untermalt von notorischen Zwischenrufen der Ehemaligen, die als Kolumnisten und TV-Experten ätzen und analysieren. In diesem Punkt sind dann alle Länder doch wieder gleich.

Die Legende als Sinnbild

Diese Zweifel, Rufe, bisweilen sind es auch Hilfeschreie, sie plagen den Hausherren dieser WM nicht. Janne Ahonen, 39, ist in Lahti aufgewachsen, er lebt hier mit seiner Familie. Er ist eine dieser Sportlegenden, die Großes erreicht haben, denen man alles nachsieht. Und dennoch, Ahonen hat die Chance zum Absprung mehrfach nicht wahrgenommen und müht sich nun sogar mit dem bereits zweiten Comeback. Er gilt als Sinnbild für Erfolg – und Krise, gewann fünfmal die Tournee, stand sogar einer Generation vor, die sich anschickte, die Erbschaft von Ikonen wie Matti Nykänen, Jari Puikkonen oder Toni Nieminen anzutreten. Dass rundum auf alle anderen vergessen wurde, es im landesweit, in zig Skiklubs betriebenen Sport weder System noch Geld oder neue Talente gab, mit diesen Problemen muss sich nun Mitter beschäftigen.

Ahonen will mithelfen, er springt bei der WM (als 25. von der Normalschanze bester Finne) mit, schneidert sogar selbst Anzüge. Finnlands Skisprung sei ein „Pflänzchen“, sagt Mitter. Es wachse, sei aber kein Wunderbaum. Der 34-Jährige ist der erste Ausländer, der diesen Job als „Päävalmentaja“, als Cheftrainer, ausüben darf. Engagiert im Sommer vom ehemaligen ÖSV-Boss Mika Kojonkoski und mit allen Rechten ausgestattet, krempelte der Ramsauer alles um, knackte Systeme und installierte „eine Linie, nämlich meine“.

Es geht um eine Neusteuerung der Nachwuchsarbeit, daher wären Erfolge oder ein zumindest wahrnehmbarer Aufschwung bei dieser WM vor heimischem Publikum so essenziell. Nur zwei Podestplätze im Weltcup seit 2010 seien verheerend; in diesem Punkt fällt doppelt ins Gewicht, dass Ahonen nicht mehr in die Form zurückfindet, die Sprünge zeigt, die ihn einst so erfolgreich gemacht und 2005 zum Weltmeister gekrönt hatten. Und es keine anderen Springer gibt, die dem 39-Jährigen die Schneid abkaufen könnten. Es ist ernüchternd.

Hassliebe zu Norwegen

Für Rivalen wie Schweden oder Norwegen ist Finnlands Schwäche ein mediales Fressen. Das Duell erreichte nach dem Langlauf-Crash am Sonntag – der Norweger Emil Iversen brachte den Finnen Iivo Niskanen in der letzten Kurve des Teamsprints zu Fall – einen weiteren Höhepunkt. Boulevardmedien lieferten sich prompt Scharmützel, die Athleten schimpften. Daniel-André Tande nützte die Gelegenheit, um Ahonen via „Dagbladet“ zu kritisieren. „Er war der Weltbeste. Er ist jetzt nur noch eine Größe, die nichts mehr geben kann.“ Der Konter folgte umgehend, Nykänen nahm seinen Landsmann in Schutz: „Der Typ, dieser Tande, ist doch ein Kind. Er soll den Mund halten.“

Andreas Mitter, dessen Finnisch weiterhin das größte Manko ist, vernahm die Botschaft wohl. Am Donnerstag folgt das Springen von der Großschanze, es findet quasi in Ahonens Wohnzimmer statt. Es käme einem märchenhaften Traum gleich, würde Ahonen die Antwort geben mit kraftvollen, makellosen Sprüngen wie einst. Und wenn nicht? Die Finnen werden es ihm verzeihen, wie immer. Nur für Mitter wird die Luft dann dünn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2017)

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