Ski alpin: Deutscher Sensationssieg in Kitzbühel-Abfahrt

Thomas Dreßen
Thomas DreßenAPA/ROLAND SCHLAGER
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Die Hahnenkammabfahrt 2018 wurde dem Mythos Streif gerecht und bot ein Spektakel: Traumläufe, wilde Ritte und mit Thomas Dreßen einen deutschen Sensationssieger.

Auch Thomas Dreßen konnte sich das Lachen nicht verkneifen. Neben ihm war auf der Pressekonferenz nach dem Abfahrtsklassiker in Kitzbühel gerade Hannes Reichelt gefragt worden, ob denn dessen Startnummer eine Rolle gespielt hätte. Der Grund für die allgemeine Erheiterung: In einer Hahnenkammwoche voller Wetterkapriolen und beachtlichen Neuschneemengen zeigte sich just Samstagmittag bei Startnummer 19 zum ersten Mal so richtig die Sonne. Diese Nummer gehörte dem 24-jährigem Dreßen, der die perfekten Verhältnisse für nichts weniger als den Abfahrtssieg bei den 78. Hahnenkammrennen nutze, seinem ersten Weltcupsieg überhaupt. Auf den Plätzen zwei und drei folgten der Schweizer Beat Feuz (Startnummer sieben) und Reichelt (eins).

Auf Dreßen warten nun Ruhm und Ehre, eine goldene Gams, eine Gondel auf der Hahnenkammbahn, 74.000 Euro Preisgeld, ein Platz in der Kitzbühel-Historie, wo bisher Josef Ferstl als letzter deutscher Streif-Sieger geführt wurde (1978 und 1979), sowie die eine oder andere Siegesfeier. „Wir opfern so viel, da gehört das dazu“, meinte der Mann aus dem bayerischen Mittenwald. Am Start habe er sich die ersten Läufer angesehen („So oft bin ich auch noch nicht hier gewesen“), sich dann einen Plan zurechtgelegt und zwischen Mausefalle und Zielsprung dann die ganze Stimmung aufgesaugt.

Die Dramaturgie des Abfahrtsklassikers war kaum zu toppen: Nach dem Eröffnungsfeuerwerk von Reichelt, der den wohl schnellsten Ski des Starterfeldes unter den Füßen hatte, deutete sich ein Favoritensterben an. Kjetil Jansrud, Super-G-Sieger Aksel Lund Svindal, Vorjahressieger Dominik Paris und 2016-Champion Peter Fill verloren vor allem in der Gleitpassage zwischen Steilhangausfahrt und Seidlalmsprung viel Zeit. Erst Feuz zauberte eine perfekte Mischung aus Gefühl und Kampflinie auf die Streif. Nur Vincent Kriechmayr (Startnummer 16) kam zwischenzeitlich an den Schweizer heran, verlor beim Sprung in den Zielschuss aber die Linie. Genau dort, wo Cristof Innerhofer und Johan Clarey mit Stürzen für die diesjährigen Schreckmomente sorgten. Bis die Daumen nach oben gingen, herrschte bei 45.000 Zuschauern erdrückende Stille.

Der Platz an der Sonne

Am Sieg von Feuz gab es kaum noch Zweifel. Zumal dieser nicht unverdient gewesen wäre, war der Emmentaler im Vorjahr doch mit überlegener Zwischenbestzeit unterhalb der Traverse im Netz gelandet. Dann aber wies die Sonne Thomas Dreßen vor allem in den flacheren Passagen den Weg zum Sieg. Groll hegte ob der ungleichen Bedingungen niemand. Im Gegenteil. „Das muss man respektieren“, stellte der zweitplatzierte Feuz klar, nachdem die anfängliche Enttäuschung überwunden war. Der Tenor wie so oft in solchen Fällen: Man müsse es erst einmal herunterbringen und schließlich werde hier Freiluftsport betrieben. Auch dass Dreßen demnächst in einer Abfahrt ganz oben stehen könnte, hatte sich nach seinen Plätzen drei und fünf in Beaver Creek und Wengen abgezeichnet.

Deutschlands Ski-Aushängeschild Felix Neureuther, der nach seiner Kreuzband-OP auf Stöcken durch den Zielbereich der Streif schlenderte, gab zu Protokoll, noch nie eine solche Gänsehaut verspürt zu haben. „Das ist das Schönste für den Skisport, wenn ein Deutscher in Kitzbühel gewinnt“, jubelte er und lag zumindest aus der Perspektive der Touristiker richtig.

Österreichs Beitrag zum Coup

Österreichs Beitrag zu diesem Coup heißt Matthias Berthold, 52-jähriger Vorarlberger, von 2010 bis 2014 Herrenchef beim ÖSV und seither als solcher beim DSV engagiert. Seine Speedtruppe hat sich in Kitzbühel mit dem dritten Stockerlplatz der Olympiasaison endgültig ins Rampenlicht gefahren. Auf der Streif raste nach Dreßen zudem Andreas Sander einer noch größeren deutschen Sensation entgegen, nach drittbester letzter Zwischenzeit fiel er aber auf Platz sechs zurück.

Ein deutscher Doppelsieg wäre auch etwas zu viel gewesen für die österreichische Ski-Seele, die sich nach der bitteren Niederlage im Vorjahr (Matthias Mayer als Achter bester ÖSV-Läufer) heuer über den Stockerlplatz von Altmeister Reichelt, 37, freuen darf. Zum Sieger meinte der Salzburger: „Auf so einer Strecke, in diesem Alter, ist das schon eine Topleistung.“

Mitfavorit Mayer blieb nur der Preis für den Draufgänger des Tages. Es war ein klassischer wilder Ritt, den der Kärntner hingelegt hatte. Und wie er in der Traverse einen bösen Sturz verhindert hat, war vielleicht sogar die Szene dieses Rennens.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.1.2018)

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