Hirscher im Porträt: "Bin nicht so eine coole Sau"

Marcel Hirscher
Marcel Hirscher(c) EPA (Barbara Gindl)
  • Drucken

Der 23-jährige Marcel Hirscher und das Resümee einer "geilen Saison". Er sieht sich als Entertainer, den Sport eher nur als Scheinwelt. Jetzt hat er die Meisterprüfung geschafft und ist Gesamtweltcupsieger.

Er hat sich Respekt verschafft. Nicht nur bei den Teamkollegen, sondern auch bei der Konkurrenz. Er wird geschätzt ob seines Könnens, aber auch als Mensch gemocht. Als einer, der sich selbst nicht verbogen hat - und auch nicht verbiegen lässt. Er ist direkt, offen, ehrlich, mitunter sehr kritisch, aber er kann auch witzig sein. Oder nachdenklich. Manchmal hat man in Gesprächen mit ihm nicht das Gefühl, gerade mit einem eben erst 23 Jahre alt gewordenen Spitzensportler zu reden, sondern mit einem gestandenen Athleten.
sMarcel Hirscher wirkt nicht altklug oder belehrend, schon gar nicht überheblich oder oberflächlich. „Was ich nicht sein will, das ist Phrasen dreschen", sagt der Salzburger. „Das haben sich die Fans und die Medien nicht verdient. Wir bekommen von unserem Sport so viel zurück, da muss man auch etwas weitergeben können."

Das System Hirscher ist ein funktionierendes, nicht erst seit dieser Saison, in der der Edeltechniker mehr gewonnen hat, als er selbst gedacht oder sich erhofft hat. „Es war eine geile Saison", sagt er mit dem Brustton der Überzeugung. Er hat den Gewinn der großen Kristallkugel nie als Ziel für 2012 erklärt, jetzt hat er sie aber gewonnen, weil Beat Feuz auf den heutigen Slalom verzichtet. Hirscher ist damit der fünfte Österreicher, der die große Kristallkugel gewann. Vor ihm gelang dies Karl Schranz, Hermann Maier, Stephan Eberharter und zuletzt 2006 Benjamin Raich.

Das Talent des kleinen Marcel hat sich schnell herumgesprochen. Den ersten Schliff hat ihm sein Vater verpasst. Ferdinand Hirscher, Leiter der Skischule Annaberg, der gemeinsam mit seiner Frau auch eine Alm und eine Schutzhütte betreibt, ist heute noch ein ganz wichtiger Wegbegleiter. „Er war mutig", sagt Marcel über seinen Papa heute. „Das Verhältnis war immer loyal, er war stets entgegenkommend." Nicht immer geht alles konfliktfrei ab, manchmal kann es schon auch lauter werden. „Wenn so viel Herzblut für den Skirennsport dabei ist, kann es nicht immer reibungslos abgehen."
Marcel Hirscher, der die Ski-Hotelfachschule in Bad Hofgastein abgeschlossen hat, war von seinen Fähigkeiten nicht immer restlos überzeugt. „Ich war mir nie sicher, ob ich es schaffe. Ob ich es überhaupt einmal in einen Landeskader schaffe. Aber es ging step by step." Über den Europacup gelangte er in den Weltcup, 2008 erreichte der mehrfache Juniorenweltmeister in Adelboden seine erste Top-Ten-Platzierung. Noch im gleichen Jahr stand er in Kranjska Gora erstmals auf dem Podest, im Dezember 2009 erfolgte in Val d'Isère die Siegpremiere.

Dankbar sein für die Aufmerksamkeit. „Ich bin kein besserer Mensch, wenn ich gewinne", sagt Marcel Hirscher. „Skifahren genießt in Österreich ein hohes Maß an Aufmerksamkeit", meint der Salzburger. „Dafür müssen wir dankbar sein." Der 23-Jährige weiß, wovon er spricht, schließlich hat der Ausnahmekönner auch niederländische Wurzeln. Seine Mutter Sylvia stammt aus Den Haag, Marcel selbst ist Doppelstaatsbürger. Immer wieder bekommt die Familie Hirscher Besuch von niederländischen Journalisten, die sich auf Spurensuche begeben. „Aber ich habe mich seinerzeit für den ÖSV entschieden, weil mir das mehr Möglichkeiten geboten hat."

Hirschers synchrones Umfeld

Die nötige Kraft, die tankt Marcel bei der Familie. Und bei seiner Freundin Laura, Publizistikstudentin und Freizeit-Model, um die er vor drei Jahren hart kämpfen musste, weil sie ihn anfänglich ignoriert hat. „Mein gesamtes Umfeld", sagt Hirscher, „läuft synchron." Zu diesem Umfeld gehören auch eine hoch professionelle PR-Agentur, Sponsoren, Trainer, vor allem aber auch Atomic-Koryphäe Edi Unterberger. Hier greift ein Rad ins andere. „Ein Rennen", sagt Marcel Hirscher, „gewinnst du nie allein." Auch nicht ausschließlich der Kopf. „Sondern der ganze Athlet."

Vergleiche mit Hermann Maier ehren den 23-Jährigen, „aber im Vergleich zu ihm habe ich noch nichts gewonnen." Vorbild war er immer ein großes, Hirscher hingegen steht mehr oder weniger erst am Anfang seiner vermutlich noch recht glorreichen Karriere. Auch, weil er sich vor der WM im Vorjahr in Garmisch-Partenkirchen einen Kahnbeinbruch im linken Fuß zugezogen hat. Diese Zeit hat ihn geprägt. Wie die Ränge vier bzw. fünf bei Olympia in Vancouver.

Ein einschneidendes Erlebnis war für Hirscher der Konflikt mit Ivica Kostelić. Begonnen hatte alles wegen einer Einfädler-Diskussion, auf Betreiben des Salzburgers ist es dann vor dem Nachtslalom in Schladming zur Versöhnung mit dem Kroaten gekommen. Die Befreiung war so groß, dass der Mann, der die Schräglage neu definiert hat, anderntags seinen ersten Heimsieg feiern konnte.

Eine Show bieten. Den Begriff des dosierten Risikos kennt der Hobby-Motocrosser nicht, im Gegenteil: Er lehnt ihn sogar ab, „denn ich gebe immer hundert Prozent". Die Angriffslust hat Hirscher im Blut, sein aggressiver Fahrstil und das direkte Zusteuern auf die Kippstangen sind nahezu einzigartig. Als neuer Skiheld aber sieht sich der Salzburger nicht. „Da fehlt doch noch einiges . . ." Das Zeug dazu, das bestätigen dem klein gewachsenen Kraftpaket alle, hat er. „Die Leute wollen schließlich unterhalten werden", philosophiert Hirscher. „Wenn man dieses Ziel erreichen will, dann muss man sich auch als Entertainer sehen." Nicht als Gaukler, sondern als Spitzensportler, „der in der Lage ist, eine tolle Show zu bieten". Daraus würde sich ein Wechselspiel ergeben.
Der Rummel beim Weltcupfinale in Schladming um seine Person hat dieser Tage ungeahnte Ausmaße angenommen, aber Marcel Hirscher hat in dieser Saison schon mehrmals mentale Stärke bewiesen. Er weiß auch, „dass der Sport eine Scheinwelt ist". Aber Phrasen, die will er gar nicht erst zu dreschen beginnen. Das überlässt er lieber anderen.

"Ich bin nicht so eine coole Sau"

Das war auch nach seinem gestrigen Sieg im Riesentorlauf so. „Jeder erwartet Wunderdinge von mir, das ist nicht so einfach. Viele denken sich, der Wunderwuzzi wird es schon richten." Aber Marcel Hirscher hat dem Druck standgehalten. „Einen Ausfall hätte ich mir nicht leisten können, sonst hätte ich vielleicht alles verloren." So aber hat der Jungstar alles gewonnen. Am gestrigen Samstag die kleine Kugel, und heute wird ihm nach dem Slalom auch die Auszeichnung für den Gesamtweltcup überreicht werden. „Ich habe die Meisterprüfung bestanden, ich habe es geschafft. Es gibt niemanden, den das kalt lässt. Ich bin auf jeden Fall nicht so eine coole Sau."

Immer souverän. Mit Hirschers Totalangriff war vor Saisonbeginn nicht unbedingt zu rechnen. Auch Österreichs Herren-Cheftrainer Mathias Berthold hatte seinen Schützling nicht wirklich auf der Rechnung. „Es war nicht realistisch, vor der Saison zu sagen, Marcel Hirscher ist Favorit auf den Gesamtweltcup. Aber er hat nach der Verletzung alle Erwartungen übertroffen und eine tolle Serie mit neun Saisonsiegen hingelegt - und er war in den entscheidenden Situationen immer souverän. Er ist so fokussiert vor einem Rennen, das ist sensationell, wie er den Druck wegsteckt, einfach gewaltig. Wir hoffen jetzt natürlich, dass er am Sonntag auch noch die kleine Kristallkugel im Slalom holt."

>>> Alle Infos im Weltcup-Special

("Die Presse", Printausgabe vom 18. März 2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Wintersport

Hirscher und Vonn sind auch die Preisgeldkönige

Der Salzburger Marcel Hirscher verdiente 381.680 Euro brutto an Siegprämien in dieser Saison. Die Amerikanerin Lindsey Vonn 458.156 Euro. Den prestigeträchtigen „Weltcup der Skimarken“ gewann Head.
Hirscher Trottel nicht geniesst
Wintersport

Hirscher: "Ein Trottel, der das nicht genießt"

Gesamtweltcupsieger Marcel Hirscher fädelte im finalen Slalom ein und vergab die Chance auf die kleine Kugel. Ivica Kostelić als großer Pechvogel, André Myhrer als lachender Dritte.
Lindsey Vonn und Marcel Hirscher
Wintersport

Ski: Hirscher und Vonn Preisgeld-Könige der Saison

Die Gewinner der großen Kristallkugeln verdienten in der Saison 2011/12 auch am meisten. Lindsey Vonn steckte auch Marcel Hirscher in die Tasche.
Rekord Hermann Maier bleibt
Wintersport

Der Rekord von Hermann Maier bleibt unerreicht

US-Superstar Lindsey Vonn hatte Pech mit einem Skistecken, das Missgeschick brachte sie im Riesentorlauf um Punkte. Die kleine Kristallkugel holte sich die siegreiche Deutsche Viktoria Rebensburg.
Marcel Hirscher mit grosser Kugel
Wintersport

Ski: Hirscher stemmte Kugel - bis ihn die Kraft verließ

"Nach zehn Minuten ist mir die Kraft ausgegangen", meinte der Gesamtweltcupsieger, nachdem er die große Kristallkugel in die Hand bekam. Sein Fazit: "Es ist fast zu geil, um wahr zu sein".

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.