Für Lindsey Vonn zählt in St. Moritz nur Gold. Allerhöchste Priorität hat für sie dennoch Ingemar Stenmarks Weltcuprekord von 86 Siegen. „Diese Zahl treibt mich an.“
Lindsey Vonn, das lässt sich mit Gewissheit behaupten, versteht ihr Geschäft. Die US-Amerikanerin fährt nicht nur schnell und erfolgreich Ski, sie weiß sich auch wie niemand anderer im Weltcupzirkus in Szene zu setzen. Schnee tauscht sie flott gegen rote Teppiche, das Society-Parkett ist keineswegs Glatteis. Und so passte es ins Bild der extrovertierten und zugleich doch so sensiblen Vonn, dass ausgerechnet sie den ersten offiziellen Medientermin im Rahmen der heute beginnenden Ski-Weltmeisterschaften in St. Moritz abhielt.
Begleitet vom üblichen Blitzlichtgewitter schritt Vonn Sonntagnachmittag zum Podium, im Gepäck hatte sie Hündin Lucy, einen Cavalier King Charles Spaniel. Einmal schnaufte Lucy ins Mikrofon, einmal knabberte sie daran. Ein skurriles Schauspiel. Vonn fand daran jedenfalls Gefallen, sie liebt die Selbstinszenierung. Fragen zu ihrem Gast wurden anschließend dankenswerterweise keine gestellt, dabei hätte die 32-Jährige diese sicher liebend gern beantwortet. Vielmehr interessierte sich die Journalistenschar für Vonns Wohlbefinden und ihre Erwartungen für St. Moritz. Die lädierte rechte Hand mache Fortschritte. „Ich kann den Skistecken halten, kann Leuten die Hand schütteln, mich schminken.“ Ein Problem stelle noch das Autogrammschreiben dar. „Wenn es zu viel wird, dann wird die Hand schnell müde.“
Vonn bestreitet in der Schweiz ihre bereits siebente Weltmeisterschaft, ihre erste (Bormio 2005) liegt eine kleine Ewigkeit zurück. Bei der WM 2003, sie wurde ebenfalls in St. Moritz ausgetragen, stand sie noch nicht im US-Aufgebot. „Mein Coach meinte, ich sei nicht gut genug.“ Die Zeiten haben sich geändert, jetzt ist Vonn Olympiasiegerin, Doppelweltmeisterin, triumphierte viermal im Gesamt- und achtmal im Abfahrtsweltcup. All diese Titel und Zahlen gipfeln in 77 Weltcupsiegen.
Rekorde, die ewige Erinnerung
Die Speed-Queen aus St. Paul, Minnesota, hat selbst eine solche Karriere nie für möglich gehalten, sich mit Rekorden lange Zeit auch gar nicht beschäftigt. „Mein einziger Traum war es immer, Olympiasiegerin zu werden.“ Mit 86 Weltcuperfolgen thront in der ewigen Bestenliste nur noch der große Ingemar Stenmark über ihr. „Seinen Rekord zu brechen“, sagt Vonn, „wäre unglaublich. Diese Vision treibt mich an.“
Tatsächlich hat das Durchbrechen von Stenmarks Bestmarke allerhöchste Priorität, dieses Vorhaben erscheint ihr noch wichtiger als weiteres Olympiagold in Pyeongchang 2018. „Das ist es, was den Menschen später in Erinnerung bleibt.“ Stenmark hat sie übrigens erst einmal, beim vorjährigen City-Event in Stockholm, persönlich getroffen. „Er schaut mir zu, wenn es so weit ist.“
Gegenwärtig gilt Vonns Fokus allerdings nicht weiteren Weltcupsiegen, sondern ausschließlich der Weltmeisterschaft. In St. Moritz startet sie in Abfahrt, Super-G und Kombination, „obwohl ich noch keinen Slalom trainiert habe.“ Vonns Zugang bleibt dabei immer derselbe. „Entweder ich gewinne, oder ich scheide aus. Ich fahre nicht für den zweiten oder dritten Platz.“
Die Brisanz des Vergleichs
Es ist mitunter dieser unbändige Ehrgeiz, der Lindsey Vonn antreibt und auszeichnet, zu einer für den Skizirkus unverzichtbaren Figur macht. Die Head-Athletin setzt sich keine Grenzen, auf der Rennstrecke würde sie auch den Vergleich mit Kjetil Jansrud und Co. nicht scheuen. Seit geraumer Zeit kokettiert sie wieder mit einem Weltcupstart bei den Herren. Im Frühling wird ihr Coach einen Vorschlag bei der FIS deponieren. Vonn: „Ich hoffe, dass es in Lake Louise 2018 endlich klappt.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2017)