Thomas Wassberg: Eine Hundertstel für die Ewigkeit

Ein Augenblick Sportgeschichte: Thomas Wassberg am 17. Februar 1980, unterwegs zu Olympiagold über 15 Kilometer im klassischen Stil.
Ein Augenblick Sportgeschichte: Thomas Wassberg am 17. Februar 1980, unterwegs zu Olympiagold über 15 Kilometer im klassischen Stil.(c) Imago
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Thomas Wassberg gewann bei Olympia 1980 den Langlauf-Thriller über 15 km vor Juha Mieto. 35 Jahre später hält der Schwede dem Sport noch immer die Treue. Er ist "Spurchef" bei der Nordischen WM in Falun.

Es war das spektakulärste Langlaufrennen einer glorreichen Generation. Am 17. Februar 1980, bei den Winterspielen in Lake Placid, lieferten sich der Schwede Thomas Wassberg und der Finne Juha Mieto ein episches Duell über 15 Kilometer im klassischen Stil. Damals gab es keinen Massenstart, keine Skating-Technik. Es war ein Einzelrennen, ein Lauf gegen die Zeit, allein im Wald – es zählten Kraft, Können und Wille. Das Rennen ging in die Geschichte ein mit der knappsten Entscheidung und einem Sieger, der trotzdem im Schatten des Verlierers stand – weil dessen Schicksal so schier unvorstellbar war. Wassberg triumphierte in 41:57,63 Minuten, Mieto war um eine Hundertstel langsamer. Auf 15 Kilometer umgelegt trennten beide ca. 3,3 Zentimeter...

35 Jahre später liefern 0,01 Sekunden weiterhin enormen Gesprächsstoff. Neben Erinnerungen und Bildern, die angesichts des Jubiläums auftauchen – Mietos buschiger Bart, Wassbergs unheimlich lange Schritte oder das verzweifelte Warten des ZDF-Kommentators Bruno Moravetz („Wo ist Behle?“) –, erhält der Klassiker auch aus einem ganz anderen Grund neuen Anstrich. Wassberg, 58, ist bei der am Mittwoch in Falun, Schweden, anhebenden Nordischen Weltmeisterschaft im Einsatz. Der vierfache Olympiasieger und viermalige Weltmeister werkt vor Ort als Spurchef, erzählt er der „Presse am Sonntag“ stolz im Exklusiv-Interview, das seine ehemaligen Fischer-Experten Gerhard Thaller und Franz Gattermann möglich machten.


„Schneller, du führst!“ Wassberg achtet darauf, „dass die Loipe beste Qualität hat. Damit die WM ein voller Erfolg wird und alle die besten Verhältnisse haben. Das ist für mich eine Herzensangelegenheit.“ Natürlich, immer wieder wird Wassberg nur auf das Thriller-Rennen von 1980 angesprochen. Er muss lachen. Er habe doch auch ganz andere, so viele tolle Erfolge vorzuweisen; aber gut: „Das ist meine Geschichte, aber in einer Hundertstel kann ich sie nicht erzählen...“

35 Jahre später würde man vieles aus ganz anderer Sicht betrachten, sagt der Schwede, der in seiner Heimat verehrt wird wie Hermann Maier. Wassberg gilt als Loipen-Ikone, der Sport sei sein Leben, doch längst hätten Familie und Enkelkind größere Bedeutung für ihn. Obwohl er anfangs etwas mürrisch klingt, weil er über den 17. Februar 1980 sprechen soll, macht er es trotzdem mit Begeisterung; das hört man. Er hat keinen Stockeinsatz vergessen, er kennt die Loipe, all ihre Tücken. „Als ich unterwegs war, hörte ich immer jemanden schreien. Schneller, Sekunde vorne, eine hinten. Du führst. Mieto war vor mir gelaufen, mit Nummer 54 glaube ich. Er war schon im Ziel, ich hatte Nummer 63“, sagt Wassberg kühl, in perfektem Deutsch. „Aber ich habe gewonnen – das war's.“

Mieto warf völlig entgeistert seine Skier in den Schnee. Der Riese gratulierte und stapfte schweigend davon. 1972 in Sapporo, Japan, hatte er eine ähnliche Enttäuschung erlebt. Damals fehlten ihm, dem berühmtesten Verlierer, sechs Hundertstel auf Bronze.

Aus der sportlichen Rivalität wuchs im Lauf der Jahre eine Form der Freundschaft. Beide besitzen mehrere Hektar Wald, sie eint die Liebe zu Tieren, der Forstwirtschaft. Wassberg sagt, man treffe sich einmal im Jahr, ob sie sich dann aber wirklich viel zu erzählen haben? „Ich habe mit ihm oft über unser Rennen gesprochen, er ist sicher durch die Hölle gegangen. Es war ein spannendes Duell, und die ganze Welt schaute zu“, führt der Schwede aus. Dass er damals angeboten hatte, die Goldmedaille zu teilen, ist nicht mehr von Belang; auch hatte es das Internationale Olympische Komitee untersagt. Am Herzen aber liegt Wassberg, „dass unser Rennen den Sport verändert hat. Wegen uns wurde die Zeitnehmung geändert.“ Jetzt gelten nur noch Zehntelsekunden. Er hält den Atem an, in Gedanken läuft der Schwede wohl erneut, zum x-ten Mal ins Ziel. Dann sagt er: „Das Rennen ist längst vorbei.“


Natürliche Bewegung im Wald. Langlaufen ist Schwedens Kulturgut. Neben Eishockey ist es die Nr. 1, die Gründe liegen für Wassberg auf der Hand. „Es ist ein flaches Land – deshalb gehen alle langlaufen.“ Die Wurzeln der Beliebtheitsskala lägen aber nicht im Spitzensport, sie reichen getrost tiefer. „Letztlich kommt alles von der natürlichen Bewegung im Wald. Für Jäger war es essenziell, für den Transport ebenfalls – jeder musste gut langlaufen.“

Dass Erfolge bei Großereignissen der Popularität dienlich sind, ist unbestritten. Kinder brauchten Idole, auch sei es von Vorteil, dass in Schulen und Kindergärten geübt wird, sagt Wassberg und geht mit seinen Landsleuten dennoch unerwartet hart ins Gericht: „Das eigentliche Interesse, die wahre Sportbegeisterung beginnt immer daheim.“ Er spricht ein Problem offen an, das auch in Österreich, im wahrsten Sinne des Wortes, Gewicht hat. Aktuelle Studien zeigten, dass sich Schwedens Kinder zu wenig bewegen...

Deshalb sei die WM in Falun von großer Bedeutung, Schweden will beste Werbung für Sport und Bewegung machen. Abertausende Zuschauer sind bei Langlaufrennen jedenfalls gewiss, die Rivalität zu Norwegen und Finnland garantiert Highlights – auch entlang der Loipe. Wassberg: „Ich bin professioneller Spur-Mann, ich richte gerne etwas her und war auch beim Bau des Skicenters in Asarna dabei.“

Er spricht plötzlich schneller, man merkt, dass ihn der Langlauf weiterhin antreibt. Die Spur müsse nicht nur gut aussehen, sondern allen Widrigkeiten trotzen, den Belastungen standhalten. „Viel von der alten Falun-Strecke ist im Profil dabei, einiges ist neu. Es ist eine gute Mischung“, erklärt er. Ob es ihn selbst jucken würde, er gerne mitlaufen würde, verneint er jedoch entschieden. Keine Chance, undenkbar, er antwortet kurz angebunden, seine aktive Zeit sei längst vorüber. Zudem, mit Massenstart-Rennen könne er nur wenig anfangen. Skating-Technik, Doppelstock, Wachs, all das habe die Sportart verändert. Es gebe keine Holz- oder Gasski mehr wie in den 1980er-Jahren, das Service sei eine eigene Profession geworden. „Der Langlauf ist damit viel schneller geworden“, sagt Wassberg. Da habe er keine Chance mehr, also schaue er lieber seinen Nachfolgern zu und applaudiere wie ein Fan.

Im Fall eines Heimsieges werde ihm Stolz oder das Gefühl, mitgeholfen zu haben, zuteil. Es sei schön, „die Stars im eigenen Land zu sehen“, sagt Wassberg. Der Langlauf brauche Impulse, vor allem aber Siege und echte Siegertypen. Solche wie die Olympioniken Gunde Svan, Torgny Mogren, Björn Lind oder Marcus Hellner. Der Namen gebe es sonder Zahl – Langlauf sei eben Schwedens größter Stolz.


Leben in Ramsau. Thomas Wassberg sagt es und hält wieder den Atem an, es herrscht erneut Stille. Diesmal läuft in Gedanken aber nicht sein Rennen von 1980, sondern ein ganz anderer Film. Das Gespräch mit einem Österreicher lässt ihn träumen. Er ist mit einer Ramsauerin liiert, sie haben unlängst nahe des Dachsteins ein Haus gekauft und es sei nicht ausgeschlossen, dass er bald in Österreich leben könnte. „Wir wissen es noch nicht, ich mag die Gegend aber gerne. Ramsau hat ein super Gelände.“ Und auch grandiose (WM-)Loipen, auf denen vielleicht bald eine Legende ihre Runden drehen und höchstwahrscheinlich das eine oder andere Mal die Geschichte seines Hundertstel-Thrillers erzählen könnte. Sein Einstieg geht jedenfalls unter die (Gänse-)Haut: „Als ich in der Loipe unterwegs war, hörte ich immer jemanden schreien. Schneller, Sekunde vorne, eine hinten. Du führst. Das war's.“

NORDISCHE WM

Acht ÖSV-Läufer, keine Staffel.
Die ÖSV-Langläufer sind bei der WM in Falun (ab 18. 2.) mit acht Startern vertreten. Damen: Schwarz, Smutna, Stadlober. Herren: Bader, Baldauf, Hauke, Tritscher, Wurm. Die Staffel-Bewerbe werden nicht besetzt.
Fünf Adler, sechs Kombinierer.

Skispringer: Schlierenzauer, Hayböck und Kraft sind fix; Diethart, Fettner und Kofler rittern um zwei Plätze.
Kombinierer: Bieler, Denifl, Gruber, Klapfer, Orter und Schneider.

Steckbrief

1956
Thomas Wassberg wird am 27.März in Lennartsfors geboren.

1974
gewann er die Junioren-EM, erhielt den ersten Vertrag bei der Skifirma Fischer.

1980
feierte der Schwede den knappsten Sieg der Langlaufhistorie. Bei Olympia in Lake Placid war er über 15Kilometer um 0,01Sekunden schneller als Juha Mieto (FIN).

1984
war er bei Olympia in Sarajewo über 50 Kilometer und mit der Staffel unschlagbar.

1987
WM in Oberstdorf, der vierte WM-Titel.

1988
gewann er in Calgary erneut Olympia-Gold mit der Staffel und beendete die Karriere.

2015
arbeitet Wassberg bei der WM in Falun als Spur-Chef. Fischer-Sport

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2015)

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