Olympische Spiele – „Einheit in Vielfalt“

Die Entscheidung des IOC über die Vergabe der Winterspiele 2022 verspricht eine olympische Premiere und einen Abschied.

Wenn ich heute den Umschlag öffne und den Namen der Gastgeberstadt für die Olympischen Winterspiele 2022 verkünde, werde ich genauso gespannt sein wie die Zuschauer. Aber unabhängig davon, ob die Entscheidung für Almaty in Kasachstan oder für Peking in China ausfällt, es wird eine olympische Premiere geben. Peking wäre die erste Stadt, die sowohl Sommer- als auch Winterspiele ausrichten würde. Almaty wäre die erste Gastgeberstadt der Olympischen Spiele in der Region.

Doch die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees wird auch einen olympischen Abschied bedeuten. Almaty und Peking sind die letzten Kandidaten, die das Bewerbungsverfahren vor Verabschiedung der Olympischen Agenda 2020 begonnen haben. Dieses Reformpaket verändert den Auswahlprozess künftiger Gastgeberstädte, indem es ihnen ermöglicht, die Spiele ihren jeweiligen Interessen anzupassen statt einheitlichen Anforderungen zu genügen.

Kostengünstigere Spiele

Almaty möchte auf der großen Tradition des Wintersports in Kasachstan – man erinnere sich an die weltberühmte Eisschnelllaufbahn Medeo, auf der so viele Weltrekorde aufgestellt wurden –, aufbauen sowie wirtschaftliche und soziale Reformen beschleunigen. Peking möchte mit den Spielen das olympische Erbe der Sommerspiele 2008, darunter das berühmte „Vogelnest“, nutzen und ein Wintersport-Zentrum für mehr als 300 Millionen Menschen erschließen. Beide Städte haben für alle permanenten Sportstätten ein Nutzungskonzept für die Zeit nach den Spielen vorgelegt, sodass sich diese Investitionen über viele Jahre hinweg lohnen.

Die Olympischen Spiele 2022 werden in jedem Fall bedeutend kostengünstiger sein als frühere. Die vorgesehenen Investitionen in Olympische Dörfer, Sportstätten und weitere Infrastruktur betragen insgesamt 1,85 Milliarden Dollar für Almaty und 1,5 Milliarden Dollar für Peking. In beiden Städten beträgt das operative Budget, das heißt alle direkt mit der Organisation der Spiele in Verbindung stehenden Ausgaben, weniger als 1,8 Milliarden Dollar. Diese Kosten werden vollständig durch Erlöse aus Ticketverkauf, Sponsoring und anderen Einkünften gedeckt, zumal das IOC den Organisatoren etwa 880 Millionen Dollar bereitstellt. Deshalb können beide Städte mindestens mit einer schwarzen Null oder einem Gewinn planen.

Die Agenda 2020 entlastet Kandidaten noch weiter: Das IOC trägt sämtliche Kosten der Evaluierung inklusive der Vor-Ort-Besichtigungen. Zudem wurde die Transparenz gesteigert, so enthält der Bericht der Evaluierungskommission erstmals auch eine ausführliche Bewertung der Chancen und Risken. Die Agenda 2020 fördert die Vielfalt der Konzepte für die Ausrichtung Olympischer Spiele. Dies ist eine Botschaft, denn Vielfalt macht einen großen Teil des Zaubers der Spiele aus.

IOC ist keine Weltregierung

Durch die geforderte Respektierung der Olympischen Werte seitens der Gastgeber wird das Prinzip „Einheit in Vielfalt“ verwirklicht. Die Agenda 2020 trägt dem Rechnung und berücksichtigt im Kontext der Olympischen Spiele sehr wohl auch Menschenrechtsaspekte. Daher hat die IOC-Evaluierungskommission bei der Bewertung Ansichten von Nichtregierungsorganisationen (NGO) und Experten zu den Themen Menschenrechte, Arbeitnehmerrechte, Medienfreiheit und Umweltschutz einfließen lassen sowie bei Regierungen entsprechende Zusagen eingeholt. Diese besagen, dass die Prinzipien der Olympischen Charta und der Vertrag mit der Gastgeberstadt für alle Teilnehmer und für alle direkt mit den Spielen im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten eingehalten werden.

Dies betrifft auch das Verbot jeglicher Diskriminierung sowie das Demonstrationsrecht während der Spiele. Außerhalb der Spiele respektiert das IOC die Gesetze souveräner Staaten. Das IOC ist keine Weltregierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2015)

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