Mit Nokias Karten in die Auto-Zukunft

(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Für den Kauf von Nokia Here haben sich die Erzrivalen Daimler, VW und BMW verbündet. Wenn das selbstfahrende Auto kommt, wollen sie nicht von Google abhängig sein.

Espoo/Wien. Seltsame Dinge geschehen in diesen Tagen. Da tun sich drei deutsche Autobauer zusammen, die gemeinhin nichts verbindet außer schärfste Konkurrenz: Daimler, BMW und die VW-Tochter Audi. Seit an Seit fochten die Rivalen im Bieterwettstreit um den digitalen Kartendienst Nokia Here – also eine Softwarefirma, was in einer gar nicht so alten Denkwelt nichts mit ihrem Kerngeschäft zu tun hätte. Am Montag erhielten sie den Zuschlag, für 2,8 Mrd. Euro.

Im Gespräch dafür waren große Namen der IT-Branche: zumindest gerüchteweise Apple und Facebook; konkrete Angebote kamen von Konsortien, an denen Microsoft, Alibaba aus China und der Taxi-Rebell Uber beteiligt waren.

Scheinbar beste Karten für den Verkäufer, der sich strategisch neu ausrichten und deshalb seine Berliner Tochter an den Mann bringen wollte. Doch nach den langen Verhandlungen zeigten sich die Nokia-Aktionäre über den Preis enttäuscht. Was nicht verwundern kann, wenn man weiß, wie viel Geld die Finnen im Jahr 2008 auf den Tisch legten, um durch den Kauf von Navteq den Grundstein für ihren eigenen Kartendienst zu legen: 8,1 Mrd. Dollar. Der Aktienkurs gab gestern nach. Zugleich legte jener des Karten-Konkurrenten TomTom aus Holland kräftig zu. Wie passt das alles zusammen?

Zwei Schlüsseltechnologien

Zunächst zeigt der denkwürdige Schulterschluss der Deutschen, wo auch sie die Zukunft sehen: in der zunehmenden Vernetzung der Fahrzeuge und der „Assistenz“ für den Lenker. Was mit akkuraten Warnungen vor Irrwegen, Glatteis und Stau beginnt, endet fast zwangsläufig beim selbstfahrenden Auto. Für diese Zukunft gibt es zwei Schlüsseltechnologien: zum einen Sensoren in den Fahrzeugen, die zum Beispiel den Abstand zum davor fahrenden Auto messen. Und zum anderen digitale Karten, die bis auf zehn Zentimeter genau sind und ständig aktuell gehalten werden. Dafür haben Hersteller von Autos mit eingebauten Navigationssystemen nur drei relevante Anbieter: Da gibt es Nokia Here. Da gibt es TomTom, die laut dem Portal Gründerszene.de technisch schon ins Hintertreffen geraten sind und nun selbst zu Übernahmekandidaten werden – was den Kurssprung erklärt. Und dann gibt es da natürlich Google.

Für die deutschen Autobauer war es eine düstere Vision, dass sie bei diesem strategisch so wichtigen Thema die Kontrolle verlieren und ihnen der Datenkrake aus dem Silicon Valley künftig die Preise diktiert. Das macht ihr Interesse verständlich – wobei sie nun beteuern, dass sie sich aus dem Geschäft heraushalten und die Daten weiterhin allen anderen Autoherstellern offenstehen. Weit weniger entspannt dürften die Verhandlungen gelaufen sein. „Wenn wir den Zuschlag nicht erhalten, beenden wir die Geschäftsbeziehung, weil wir keinen Sinn darin sehen, Konkurrenten zu stärken“, zitierte die „FAZ“ schon Ende April die deutschen Konzerne.

Im Grunde ein Sanierungsfall

Sie ließen also ihre Macht spielen: Zwar ist Here mit 55Prozent Anteil globaler Marktführer bei eingebauten Navigationssystemen, dem direkten Geschäft mit Autobauern. Aber 30Prozent aller Einnahmen kommen allein von Daimler, BMW und VW. Auf diese Kunden kann man schwer verzichten.

Und auch nicht auf ihre Daten. Denn vier Fünftel aller Infos, mit denen die Karten aktuell gehalten werden, sollen schon aus den Rückmeldungen von Navis der Autoindustrie stammen – wenn etwa ein Fahrzeug von der erwarteten Route abweicht, weil sich eine Einbahn geändert hat, oder langsamer vorankommt, weil es sich staut.

Die Verhandlungsmacht ist aber nicht der einzige Grund für den relativ niedrigen Preis. Denn zieht man die kühnen Fantasien für die Zukunft ab, ist Here nüchtern betrachtet vor allem eines: ein Sanierungsfall. Seit 2008 musste Nokia immer wieder Milliarden an Firmenwert abschreiben. Der Aufwand für stets aktuelle Daten ist gewaltig: 6000 Mitarbeiter, 200 Büros in 50 Ländern und eine Flotte von 400 Spezialfahrzeugen mit Laserscankameras, die wie bei Google ständig durch die Straßen fahren und die Lage der Dinge erkunden. Das alles ist dann noch mit Satellitenbildern, Bescheiden von Katasterämtern und den erwähnten Bewegungsdaten der Nutzer abzugleichen. Die Anforderungen an die Genauigkeit steigen laufend – und mit ihnen die Kosten.

Die Autokonzerne, die nun Preis und Anteile dritteln und vielleicht noch einen Finanzinvestor mit an Bord holen, müssen am Ende also vermutlich weit mehr auf den Tisch legen als die 2,8 Mrd. Euro. Dennoch geht es für sie, angesichts gewaltiger Cash-Bestände, immer noch um kleine Beträge – zumal, wenn die Zukunft des Automobils auf dem Spiel steht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.08.2015)

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