Kulturkampf auf dem nächsten Level

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Unter dem Schutzmantel des Begriffs #GamerGate hagelt es verbale Gewalt gegen Kritikerinnen der Videospiel-Branche. Doch auch in die andere Richtung wird scharf geschossen.

Drohungen sind für Anita Sarkeesian inzwischen an der Tagesordnung. Seit sie ihre Videoreihe „Tropes vs. Women in Video Games“ veröffentlichte, ist sie unzähligen Anfeindungen ausgesetzt. Doch bisher hat das die engagierte Feministin nie davon abgehalten, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Bisher, denn ein für vergangenen Mittwoch geplanter Vortrag ihrerseits an der Utah State University wurde von ihr selbst nach einer Attentatsdrohung abgesagt – und weil der gleichnamige US-Bundesstaat es Studenten erlaubt hätte, mit versteckten Waffen an dem Vortrag teilzunehmen.

Sarkeesian steht im Visier einer kontroversen Bewegung, die sich unter dem Begriff #GamerGate vereinigt hat. Mit aufgeregtem Ton und zum Teil derbsten Schimpfwörtern wird auf Twitter, Facebook und etlichen anderen Plattformen gegen Stimmen gewettert, die gegen sexistische Elemente in Videospielen auftreten. Am lautesten schreien dabei vornehmlich junge Männer. Andere wiederum nutzen #GamerGate, um gegen vermeintlich korrupte Medien zu protestieren, und relativieren die hasserfüllten, frauenfeindlichen Äußerungen. Und sogar Schauspieler wie Adam Baldwin („Full Metal Jacket“, „Serenity“) und Seth Rogen („Knocked Up“, „Green Hornet“) befetzen sich via Twitter. Baldwin war es, der den Hashtag #GamerGate überhaupt erst ins Leben rief.


Initialzündung. Begonnen hatte alles im August dieses Jahres, als ein enttäuschter 24-jähriger US-Programmierer eine 9000 Zeichen lange Abrechnung mit seiner Exfreundin auf seinem Blog veröffentlichte. Darin beschuldigte er sie, ihn unter anderem mit einem Journalisten einer bekannten Videospiel-Website betrogen zu haben. Der Blogeintrag entzündete ein Pulverfass, das offenbar schon länger brodelte. Gaming-Fans kritisieren seit Jahren, dass diverse Bewertungsmodelle von Magazinen und Online-Medien faul seien beziehungsweise vermuten Absprachen zwischen Spieleherstellern und Journalisten, da die persönlichen Erfahrungen hin und wieder negativer ausfallen, als es so manch positiver Bericht versprechen würde. Teile dieser Gruppe sahen den Eintrag als Beweis dafür, dass Spieleentwickler zum Teil so weit gehen, dass sie ihren Körper für positive Artikel verkaufen.

Was folgte, waren weitere Attacken gegen Frauen in der Spieleindustrie, insbesondere gegen Sarkeesian. Für die Fraktion der Antifeministen ist sie wegen ihrer Videoreihe gewissermaßen das Weihwasser für ihren inneren Teufel. Auch andere Frauen, unter anderem Entwicklerinnen, die sich #GamerGate gegenüber kritisch geäußert haben, wurden gestalkt, ihre persönlichen Daten, wie ihre Wohnadressen und die ihrer Familienmitglieder veröffentlicht. Es folgten aber auch diverse Artikel, in denen Spieler generell als rückschrittliche, sozial unfähige, schlecht angezogene junge Männer porträtiert wurden. Videospielfans wurden in sozialen Netzwerken pauschal mit Gewalt bedroht, ihr Hobby ins Lächerliche gezogen, ihre Familien attackiert. Frauen, die sich der #GamerGate-Strömung anschlossen, wurden als „dumm“ und „im Herzen frauenfeindlich“ bezeichnet – selbst wenn sie öffentlich anerkennen, dass etliche Spiele inhärent sexistische Züge besitzen und dagegen aufbegehren.


Rauer Umgangston. In Wahrheit zeichnet sich hier der Anfang eines Kulturkampfes ab. Die seit Jahrzehnten homogene, junge, männliche Technologie- und Spielebranche wird immer diverser. Doch Frauen sind nach wie vor unterrepräsentiert. Einer US-Studie zufolge sagen 65 Prozent der College-Anfängerinnen, sie hätten noch nie Videospiele angefasst. Ein Einstieg in diese Kultur, insbesondere ins Online-Gaming, ist nicht ohne Tücken. Dass sich Teilnehmer in kompetitiven Games wie Ego-Shootern gegenseitig per Voicechat anschreien und beschimpfen, ist an der Tagesordnung. Videos davon finden sich zuhauf auf YouTube und dienen der Belustigung hunderttausender Zuseher, immer zum Leidwesen desjenigen, der die Beherrschung verlor. Zwar hat der Großteil der Spieler kein Problem damit, dass der Anteil der Frauen sich vergrößert. Manche betrachten sie aber immer noch als Außenseiterinnen, die sich in die „Buberlpartie“ einmischen. Und wenn dann von extern noch Menschen wie Sarkeesian diverse Verhaltensmuster und Strukturen in Videospielen öffentlich zur Diskussion stellen und einen Denkprozess anstoßen wollen, kippt die Stimmung endgültig.

Die Spielebranche muss sich und wird sich verändern. Bereits Anfang September haben sich tausende (vornehmlich männliche) Entwickler einem offenen Brief angeschlossen, der sich scharf gegen Hassreden aussprach und postulierte, dass jeder, unabhängig von Geschlecht, sexueller Ausrichtung oder Rasse das Recht habe, Spiele zu kritisieren, ohne dafür bedroht zu werden. Und kurz nach der erzwungenen Absage Sarkeesians in Utah veröffentlichte der große US-Branchenverband Entertainment Software Association (ESA) eine Stellungnahme, die sich deutlich gegen Attacken auf Spielerinnen und Bloggerinnen wie Sarkeesian wandte. Zwar wurde direkt nach #GamerGate gefragt, den Begriff ließ die ESA in der Beantwortung allerdings tunlichst aus.

Aber auch von #GamerGate-Vertretern kritisierte Medien reagieren. So haben etwa die US-Portale Kotaku und Polygon ihre Offenlegungsgrundsätze verschärft. Die Wogen um die Spielebranche sind aber noch lange nicht verebbt. Genauso wenig wie die Morddrohungen gegen Anita Sarkeesian.

LExikon

#GamerGate. Der Begriff wurde erstmals am 27.August vom Schauspieler Adam Baldwin genutzt.

Doxing. So nennt sich die (legale) Beschaffung persönlicher Informationen einer Zielperson.

Utah. Der US-Bundesstaat erlaubt es Bürgern, Schusswaffen verdeckt zu tragen. Deshalb konnte Sarkeesians Sicherheit bei einem geplanten Vortrag nicht gewährleistet werden.

The Zoe Post. So wird der Blogeintrag genannt, der die ganze #GamerGate-Affäre ins Rollen gebracht hat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2014)

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