Erster Schritt auf den Spiele-Raster

Grafik und Gameplay sind simpel, dennoch ist das Feeling bei Spielen wie „The Lab/Longbow“ überraschend echt.
Grafik und Gameplay sind simpel, dennoch ist das Feeling bei Spielen wie „The Lab/Longbow“ überraschend echt. Valve
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Auch wenn der Platz in den meisten Wohnzimmern begrenzt ist und Controller die Hände ersetzen, fühlt sich die virtuelle Welt mit der HTC Vive schon erstaunlich realistisch an.

Im Kultfilm „Tron“ war es noch Science-Fiction: Statt eine Figur zu steuern, ist der Gamer selbst im Spiel. Die VR-Brille HTC Vive soll diese Vision verwirklichen. Dazu begrenzen zwei Kameras diagonal das Spielfeld und behalten die Position der Brille (und damit des Spielers) im Auge, ebenso die beiden Controller-Sticks, die als virtuelle Hände dienen – oder als Pistolen, Pinsel etc.

Die Vorbereitung: Trotz der in Überkopf-Höhe zu montierenden Kameras hält sich der Installationsaufwand in Grenzen und ist vergleichbar mit einer Heimkinoanlage. Die für viele wohl größere Hürde ist, dass zusätzlich zum 800 Euro teuren Vive-Set ein Gamer-PC nötig ist. Ob ein Rechner genug Power hat, kann man auf der Steam-Plattform, auf die auch die Spiele zu laden sind, testen. Der eigene Laptop fällt gnadenlos durch. Der zur Verfügung gestellte, 2000 Euro teure HP Envy Phoenix mit Nivida-GeForce-GTX-980-Ti-Grafikkarte hat die Anforderungen souverän gemeistert.

Der Sitz und Tragekomfort der Vive-Brille ist passabel. Empfehlenswert sind längere Kabel bei den Kopfhörern. So können diese im Ohr bleiben, wenn man die Brille kurz lüftet, etwa um Spiele zu laden.

Womit wir in medias res gehen: Wie sind die Spiele? Aus der schon recht großen Auswahl haben wir einen Querschnitt angespielt. Atemberaubend ist der nur rudimentär interaktive Tauchgang „theBlu“. Der riesige Wal flößt – virtuell hin oder her – Respekt ein. Fast zu überwältigend ist die Grafik bei „Descent“, wo man (sitzend) eine Weltraumdrohne steuert. Die virtuellen Flugmanöver wirken wie eine reale Achterbahn – nichts für empfindliche Menschen. Andere Games ermöglichen kreativen Geistern, aus dem Nichts Dinge zu erschaffen – auch ganz nett.

Ein anerkanntes Highlight ist „Audioshield“: Die Controller werden zu roten und blauen Schilden, mit denen Wellen von Bällen der jeweiligen Farbe abgewehrt werden müssen, die im Rhythmus von (frei auswählbarer) Musik daherkommen. Sehr unterhaltsam und sogar mit etwas Körpereinsatz.


Ein wenig Bewegungsspielraum. Das gilt auch für „Space Pirate Trainer“, wo man vor Weltraumkulisse mit einer Pistole auf fliegende Kugelroboter ballert, die auch zurückschießen. Schützen kann man sich mit einem Schild oder durch einen Schritt zur Seite. Wie in jedem Spiel taucht in der virtuellen Szenerie ein Gitter auf, wenn man den realen Grenzen des Spielbereichs zu nahe kommt. Das Kabel, das die Brille mit dem PC verbindet und am Hinterkopf heruntergeht, ist übrigens – wider Erwarten – nie zur Stolperfalle geworden.

Einen Überblick bietet die Spielesammlung „The Lab“. Der Unterhaltungswert der Mini-Games variiert. Favorit ist die Verteidigung einer Burg mit einem Langbogen.

Erstaunlich, wie leicht sich das Gehirn täuschen lässt: Der optische Eindruck und ein paar Vibrationen der Controller reichen für das Gefühl, von der Burgmauer Pfeile zu verschießen. Wellen von Wikingern werden abgewehrt, bis irgendwann die Burg doch fällt. Gameplay und die Comicgrafik erinnert an „Arcade“-Spiele der 1980er – nur dass man mittendrin steht. Auch die meisten anderen Spiele sind simpel gestrickt, und es ist absehbar, dass die Begeisterung rasch nachlässt. In einigen Jahren werden die jetzigen VR-Spiele wohl so alt aussehen wie heute die einst erfolgreichen Atari-Klassiker, und „Audioshield“ könnte so etwas wie das „Space Invaders“ der VR-Ära sein.

Auch wenn sie es noch lang nicht ausreizt, zeigt die Vive das Potenzial von VR und macht Spaß. Der Reiz des Neuen lässt kleine Unzulänglichkeiten vergessen. Die hohen Anschaffungskosten, vor allem für PC-Game-Neulinge, sind weniger leicht zu ignorieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2016)

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