Psychologische Schutzimpfung: Spiel dich gesund!

Psychologische Schutzimpfung Spiel dich
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Computerspiele können sinnvoll sein: Wiener Psychologen entwickeln Games, die die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen fördern sollen und Störungen positiv beeinflussen. Denn das Angebot für junge Menschen mit psychischen Störungen muss dringend verbessert werden.

Die individuelle Therapie hat Kapazitätsgrenzen. „Selbst wenn man die Anzahl der Psychotherapeuten verdoppeln würde, kann es sich nicht ausgehen“, sagt Manuel Sprung. Er ist seit Jänner Professor für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Uni Wien und entwickelt Methoden, um Kindern, die an psychischen Problemen leiden, zu helfen – ohne die klassischen Sitzungen beim Psychotherapeuten.

Laut internationalen Studien erfüllen zehn bis 20 Prozent aller Kinder Kriterien für eine psychische Störung, in Österreich wären das 200.000 Kinder. Die allererste epidemiologische Studie, wie viele Teenager es wirklich sind, läuft derzeit am Ludwig Boltzmann Institut HPR (siehe rechts). „Wir wissen nicht, wie viele der 7500 gemeldeten Psychotherapeuten auf Kinder und Jugendliche spezialisiert sind“, so Sprung. Man schätzt, dass zwei Drittel der jungen Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen keine Behandlung bekommen.

Das Angebot muss dringend verbessert werden: Sein Team entwickelt daher Computerspiele zur „psychologischen Gesundheitsförderung“. Unter dem Begriff „Serious Games“ ist vieles auf dem Markt, das nicht nur Spaß macht, sondern auch Lerneffekte hat oder die Gesundheit fördert (Blutzuckermess-App, Übungen für Demenz-Gefährdete etc.). Für die psychische Gesundheit ist dies rar, auch weil das Stigma hoch ist. „Wer eine Grippe hat, geht zum Arzt, schämt sich nicht. Doch psychische Probleme sind mit einem negativen Image behaftet“, sagt Sprung. „Und nur ein Drittel der Betroffenen glaubt von sich selbst, dass er oder sie ein Problem hat.“

Diese Punkte werden durch einen spielerischen Zugang umgangen: Die Hemmschwelle, ein Spiel auszuprobieren, ist viel niedriger, als zu einem Therapeuten zu gehen. Man kann es auch spielen, wenn man sich gar nicht betroffen fühlt. Die positive Wirkung hat das Spiel trotzdem.

Sprung zeigt auf dem iPad ein „Alien-Spiel“, das ab dem Vorschulalter gespielt werden kann: Bei dem Action-Game muss man rote Aliens füttern, blauen etwas zu trinken geben. Die Regeln ändern sich mit dem Schwierigkeitslevel, so gilt in der „Alien-Nacht“ plötzlich Rot für Trinken, Blau für Füttern. Dem Spieler kann es schwerfallen, zwischen verschiedenen Regeln umzuschalten. So werden aber „exekutive Funktionen“ trainiert, also mentale Fähigkeiten, wie man auf seine Umwelt reagiert und Impulse steuert. Zum Beispiel fällt das „Inhibieren“, das Unterdrücken eines Handlungsimpulses, Menschen mit Aufmerksamkeitsstörungen schwer: Sie klicken schnell drauflos und füttern somit auch Aliens, die sie nicht füttern sollten. „Das Wechseln der Aufmerksamkeit ist wichtig, um strategisch zu planen.“

Die Grafik des Spiels stammt von Jens Kuczwara, einem Student der Uni für angewandte Kunst, programmiert wurde es von Alexander Hoffmann und seinen Studenten an der FH Technikum Wien. Auch mit dem berühmten Games for Learning Institute an der New York University wird kooperiert. Alle Spiele sind technologieunabhängig, also auf PC, Handy oder Tablet zu spielen: „Hauptsache, man hat eine Internetverbindung.“


Motivation steigt. Die Spiele sollen auch die Motivation von Jugendlichen fördern, eine Therapie fortzuführen. „In der Praxis bricht der Großteil nach den ersten Behandlungen ab. Ein einmaliger Kontakt hilft aber keinem. Die Spiele ziehen dich hinein, man erlebt den ,Flow‘: Glücksgefühle, wenn man etwas gut macht.“ Die Psychologen nutzen bekannte Strategien und Techniken der neurowissenschaftlichen Forschung und setzen diese in Spiele um. „Seit 50 Jahren ist bewiesen, dass Therapie hilft. Gerade die kognitive Verhaltenstherapie ist gut erforscht, man weiß, welche Techniken bei welchen Problemen greifen“, erzählt Sprung.

Im Behandlungszimmer steht man aber oft vor dem Problem, dass bestimmte Techniken nur für spezielle Patientengruppen gedacht sind. „Da hat ein Forscher ein Programm entwickelt, das nur an Menschen mit genau dieser Störung getestet wurde.“ Doch die meisten Kinder und Jugendlichen, die Kriterien für eine Störung erfüllen, haben auch eine zweite Störung: Angst und Depression kommen oft gepaart vor, auch Aufmerksamkeitsstörungen und Probleme im sozialen Verhalten. „Deshalb nutzt man immer mehr modulare Behandlungsschemata, bei denen man die Bausteine der Therapie an die individuellen Probleme des Patienten anpasst. So sind unsere Spiele aufgebaut: Verschiedene Anwendungen decken unterschiedliche Probleme ab.“

Einerseits geht es den Forschern um die Prävention: Sprung nennt es „Schutzimpfung“ gegen psychische Krankheiten. Große Studien zeigen, dass Kinder mit hoher emotionaler Kompetenz, guter Selbstkontrolle und der Fähigkeit zur Reflexion weniger psychische Probleme haben: „Sie haben bessere Schulleistungen und Erfolge im späteren Erwachsenenleben.“ Auch die Vermeidung von Risikoverhalten und die soziale Kompetenz von Menschen hängt mit der Stärke dieser „exekutiven Funktionen“ zusammen (die laut Neurowissenschaft in den präfrontalen Arealen des Gehirns liegen und als hohe Schaltkontrolle fungieren). Ein Defizit bei den exekutiven Funktionen ist eines der Kriterien der Aufmerksamkeitsstörung ADHS.

Kindern mit ADHS fällt es schwer, von einer Verhaltensregel auf eine andere umzuschalten. Genau dies trainiert das beschriebene „Alien-Spiel“. Erste Ergebnisse an Wiener Schulen zeigen: Es wirkt. Die Versuchsgruppe von Sechs- bis Zehnjährigen, die sich über sechs Wochen jeweils 40 Minuten pro Woche mit dem Alien-Spiel beschäftigt hatte, erhöhte im Vergleich zur Kontrollgruppe, die 40 Minuten mit einer Drawing-App (Zeichnen und Bilder gestalten) gespielt hatte, sowohl Aufmerksamkeit als auch exekutive Funktionen wie Selbstkontrolle, Flexibilität und Planungsfähigkeit.


Eltern spielen mit. Im Labor entsteht auch der „Emotionsdetektiv“: An einer „Detektiv-Akademie“ erfährt der Spieler, welche Gesichtsausdrücke typisch für Emotionen sind. Im „Point-and-Click-Adventure“ wird man mit kleinen Kriminalfällen konfrontiert (z.B.: Eine Katze ist verschwunden). Das Verständnis von Emotionen soll den Kindern helfen, die Fälle zu lösen und die „Zeugen“ zu vernehmen. Auch Anweisungen wie „Probiere vor dem Spiegel deinen Ausdruck für Trauer, Freude, Wut oder Angst“ helfen, das richtige Gefühl für die Gefühle zu bekommen. „Der Emotionsdetektiv greift in ein ganz spezielles Problem ein, andere Spiele sollen die individuellen Probleme der Klienten aufdecken oder eben präventiv wirken“, erklärt Sprung.

Er plant auch ein Spiel, das störendes Verhalten von Kindern behandeln soll. Dazu müssen die Eltern fleißig mitspielen. „Das motiviert die Familien, gemeinsam im Strategiespiel Aufgaben zu lösen. Dabei lernen die Eltern, dass auch ihr eigenes Verhalten auf die Kinder wirkt.“ Bei vielen Störungen fehlt den Kindern das Belohnungserlebnis zu Hause: Mit ihnen wird geschimpft, wenn sie sich störend verhalten, doch wenn es endlich ruhig ist, lobt sie keiner. „Die Spiele sollen diesen negativen Kreislauf unterbrechen und allen die Wirkung von positiver Zuwendung bewusst machen.“

Auch ein „Jump-and-Run“-Spiel, bei dem Kinder ihre (zuvor individuell definierten) Ängste auf dem Bildschirm präsentiert bekommen und belohnt werden, je länger sie dies aushalten, ist in Entwicklung: „Vermeidung führt nur zur Aufrechterhaltung der Ängste. Der Angst muss die Bedrohlichkeit genommen werden“, sagt Sprung.


Facebook gegen Depression. Er dachte sich auch das „Mindbook“ aus – eine Spielversion von Facebook, die Kindern mit Depressionen helfen soll. Der Zusammenhang von Gefühlen, Gedanken und dem eigenen Handeln wird genutzt: Auf positive Postings bzw. Statusmeldungen der Spieler reagieren die virtuellen „Freunde“ im „Mindbook“ nett, man bekommt immer mehr Freunde. Auf negative Meldungen reagiert keiner. „Die automatischen Gedanken von Depressiven wie ,Ich bin nichts wert‘, ,Ich kann nichts‘ sollen hintangestellt werden. Die Jugendlichen erleben, wie die Umwelt auf ihr Verhalten reagiert. Denn es hilft ja nicht, wenn man ihnen sagt: ,Sei nicht so negativ, denk positiver‘. Sie müssen erleben, dass die Welt schöner wird, wenn man sich positiv darstellt.“

Die Ideenliste der Forscher ist noch lang, gleich lang wie jene der psychischen Gesundheitsprobleme, die man durch Spielmechanismen und einfache Belohnungssysteme behandeln kann.

Mental Health

Das Ludwig Boltzmann Institut für Health Promotion Research (LBI HPR) führt derzeit mit der Uniklinik für Kinder und Jugendpsychiatrie der Medizin-Uni
Wien die erste epidemiologische Studie zur psychischen Gesundheit der österreichischen Teenager durch.

Psychiatrische Erkrankungen im Erwachsenenalter beginnen oft als Kind oder Jugendlicher:
Als Grundlage für präventive Maßnahmen wird nun erstmals erhoben, wie häufig psychische Erkrankungen wie Essstörungen, Angsterkrankungen oder Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sind und welche Ursachen und Krankheitsverläufe bekannt sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.04.2013)

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